Gartner hat Bock auf Prognosen

Was macht man, wenn die eigenen Prognosen eingetreten sind? – Man erfindet neue Vorhersagen! Und was macht man, wenn die Prognosen nicht eintreten? – Man erfindet noch mehr Vorhersagen!

Eine Mischung aus Review und Preview lieferten die Weisen von der Gartner Group auf dem jetzigen Gartner Symposium IT Expo 2012 in Orlando, Florida. Einiges sind klassische No Brainer – wer das nicht vorhersieht, hat die Welt nicht verstanden. Andere aber haben es in sich. Schauen wir doch mal rein.

Nächstes Jahr soll das Mobiltelefon den Personal Computer als wichtigstes Internet-Endgerät ablösen (abwarten) und dabei sollen vier von fünf Mobiles Smartphones sein (sehr wahrscheinlich). Nur jedes fünfte Smartphone jedoch werde auf Windows 8 laufen (nanana – das mag noch für 2013 gelten, mit jedem neuen Jahr aber wird sich Microsoft durchsetzen).

Der PC wird nicht unbedingt an Bedeutung verlieren, aber seine Funktion als Personal Server neu definieren (totgesagt ist er ja schon seit den Neunzigern). Zwar werden die Zeiten der fetten Clients durch die Ära der Personal Cloud ersetzt. Aber als Bindeglied und Synchronisator zwischen den diversen Endgeräten wird er noch persönliche Dienste leisten (höchst wahrscheinlich, weil es jetzt schon so ist).

AppStores werden nicht nur das Individuum, sondern auch Unternehmen versorgen (wahrscheinlich und unkritisch). IT-Manager stehen damit vor neuen Herausforderungen (das stimmt immer, denn sie sind seit Client/Server und Internet permanent im Hamsterrad der Veränderungen). Zu den Neuerungen gehört die Einrichtung von Unternehmens-AppStores, das Management unterschiedlicher Vertrags- und Bezahlmodi und die Integration unterschiedlichster Anwendungen (stimmt, aber ist es auch richtig?).

Das wird bis zum Cloud Service Brokerage weiter getrieben. Die IT-Abteilung wird Vermittler und Enabler von zusätzlichen Personal Productivity Products (aber war sie das nicht schon immer?)!

Das Internet der Dinge wird kommen (das hat dieser Blog schon oft genug vorhergesagt)!

Big Data wird strategisch – nach ersten Einzelprojekten wird die Massendatenverarbeitung in der Wolke zur „strategischen Infrastruktur“ (genauso läufts immer – über das Projekt zum Prozess). Im Zuge dieser Strukturierung werden Information Warehouses außerhalb der Unternehmens-IT errichtet (abwarten, noch sind das Vertrauen und die Gesetzeskonformität nicht überall gegeben). Der Vorteil werde aber darin bestehen, dass Big Data-Dienstleister zusätzliche Anstrengungen unternehmen werden, um Analysen transparent und nachvollziehbar zu machen (ja, das wäre dann Marketing).

Und warum wird jedermann dies auf seinem mobilen Client nachvollziehen können? Weil In-Memory-Computing nicht nur im SAP-Umfeld, sondern überall reüssiert (angesichts der Verkaufserfolge von HANA eine logische Schlussfolgerung). Analysen werden eine Sache von Minuten, statt Stunden (unwahrscheinlich – denn die Analysen werden im Gleichschritt immer komplexer).

Summa summarum wird sich aus einer heterogenen Wolken-Welt ein neues Ökosystem ergeben, dass die Services vieler (auch der kleinen und mittleren Anbieter) in einen Gesamtzusammenhang stellt (eine Vorstellung, die wir schon bei Client/Server und bei SOA hegten).

