SolBIT – alt genug zum Teilen

Sol lucet omnibus, wusste der Lateiner – die Sonne scheint für alle – und verstand damit so etwas wie einen Hauch von Sozialismus. Passend zum Messekunstwort der diesjährigen CeBIT – Shareconomy, die Wirtschaftslehre vom Teilen – zeigte sich die Sonne von ihrer angenehmsten Seite. Sie war zumindest am ersten und zweiten Messetag der uneingeschränkte „Star“ der CeBIT – denn der beste Messestandort war auf dem Campus vor dem Congress Center. Den teilten sich – ganz im Sinne des Messemottos – Aussteller und Besucher.

Das hatte Auswirkungen auf das Besuchsverhalten: Die CeBIT legte einen Blitzstart hin. Allein in den ersten drei Stunden schienen die Kontaktzahlen des ersten Messetags des Vorjahrs erreicht zu werden – und die Erwartungen stiegen sprunghaft. Dann aber kam die Mittagszeit und die Gänge leerten sich sichtlich. Und offensichtlich kehrten die Besucher auch am Nachmittag nicht zurück. Das Spiel wiederholte sich am zweiten Tag, der aber dennoch der bekannt starke Messemittwoch war. Nachmittags interpretierten die Besucher das Messemotto mit sonnigem Gemüt: Was schert mich die Ökonomie. Die einzige Ökosphere, die zählte, war die Rasenfläche.

Eine zweite mögliche Wirkung der Sonne war die außerordentlich positive Stimmung in den Gesprächen. Nach dem dunkelsten Winter seit Aufzeichnung der Wetterdaten hatten sonnige Gemüter Gute-Laune-Stimmung und zeigten lebhaftes Interesse an Investitionsmöglichkeiten. Ob man allerdings aus dieser Hochstimmung tatsächlich auf ein Konjunkturhoch schließen sollte oder doch nur auf das meteorologische Hoch, werden wir abwarten. Der Schneeeinbruch zum Ende der Woche jedenfalls brachte keinen nennenswerten Stimmungseinbruch in der geteilten Wirtschaft.

Bei aller Diskussion im Umfeld um sinkende Besucherzahlen und Ausstelleranmeldungen: Die CeBIT ist unverändert ein Meilenstein in unserem Marketingkalender; 4100 Unternehmen teilten in den Messehallen ihre Innovationen. Aber die Bedeutung der CeBIT als Ankündigungsmesse verblasst. Niemand kann mehr auf den März warten, um seine Produktpalette rundzuerneuern. Dies geschieht immer und überall, das ganze Jahr und rund um den Globus. Aber die Bedeutung der CeBIT misst sich vor allem in der Anzahl der Kontakte, der Verkaufschancen, in „Leads“. Ein CeBIT-Auftritt finanziert sich aus den Leads, die wir in Kunden umwandeln können. Auch hier aber gilt: Niemand kann bis März warten, um neue Kontakte zu generieren. Bedarf besteht über das ganze Jahr hinweg.

Liegt es an den 30 Jahren CeBIT-Wallfahrt, in denen man nicht jünger geworden ist, – oder ist das tatsächlich ein Trend, der sich uns darstellt? Die CeBIT ist eine „junge Messe“. Das sieht man nicht nur an der hohen Zahl von Start-ups die in Hannover auf zwei Gemeinschaftsständen ausstellten. Es zeigt sich auch, dass die Entscheidungsträger immer jünger werden – gerade im Mittelstand kommen junge Leute immer früher in Positionen, in denen sie über hohe Investitionen entscheiden. Das zeigt sich auch im geänderten Nachfrageverhalten. Dass beispielsweise auch ERP-Lösungen auf dem Touch-Tablet „laufen“ und damit mobil sind, ist für sie eine Selbstverständlichkeit.

