SAP will wachsen wie ein Startup

Der Kurswechsel könnte fundamentaler kaum sein. Bis gestern galt bei Europas größtem Softwarehaus noch das Paradigma des traditionellen Dienstleistungskonzerns: je mehr Marge, desto glücklicher die Börse; je höher der Kurs, desto unwahrscheinlicher die feindliche Übernahme.

Jetzt will SAP lieber wachsen und Marktanteile gewinnen und dafür den Gewinn (ein wenig) aus den Augen verlieren. Es geht darum, in der Cloud so schnell wie möglich zum einzig bestimmenden Anbieter von Unternehmenslösungen zu werden, hieß es jetzt bei der Bekanntgabe der Jahreszahlen.

Dabei gilt, dass nach wie vor alles, was Unternehmer zum Optimieren ihrer eigenen Geschäftsprozesse benötigen, aus einer Hand – sprich: SAP – kommen soll. Aber die Walldorfer wollen nicht mehr notwendigerweise in die Hand des Kunden liefern. Denn statt des eigenen Rechenzentrums sollen Anwender künftig lieber auf die Cloud-Datacenter der SAP zurückgreifen. Ob das nun gehostete Anwendungsumgebungen sind oder tatsächliche Cloud-Dienste im Mietabonnement, ist SAP für die eigene Bilanz erstmal egal.

Stolz notiert man in Walldorf, dass mit Cloud-Geschäften – worin die auch immer bestehen mögen – ein Wachstum von 110 Prozent erreicht worden ist. Andere traditionelle IT-Anbieter wie IBM, Microsoft oder Oracle reklamieren für sich lediglich Wachstumsraten um 75 Prozent – wobei auch hier nicht ganz sauber definiert ist, was Cloud-Geschäfte eigentlich sind (und was nicht). Bei SAP beispielsweise werden Hosting-Leistungen ebenso eingerechnet wie die InMemory-Datenbank Hana, die nach SAP-Definition als hybrid gilt, also sowohl als auch eingesetzt werden kann.

Egal ist neuerdings auch die Größe des Kunden. In dieser Frage tobten bislang Glaubenskriege zwischen der Cloud-Fraktion und den Standard-Softwerkern bei der SAP: Konzerne nein, Konzerntöchter ja, Mittelständler sowieso, junge Unternehmen vielleicht – das war die Strategie, mit der SAP es sich ganz gemütlich in der Cloud bequem machen wollte, ohne den eigenen Markt zu kannibalisieren. Die Rechnung erfolgte freilich ohne den Wettbewerb, der wie zum Beispiel Microsoft zu einer Cloud-First-Strategie aufgerufen hat und massiv in die Wolke investiert. Die Rechnung ging aber auch nicht auf, weil Großkunden plötzlich angesichts überbordender Cyberattacken keine Lust mehr darauf haben, selbst für die Datensicherheit verantwortlich zu sein.

Mal abgesehen davon, dass sie jetzt das Versprechen der SAP einlösen wollen, in der Cloud wäre alles billiger. Teuer, das war gestern. Morgen, nämlich in zwei Jahren, soll SAP nun mehr Umsatz mit der Cloud machen als mit dem bestehenden Software-Lizenzgeschäft und Dienstleistungen. Dabei ist die Marge plötzlich nicht mehr so wichtig: Im Geschäftsjahr 2015 schaffte SAP zwar ein Umsatzplus von 18 Prozent auf nun stolze 20,8 Milliarden Euro. Der Gewinn aber sackte um sieben Prozent nach unten – auf immer noch ansehnliche 3,06 (Vorjahr: 3,28) Milliarden Euro.

Für mehr Wachstum sollen jetzt neue beziehungsweise ausgeweitete Kooperationen sorgen, um branchenspezifische Ergänzungen auf Hana-Basis zu erzielen. Neben der Produktion von Daten durch die ERP-Suite soll also immer stärker die Analyse der Daten durch Hana treten. Während die eigenen Rechenzentren eine SAP-only Location bleiben sollen, suchen die Walldorfer für hybride Anwendungen mit Lösungen von Dritten die Dienste anderer Cloud-Spezialisten – Microsoft oder T-Systems zum Beispiel. Da sollen dann auch Angebote, die Office 365 beinhalten, angesiedelt werden.