Alles das wird eintreten, da können wir zusammen mit der Gartner Group sicher sein – nur nicht genauso wie vorhergesagt. Sondern ein wenig anders – dies ist auch eine Prognose mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Abgespeckt und abgepackt

Gäbe es einen Nobelpreis für Prozessinnovationen, dann hätten deutsche Ingenieure Jahr um Jahr gute Chancen auf diese Auszeichnung. Denn das permanente Herumbosseln an Prozessen, Projekten und Strategien ist eine geradezu sprichwörtliche Paradedisziplin der Deutschen. Kein Wunder also, dass der plakative Titel „Industrie 4.0“ so gar nichts Futuristisches an sich hat. Industrie 4.0 ist bereits heute –in zahllosen Einzelprojekten zwischen Achim und Zugspitze.

Und tatsächlich gibt es doch so etwas wie eine Mini-Nobelauszeichnung der Prozessoptimierung. Verliehen wird er jedes Jahr im Oktober in Berlin, wenn die Bundesvereinigung Logistik zum Deutschen Logistiktag einlädt. Aus einigen guten Dutzend Bewerbungen wählt die hochkarätig besetzte Jury die erfolgreichsten Strategien und Geschäftsideen aus. Dabei haben alle Projekte bereits die wichtigste Auszeichnung erhalten – nämlich die erfolgreiche Praxiserprobung.

Dabei ist es faszinierend, dass die Projektarbeiten stets multidisziplinär sind. Ohne IT geht kaum noch was. Aber ohne intensive Verhandlungen zwischen Lieferanten und Kunden, zwischen Partnern in der Supply Chain läuft auch nichts. Industrie 4.0 geht nicht ohne Kommunikation 4.0.

Das macht der diesjährige Preisträger, der Darmstädter Chemie- und Pharmakonzern Merck, auf eindrucksvolle Weise deutlich. Ausgezeichnet wurde sein Konzept, die rund 3500 verschiedenen

Packmittel – vom Fass bis zur Ampulle, von der Blisterfolie bis zum Schraubverschluss – nicht mehr in großer Stückzahl auf Lager vorzuhalten, sondern Just-in-Time durch die Lieferanten heranbringen zu lassen.

Der Ertrag ist beträchtlich: Merck konnte nach der Umstellung das gebundene Kapital von 14,5 Millionen Euro nahezu halbieren. Aber der Erfolg birgt auch Risiken. Denn jeder Logistikleiter weiß: ein Tag ohne Packmittel ist ein Tag ohne Umsatz. Neben diesem betriebswirtschaftlichen Grundsatz gelten für Pharmahersteller wie Merck zusätzliche gesetzliche Richtlinien, die zur besonderen Qualitätssicherung anhalten. Auch Packmittel müssen geprüft, getestet und zertifiziert werden – und das Charge für Charge.

Das geht nicht ohne die Mitarbeit der Lieferanten, die einerseits Qualitätsprüfungen im Warenausgang vornehmen, andererseits aber auch höchste Qualitätserwartungen erfüllen. Überprüft wird dies durch regelmäßige Audits, in denen die Lieferanten Sorgfalt und Compliance nachweisen. Dafür zahlt man dann auch im Zweifel mal etwas mehr für die Kiste…

Das aber ist vielleicht der wahre Standortvorteil, den die Deutschen genießen können: ein dicht geknüpftes Netz aus Hochleistungs-Lieferbeziehungen. Exzellenz ist keine Einzelleistung, sondern ein Teamplay. Merck spart, weil nicht an der Kommunikation gespart wird.

Die Automobilindustrie hat vorgemacht, wie ein minutiöses Taktgefühl im Wertschöpfungsprozess nicht nur zu günstigeren Produktionen, sondern auch zu zusätzlichen Leistungen führen kann. Dabei ist der Taktgeber nicht mehr das Fließband, sondern die Informations- und Kommunikationstechnik. Erfolgreiche Lieferbeziehungen schlagen mit dem Puls der Mikroprozessoren – egal, ob sie in einem Server, einem Laptop oder in einem Smartphone arbeiten.