Für die jünger werdende CeBIT-Gemeinde ist das Teilen von Informationen, Ideen und Innovationen gang und gäbe. Insofern hat der Slogan Shareconomy ins Schwarze getroffen. Dabei ist es faszinierend, dass Services – wie zum Beispiel Carshareing – ein CeBIT-Thema sind. Die CeBIT wandelt sich damit von einer Messe für IT-Produkte zu einer Show für Dienstleistungen, die erst durch IT möglich oder zumindest wirtschaftlich möglich werden. Vielleicht sollte man künftig nicht nur ein Partnerland, sondern eine Partner-Anwenderbranche zur CeBIT einladen. Fürs Teilen wären ja Hallen genug da…

Internationaler Büchsen-Macher

Stanley Kubrick hat der IBM, den International Business Machines, ein ewiges Denkmal gesetzt – den HAL 9000-Computer, dessen gigantische Datenspeicher nahezu das gesamte Raumschiff Discovery One ausfüllen. Sein rotes Infrarot-Licht ist der einzige Hinweis auf so etwas wie Software – der Rest ist Hardware, Big Iron, Blech-Büchsen.

Das Denkmal ist so hellsichtig und weitsichtig, dass  es mehr als vier Jahrzehnte, nachdem es erstmals über die Leinwand flimmerte, den immer noch andauernden Grunddissens der IBM symbolisiert: Wer generiert eigentlich die Wertschöpfung – die Hardware, ohne die nichts läuft, oder die Software und Services, ohne die man keine Hardware braucht? Im Film ist es die Softare, die die Mission schließlich gefährdet…

Ganz seltsam waberte diese dichotome Grundsatzfrage auch hier in Las Vegas durch die Räume des Convention Centers. Als langjähriger Wallfahrer zur IBM Partner World habe ich Big Blues Wandlungen und Anwandlungen Welle für Welle miterleben können. Aber diesmal waren der Generationswechsel und der Themenwechsel so manifest wie nie. Und doch – auch wenn überall das Hohe Lied von Big Data, Cloud Computing und Business Intelligence auf diesem immer smarter werdenden Planeten gesungen wurde, am Ende kam doch immer wieder dieselbe Coda: Und dafür liefert IBM nicht nur die Software und Services, sondern auch eine einzigartige Hardware-Palette. Die Hommage an den CIO, der als Herr über das Data Center immer noch die Rieseninvestitionen in Schränke und Kabelbäume genehmigt, hatte in jedem Redebeitrag ihren wiederkehrenden Nachhall.

Aber IBM muss wie die gesamte Informationswirtschaft nicht den Fokus auf den Information Officer setzen, sondern den CFO, den CEO und den CMO adressieren. Der Wert der Informationstechnik liegt nämlich nicht in sich begründet, sondern in dem, was die Anwender aus ihr machen. Niemand brachte dies klarer zum Ausdruck als Bruno di Leo, Senior Vice President Sales and Distribution: „Wichtig ist nicht, was wir verkaufen, sondern wie wir verkaufen“, rief er den IBM-Kollegen und Business Partnern zu. Nur über den Wert, den IT eröffne, könne IBM ihr Ziel erreichen, „die wichtigste Firma der IT-Firma zu sein“ und zu bleiben. Nichts Geringeres war schon immer der Anspruch der Watson-Company.

Und dieses Ziel teilt Big Blue mit ihren Partnern, in die eine Milliarde Dollar an Marktanreizen, Rabatten und Technologie gesteckt werden soll. Allein 44 Innovationszentren weltweit, auf die Partner rund um den Globus zurückgreifen können, sollen das gemeinsame Geschäft voranbringen. 150 Millionen Dollar will IBM allein im laufenden Jahr in gemeinsame Marketingaktivitäten stecken.

Und in welche Sparten soll das Geld fließen? Dorthin, wo die schönsten Wachstumsraten winken. Infrastrukturen für smarter Cities zum Beispiel, deren Ausgaben um 13 Prozent jährlich wachsen sollen. Big Data natürlich, wo Umsatzwachstum von 17 Prozent erwartet wird. Und natürlich im mobilen Internet mit Wachstumsraten von 18 Prozent. Schließlich als ewiger Spitzenreiter: Cloud Computing mit Steigerungen von 22 Prozent – mehr als ein Fünftel pro Jahr.

Das sind die Themen einer gemeinsamen Agenda für IBM und ihre Partner – allerdings auch für ihre Marktbegleiter.

Natürlich sollen auch die Partner in den smarter werdenden Planeten investieren. Am Ende stehe nichts weniger als eine neue Ära des Computings – was auch immer das ist.