Marktanteile vor Gewinnanteile – das wird nun also der von Startups abgeguckte Strategiekern für die nächsten Jahre. Der Konzernumbau ist dafür schon im vollen Gange: Zwar sind im vergangenen Jahr netto rund 2500 Mitarbeiter mehr für SAP tätig. Rund 2000 Mitarbeiter haben aber das Frühverrentungsprogramm angenommen, weitere Tausend sind auf einen anderen Posten versetzt worden. Und bei drei Milliarden Euro Gewinn, die der Kriegskasse zugeschoben werden, braucht SAP – anders als Startups – derzeit keine zusätzliche Finanzierungsrunde…

 

 

Stillstand ist Tod

Jeden Tag kann man in einem Beitrag zum Wirtschaftsgeschehen lesen, dass Stillstand Rückstand bedeutet. Wer mit seiner Organisation nicht voranschreitet, wer nicht heute besser ist als gestern, der fällt zurück. Das ist unser Wirtschaftsmantra vom stetigen Wachstum, Besserwerden, Überholen.

Stillstand gilt es zu vermeiden. Doch es ist erstaunlich wie viel Aufmerksamkeit wir dem drohenden Stillstand einer Organisation widmen, und wie wenig dem jederzeit möglichen Stillstand unseres ultimativen Wachstumsmotors – unserem eigenen Herzen. Mir musste dies erst klarwerden, als ich mit Herzstillstand am Gepäckband im Flughafen Toronto zusammenbrach. Gottseidank direkt unter einem an der Wand befestigten öffentlichen Defibrillator. Und Gottseidank in Gegenwart einer sehr kundigen Stewardess, namens Miranda, die wusste, wie man das Ding einsetzt.

Man könnte natürlich – humoristisch wie Kölner nun mal sind – daraus die Lehre ziehen: „Überleg dir gut, wo du dir deinen Herzstillstand gönnst“.

Ich habe daraus die Konsequenz gezogen, in meinem Umfeld alles zu tun, dass der nächste Defibrillator nur wenige Schritte entfernt ist: in allen drei Stockwerken der Firmenzentrale der GUS Group in Köln hängen seit einer Woche Defibrillatoren. In unserer Niederlassung in Hamburg ist ebenfalls so ein gelber Lebensretter installiert. Für jeden „Defi“ sind im Hause Ersthelfer und „kundige Personen“ geschult, die sofort richtig und zielorientiert handeln können, sollte einem meiner Mitarbeiter mein Schicksal widerfahren.

Nach Schätzungen sterben hierzulande jedes Jahr rund 100.000 Menschen den plötzlichen Herztod. Für sie kam schon nach wenigen Minuten jede Hilfe zu spät. Dabei sind es nicht nur ältere Menschen, bei denen „die Pumpe“ plötzlich aussetzt. Gerade junge Menschen sterben, weil bei einer Rhythmusstörung, einem kleinen Infarkt das Herz nicht wieder anspringt. Bei Alten, so sagen Ärzte, hat das Herz durchaus eine gewisse Routine zum Selbststart.

Nur 14 von 100 Reanimationsversuche in Deutschland werden von Laien praktiziert. Die klassische Entscheidung ist, lieber Warten bis der Arzt kommt. Doch schnelle Hilfe hilft doppelt. Deshalb sind öffentliche Defibrillatoren heute mit einer Selbsthilfe-Unterstützung ausgestattet, deren Erklärungskomponenten auch in Stresssituationen klar und verständlich die Schritte der Wiederbelebung vorgeben. Lieber einmal richtig trauen als das ganze Leben Schuldkomplexe haben.

Wie viele Defibrillatoren es in Deutschland tatsächlich gibt, weiß niemand genau. Wie viele davon öffentlich zugänglich sind, versucht derzeit eine App zu ermitteln, die vom Verein Definetz entwickelt wurde. Sie zeigt anhand des Smartphone-Standortes, wo der nächste öffentlich verfügbare Defibrillator zu finden ist. Derzeit sind 24.000 Standorte erfasst. Hier der Link zu iTunes.

Jeder kann dazu beitragen, dass solche Initiativen ein Erfolg werden. Der beste Weg ist, in seinem eigenen Wirkungsbereich dafür zu sorgen, dass ein (öffentlicher) Defibrillator zur Verfügung steht. Sollte sich das Gerät in einem abgeschlossenen Büroraum befinden, kann man immerhin andere Unternehmen in der Hausgemeinschaft informieren.

In einer immer stärker vernetzten Welt, ist es eine Schande, wenn man nicht weiß oder wissen kann, wo die nächste Hilfe erreicht werden kann. Wir wollen nicht nur den nächsten Starbucks um die Ecke finden, um unserem Herzen mit einem guten Kaffee aufzuhelfen. Wir wollen auch wissen, wo der nächste Defibrillator hängt – und wie man ihn benutzt. Lasst uns gemeinsam das Netz so eng wie möglich knüpfen.