Hardball mit Hardware

„Es macht Spaß in einem Unternehmen zu arbeiten, das nicht mit Microsoft in Konkurrenz steht.“ Das sagte der damalige Google-CEO Eric Schmidt vor ziemlich genau zehn Jahren. Jetzt, als Google-Verwaltungsrat, wünscht er sich diese wunderbare Situation zurück. Dabei könnte seine Situation misslicher sein. Denn Microsoft ist – zumindest im Urteil des IT-Veterans – eine gut geführte Firma… – die es jedoch nicht schaffe, State-of-the-Art Produkte auf den Markt zu bringen.

 Das habe sich für die Company aus Redmond solange nicht negativ ausgewirkt, wie das „strukturelle Monopol“ (Schmidt) rund um das Desktop-Betriebssystem Windows funktionierte. Dort, meint Schmidt, werde es auch weiter anhalten. Bei den mobilen Endgeräten jedoch funktioniere das bekannte Microsoft-Monopoly nicht. Hier herrschen andere Regeln. Und die beherrschen Google und Apple besser – in bester Rivalität.

Doch dieses strukturelle Dilemma will Microsofts Boss Steve Ballmer nun durchbrechen – und die Windows-Company zu einer Dienstleistungs- und Endgeräte-Firma umschmieden. „Service and Device“, das ist der IT-Doppelbeschluss, mit dem Ballmer die „Viererbande“ aus Apple, Google, Amazon und Facebook überholen möchte – oder ihr fünftes Mitglied werden will. Denn im Web der vierten Dimension heißen die Machtpositionen Einzelhandel (Amazon), Kommunikation (Facebook), Inhalte (Google) und Lifestyle-Device (Apple). Was fehlt, wäre die Machtposition „Productivity“, die Microsoft für sich reklamieren könnte.

Denn unter diesem Rubrum verdient Microsoft Geld – das machte CEO Steve Ballmer jetzt in einem mächtig verklausulierten Brief an seine Anteilseigner (eben nicht so richtig) deutlich. Worüber er im Wesentlichen schrieb, war der Wille im mobilen Markt zu reüssieren, indem Windows 8 auf allen Plattformen die erste Wahl werden soll. Und um dies zu beschleunigen, setzt Microsoft auf die eigene Hardware-Produktion für die angekündigten Surface-Produkte. Der damit vom Zaun gerissene Streit mit den Hardware-Partnern war offensichtlich wohl kalkuliert. Denn nach den ersten Lamenti folgt nun der Ehrgeiz: Die Hardware-Partner wollen (und werden) bessere Windows-8-Endgeräte auf den Markt bringen als der Hardware-Newcomer Microsoft.

Aber was will Microsoft mehr als einen Wettbewerb der besten Windows-8-Devices? Es wäre kaum zu empfehlen, Apples Solisten-Status zu kopieren, während sich der Vorsprung für iPhone und iPad marginalisiert. Microsoft wird Apple nicht kopieren – auch wenn es sich so anhört.

Schon die Zahlen, die Eric Schmidt liefert, sprechen dagegen. Täglich, so gab er bekannt, werden 1,3 Millionen Android-Devices aktiviert. Täglich! – Das stellt die keineswegs schlechten Apple-Zahlen in den Schatten. Auf jedes iOS kommen demnach vier Androids.

Beide Verkaufszahlen hingegen marginalisieren die bisherigen Erfolge von Windows 8. Das ist der Grund, warum Ballmer bei der Hardware jetzt Hardball spielt. Das ist der Grund, warum er die Company auf Services and Devices trimmt. Das ist die Kunst, die zur Gunst der Shareholder führt. Aber denen hat Ballmer in seinem Schreiben auch deutlich zu machen versucht: Das Geld verdienen wir (noch) woanders – in unserem „strukturellen Monopol“. Es wird nicht ewig dauern, aber noch lange.

Am Ende wird es vielleicht auf eine ganz andere Consumer-Entscheidung hinauslaufen. Nicht das stylischste Smartphone, nicht das beste Betriebssystem, sondern die Frage: Auf welchem Endgerät läuft das alt-vertraute Microsoft Office am besten? Im März 2013 wird es Office-Apps für den iPad geben. Auch ein Android-Office steht an. Und ein Surface Office sowieso.