Mag sein, dass wir uns am Beginn eines neuen Zeitalters befinden. IBM ist auf jeden Fall am Beginn eines weiteren Generationswechsels. Aber in einem wird sich Big Blue treu bleiben – als internationaler Büchsen-Macher.

Der Teilen-Beschleuniger

Dies ist die Woche, in der so um die 50.000 Menschen in Deutschland – und vielleicht das Vierfache weltweit -, am großen Rad drehen. Sie sind auf der Zielgerade, um ihre CeBIT-Präsentationen fertigzustellen – Programmierer, Vertriebschefs, Marketiers, Messebauer. Warum machen wir das? Warum setzen wir uns in einer Zeit, in der wir jeden jederzeit erreichen können, in der wir in eigenen Communities kontinuierlich Feedback über unsere Angebote erhalten, diesem Stress aus? Warum reisen wir alle in eine mittelgroße deutsche Landeshauptstadt mit (vor allem im März) eingefrorenem Flair, um Kunden, Lieferanten und Wettbewerber zu treffen, die wir auch an jedem anderen (schöneren) Ort auf dieser Welt treffen könnten?

Warum? Weil die CeBIT auch in einer Zeit der sozialen Medien, des mobilen Internets, der Industrie 4.0 die Leitmesse der Informationstechnik ist. Weil wir hier die entscheidende Leistung eines Marktplatzes nutzen: Teilen und Mitteilen, Austauschen und Tauschen. Mit dem diesjährigen Motto „Shareconomy“ hat sich die CeBIT selbst zum Thema gemacht. Shareconomy handelt vom Teilen: Gedanken, Dienste, Produkte, Innovationen – und genau das findet auf der CeBIT statt. Die Welt in einer Nussschale.

Es stimmt natürlich: Die Zeiten sind vorbei, in denen zur CeBIT die ganz großen Neuheiten, die Verkaufsschlager für das junge Jahr, die Trendsetter der Informationswirtschaft präsentiert wurden. Vor 25 Jahren zum Beispiel stand Network Computing im Mittelpunkt, vor zwei Jahrzehnten war es der Pentium Prozessor, der die CeBIT-Gänger begeisterte. Am diesjährigen Messekracher haben alle Anteil – es sind die Communities, in denen Geschäftsmodelle geteilt, Ideen diskutiert und Produkte arbeitsteilig hergestellt werden. Shareconomy – die Lehre vom geilen Teilen.

Nicht die Diashow (wie früher) steht im Mittelpunkt der CeBIT, sondern der Dialog – zwischen Anbietern und Anwendern, zwischen Industrien, deren Produktwelten sich aufeinander zu bewegen. Am Automobil, das mit seiner Umwelt kommuniziert, wird das Element der Konvergenz ebenso deutlich wie am Haus, das seine Energieversorgung steuert, oder bei dem Produkt, das seinen Weg zum Bestimmungsort selbst kennt und mitteilt.

Anders als die CES in Las Vegas (die aber den deutlich attraktiveren Standort für sich reklamieren kann), ist die CeBIT immer eine Industriemesse – ein Treffpunkt für die Realwirtschaft. Während die CES die Welt aus der Sicht des Konsumenten wahrnimmt, sucht die CeBIT den Unternehmer, den Selbständigen, den Entscheider. Das wird auch die Abgrenzung zur Funkausstellung in Berlin bleiben, wo Informationswirtschaft und Telekommunikation mit Sendebewußtsein präsentiert wird. Als Spiegelbild der Wirtschaft hat die CeBIT hingegen allen Grund zum Selbstbewusstsein.

Aber nochmal: Müssen wir da immer noch hin? Ja, denn nirgendwo sonst kann man seine Ideen so effektiv zu Markte tragen, sie jener Kritik aussetzen, aus der sich die nächsten Innovationsschritte ergeben. Gewiss ist die CeBIT keine Verkaufsmesse mehr, auf der die Auftragsbücher fürs ganze Jahr gefüllt werden. Wichtiger ist es, die Notizbücher zu füllen.

Teilen und Mitteilen – das ist das Mantra der CeBIT. Und es ist gut, dass sie dieses Mantra sogar zum Messemotto erhoben hat: Shareconomy.

 

Was geschieht in Berlin, wenn in Indien ein Sack Reis umfällt?

„Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“, haben wir 68 gereimt. Heute bin ich beinahe 68 und gehöre gewiss zum Establishment – also laut Definition zu einer wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich einflussreichen Milieugruppierung. Dazuzugehören ist kein Einzelschicksal, sondern der Lauf der Dinge. Als Kölner sagt man dazu auch „jeder hätt sin Schmölzchen“.

Etabliert zu sein, ist durchaus ein erstrebenswertes Ziel, das allerdings die nicht geringe Gefahr birgt, vor lauter Arriviertheit nachher nicht mehr innovativ zu sein, oder gar repräsentativ. Insofern hat sich seit 68 nicht viel geändert – Establishment ist von innen betrachtet angenehm, von außen eher unbequem. Und dann auch schnell obsolet.

Verbände und Vereine – vor allem aber Interessensverbände, vulgo: Lobbys – stehen in der Gefahr, im Etabliertsein zu erstarren und dadurch die eigene Gründungsidee ad absurdum zu führen. Dies bekam in der vergangenen Woche die vermeintlich junge IT-Industrie in Indien zu spüren, als sich im dortigen IT-Verband, der National Association of Software and Services Companies (Nasscom) so etwas wie eine Palastrevolution ereignete. Als Teilnehmer der Nasscom-Jahreskonferenz und des „Indian Leadership Forums 2013“ war ich Augen- und Ohrenzeuge, wie sich auf den Gängen im Kongresszentrum in Mumbai der Shitstorm gegen das Establishment formierte.

Indiens IT-Industrie steht heute für 100 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz. In zwölf Jahren soll sich diese Zahl auf 225 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt haben. Die Frage, die hier auf den Gängen in Mumbai diskutiert wurde, ist schlicht die: Ist eine Organisation wie ein Anbieterverband mit seiner hierarchischen Entscheidungsstruktur überhaupt noch relevant für eine agile Industrie, die aus Abertausenden von kleinen und mittelständischen Unternehmen gespeist wird? Die jungen Start-ups engagieren sich in Weblösungen, die eher Graswurzelbewegungen beflügeln, suchen schnell internationalen Erfolg und pflegen mindestens so gute Kontakte ins Silicon Valley wie das Nasscom-Establishment.

30 dieser agilen Mitglieder haben sich jetzt in einer Alternativorganisation iSprit – Indian Software Product Industry Round Table – zusammengeschlossen. Sie bemängeln, dass Software-Produkte und Beratungsleistungen rund um Business Process Optimization zu kurz kommen. Der Nasscom, so klagen sie, wird weiterhin dominiert von den großen, auf Body-Leasing spezialisierten IT-Services-Companies. Der Schub aber zu einem 225-Milliarden-Dollar-Markt werde nicht durch die etablierten, sondern durch die agilen Companies geschaffen.

Zusätzlich wird der Nasscom durch – sagen wir mal: vordemokratische – Besonderheiten geprägt. Abgestimmt wird nach Umsatz-Gewichtung – also sozusagen in einem Dreiklassenwahlrecht. Und: Ausscheidende Präsidenten sitzen in einem Altvorderen-Beirat, über den sie erhebliches Beharrungsvermögen gegenüber dynamischen Entwicklungen zeitigen. Beides, so hat jetzt eine Kommission vorgeschlagen, gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.

Im Bitkom, dem deutschen Pendant als IT-Interessensverband, hat jedes Mitglied unabhängig von seiner Größe eine Stimme. Dies mag die Global Player von Zeit zu Zeit frustrieren, weil sie sich einer Stimmenmehrheit gegenübersehen, die jedoch nicht zugleich die Umsatzmehrheit darstellt. Tatsächlich sichert dies aber, dass dynamische, agile Bewegungen von Start-ups schnell Gehör finden können. Damit ist das Bitkom-Präsidium stets gehalten, seine Politik an neuen Entwicklungen zu orientieren. Tut es das nicht, kann die agile Mittelstandsmehrheit seine Repräsentanten abstrafen.

Aber reicht das in einer sich immer mehr zu einer Graswurzel-Branche entwickelnden IT-Industrie? Nicht nur werden die Großen größer, die Kleinen werden auch immer mehr – und agiler. Vielleicht interessiert es in Berlin doch, wenn in Indien ein alter Sack Reis umfällt.