 

Sag mir, wo die Jobs sind…

Irgendwie bleibt ein schaler Nachgeschmack nach diesem 46. World Economic Forum. Er entsteht nicht etwa durch den obszön hohen Mietpreis, den beispielsweise Microsoft für einen Tagungsraum direkt gegenüber dem Davoser Kongresszentrum zu zahlen bereit war. Auch nicht dadurch, dass das WEF trotz der immerhin 40 angemeldeten Regierungsvertretern weniger prominent besucht war. So hat sich die mächtigste Frau der Welt, Bundeskanzlerin Angela Merkel, in diesem Jahr vom Weltwirtschaftsgipfel ferngehalten.

Dennoch stand ein Merksatz von ihr irgendwie über dem gesamten Gipfeltreffen in 1500 Metern Höhe: Es sei Aufgabe einer Regierung, nicht permanent Fragen zu stellen und Sorgen zu artikulieren, sondern zu versuchen, Lösungen zu finden.

Das freilich schien in der vergangenen Woche nicht so einfach zu sein, angesichts der Herausforderungen, mit denen sich Politik und Wirtschaft im Jahr 2016 konfrontiert sehen: Unfrieden im Nahen Osten, Flüchtlinge in Europa, Terrorgefahr in der gesamten westlichen Welt, das drohende Ende eines solidarischen Europas einerseits. Und andererseits: hochnervöse Börsen, Zinswende in den USA, zögernde Erholung der Weltwirtschaft, krisengeschüttelte BRICS-Staaten. Nicht jedem Regierungs- und Unternehmensvertreter gelang es da letzte Woche, an den Herausforderungen vorbei die Chancen zu sehen.

Dazu wird Klaus Schwab als Gründer und Organisator des World Economic Forums durchaus selbst beigetragen haben, weil er die Diskussion um die nächstgrößte Herausforderung, die der vierten industriellen Revolution, die in Davos jeden Sitzungstag prominent auf der Agenda stand, mit einer Untersuchung befeuert hat, die weltweit einen Verlust von 7,1 Millionen Arbeitsplätzen voraussagt. Zu ihrem Ausgleich rechnen die WEF-Analysten zunächst lediglich mit 2,1 Millionen neuen Arbeitsplätzen.

Das ist freilich nicht allein den disruptiven Innovationen, wie sie in der Gentechnik, Nanotechnologie, Biotechnologie, Robotik, künstlicher Intelligenz oder auch des 3D-Drucks entstehen, anzulasten. Der globale demographische Wandel, das Aufkommen einer gebildeten Mittelschicht in den Schwellenländern oder die weiter voranschreitende internationale Verzahnung von Arbeitsprozessen, durch die Arbeitsplätze zunächst in andere Regionen abwandern, ehe sie eventuell ganz verschwinden, tragen ihr Scherflein zum weltweiten Jobschwund bei.

Dabei gibt es Unterschiede: in den USA beispielsweise sieht die Studie, die auf mehrere nationale Untersuchungen ähnlicher Art zurückgreift und zu einem globalen Trend extrapoliert, prozentual mehr Arbeitsplätze schwinden als in Deutschland. Hierzulande wird es eine Arbeitsplatzmigration geben – raus aus dem Automobilbau und rein in die Informationstechnik. Global gesehen werden insbesondere im Büro und in der Administration Arbeitsplätze verschwinden.

Der Kurssturz an der Jobbörse wird aber auch einen volkswirtschaftlichen Seiteneffekt für die entwickelten Industrieländer mit sich bringen. Der allgemeine Preisvorteil bei Arbeitskräften aus Schwellenländern verliert an Bedeutung, während die höherqualifizierten neuen Jobs vor allem in den entwickelten Ländern entstehen. Deshalb, so der allgemeine Optimismus, wird Deutschland durchaus zu den Gewinnern der vierten industriellen Revolution gehören.

Doch auch daraus werden sich wieder weltweite Verspannungen ergeben mit neuen Krisenherden und nachfolgenden Migrationswellen. Denn eines ist sicher: in einer immer mobileren Weltbevölkerung wird die Wanderbewegung immer in Richtung Arbeitsplatzchance gehen. Das muss keine düstere Prognose sein, wenn es gelingt, die Chancen der Migrationen zu nutzen. Insofern hat das World Economic Forum letzte Woche eine gute Diskussion losgetreten. Auch ohne die mächtigste Frau der Welt.

 

Wer bringt das nächste große Ding?

Eigentlich müsste sich Tim Cook genüsslich zurücklehnen. Mit insgesamt knapp zehn Millionen Dollar wurde Apples Vorstandsvorsitzender soeben fürstlich dafür belohnt, dass die iCompany sämtliche der gesteckten Ziele erreicht und ein Rekordjahr hingelegt hatte: 53,4 Milliarden Dollar Reingewinn bei 234 Milliarden Dollar Umsatz! Das ist ein Jahrhundertrekord!

Doch die Börse reagierte unwillig – der Apple-Kurs sank innerhalb von fünf Wochen um 18 Prozent und dümpelt nun um die 100 Dollar-Marke. Der Grund: die neuesten Freischaltzahlen rund ums Weihnachtsgeschäft lassen erkennen, dass sich das Interesse an iPhones verringert, nachdem auch die Verkaufszahlen für die Tablets schon zurückgegangen waren. Womit, so fragt man sich, will Apple im neuen Jahr so viel Geld verdienen, dass es zum Rekordjahr aufschließen kann?

Eine Frage, die Microsofts CEO Satya Nadella für seine Company vielleicht schon im zurückliegenden Jahr beantworten konnte. So gelang der Turnaround bei Windows, das mit der „10“ endlich wieder Kunden und Partner gleichermaßen zufriedenzustellen scheint. Selbst das totgeglaubte PC-Geschäft erlebt gegenwärtig ein zartes Revival. Hersteller wie Lenovo investieren nach eigenem Bekunden heftig in Windows 10-basierte Systeme, weil die Kundennachfrage endlich wieder steigt. Lenovo orientiert sich dabei an Produkten, die das Zeug zum nächsten Industriestandard haben: Microsofts Surface Pro 4 und Surface Book als Mittelding zwischen Tablet und Netbook. Sie bilden auch die Plattform für künftige dreidimensionale Anwendungen, die über den Virtual Reality Spezialisten Havok ins Microsoft-Portfolio kommen sollen. Da mag es verschmerzbar sein, das Microsoft im Smartphone-Segment auch mit Windows 10 keine großen Umsatzsprünge macht.

Die gemeinsame Plattform für all das ist hingegen Microsofts Cloud-Strategie, für die nicht nur direkt um große Kunden geworben wird, sondern indirekt um Partner, die mit Infrastrukturangeboten, neuen Dienstleistungen und zukünftigen Anwendungen nicht nur die Cloud beleben sollen, sondern auch das Windows-basierte Geschäft überall: zuhause, im Büro und auf dem Weg zwischen beiden. Die Börse jedenfalls dankt es – mit einem Kursplus von 18,5 Prozent im vergangenen Jahr. Und seit Nadella am Ruder Kurs hält, stieg die Microsoft-Aktie sogar um 45 Prozent!

Und IBM? Big Blue hält seinen Aktienkurs relativ stabil, weil in Armonk konsequent eigene Aktien zurückgekauft werden. Das senkt die Gefahr – so unglaublich es auch klingen mag –, dass IBM zu einem Übernahmekandidat für Apple, Google oder Amazon werden könnte. Aber warum sollte man sich eine Firma mit zu viel altgedientem Personal und Portfolio ans Bein binden? Darauf gibt es eine einfache Antwort: Watson!

Als Jeopardy-Sieger war der Künstliche Intelligenzbolzen noch eine clevere Spielerei, doch schon mit dem Einsatz als Diagnosehelfer im Medizinumfeld bewies der Watson-Computer seine Ernsthaftigkeit. Jetzt, auf der Consumer Electronics Show in Las Vegas, kündigte IBMs Vorstandsvorsitzende Ginny Rometty nicht weniger als den Beginn eines neuen Computerzeitalters an und untermauerte diesen kühnen Anspruch mit einigen schillernden Partnerschaften. So macht Watson künftig im denkenden Teil des Haushaltsroboters Pepper von Softbank Furore. Die sprachanalytische Komponente soll den kleinen Hausknecht noch besser befähigen, auf Sprachbefehle seiner Familienmitglieder zu hören. Der Sportausrüster Under Armour will mit Watson seine Fitness-Tracker aufpeppen.

Und der Retailer Whirlpool analysiert mit Watson Milliarden von Kundendaten. Für Unternehmen wie Whirlpool soll ein einfach zu bedienendes Software Development Kit zur Verfügung gestellt werden, mit denen Watson in Eigenregie auf die individuellen Anforderungen im Big Data-Segment getrimmt werden kann. Große Datenmengen, wie sie bei der Digitalisierung der Produktionswelten anfallen, sollen Watsons Spezialgebiet werden. Sechs Labors hat IBM dazu weltweit ins Leben gerufen. Dann wären auch Partnerschaften mit den großen Anbietern von Unternehmenslösungen wie SAP oder Oracle nur noch eine Frage der Zeit.

In der Ära des kognitiven Computings wird Watson auf eine Infrastruktur zurückgreifen können, die IBM in 44 Ländern der Erde etabliert hat: hochverfügbare Cloudservices aus Datencentern, die das Number Crunching von der Pike auf gelernt haben. Watson ist bestimmt eines der nächsten ganz großen Dinger. Wem auch immer IBM dann gehören mag…