Am Ende wiederholt sich die Geschichte: Es ist nicht das Gerät, es ist die Killer-Anwendung, die über den Markt entscheidet. Und da gibt es vier bis fünf Kandidaten, die derzeit Hardball spielen: Kommunikation, Einzelhandel, Inhalt, Lifestyle oder eben doch Produktivität.

CIMsalabim 4.0

Ist das jetzt etwa auch schon ein Vierteljahrhundert her? – vor 25 Jahren füllten die Visionen um das Computer Integrated Manufacturing (CIM), also die (durch) Rechner integrierte Fertigung, so manches Manager-Magazin. Aus der Vision, das Abteilungen nicht länger abgeteilt voneinander operieren sollten, sondern gemeinsam die Ressourcen des Unternehmens steuern und vERPlanen sollen, entstand eine völlig neue Klasse (all)umfassender Unternehmenslösungen: Enterprise Resource Planning. Und jetzt, wo nach Schätzungen im deutschen Mittelstand immer noch jeder fünfte bis jeder vierte Unternehmer auf eine solche Integrationslösung für mehr Effizienz und Transparenz meint verzichten zu können, starten wir bereits den nächsten Raketensatz…

Es ist nicht weniger als „Industrie 4.0“, was das Umsetzungsforum der „Forschungsunion Wirtschaft-Wissenschaft“ der Bundesregierung als Empfehlung für eine Agenda 2020 vorgelegt hat. Die vierte industrielle Revolution bringt nach der Mechanisierung (Dampfmaschine), Automatisierung (Elektrizität), Computerisierung (Mikroelektronik) nun die Individualisierung der Geschäftsprozesse. Denn Ressourcen sollen nicht mehr länger global oder zentral verwaltet, verplant und gesteuert werden. Vielmehr streben wir bis zum Ende des zweiten Jahrzehnts im neuen Jahrtausend eine Umkehrung der Werte an: Die Ware navigiert durch die Supply Chain, das Produkt definiert den Prozess im Unternehmen, der Artikel steuert seine Anwendung.

Es ist das vielbeschworene „Internet der Dinge“, das nun auch schon sein zehntes Jubiläum lange hinter sich hat, das diese Industriestruktur der vierten Generation bewirken soll. Nicht nur Maschinen, sondern Waren werden User im Internet. Sie verfügen über eine eigene IP-Adresse und können so über ihren Status, ihre Bestimmung und die nächsten Schritte Auskunft geben. Ermächtigt werden sie durch sogenannte Cyber-Physical Systems – also sensorisch begabte Handhabungsautomaten, die nicht mehr roboterhaft arbeiten, sondern umgebungs- und situationsbewusst reagieren.

Als freilich CIM vor 25 Jahren die Fertigungswelt umwälzte, waren die Flugzeuge nach Japan und Taiwan voller Eliten in Nadelstreifen, die sich in Fernost Nachhilfe in Sachen Automatisierung und Flexibilisierung holten. Und es war der deutsche Mittelstand – nicht nur, aber allen voran im metallverarbeitenden Gewerbe -, der daraus seine Lehren zog und im positiven Sinne mit dafür verantwortlich ist, dass Europa heute hilfesuchend auf Deutschland schaut. CIM ist eine Erfindung fernöstlicher Kanbaniker, aber das CIMsalabim zur Verwandlung einer ganzen Industrie ist der deutsche Ingenieurbeitrag dazu.

Daran gilt es nun anzuknüpfen. Es geht um die Symbiose von Web und Automatisierung, es geht um das Potenzial aus Cloud Computing und Kybernetik. Zwei Querschnittstechnologien sollen Industrieprozesse in praktisch allen Branchen beflügeln. Dazu ist eine größte Koalition aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik nötig, die nicht nur in Spitzentechnologie und Forschung investieren muss, sondern auch und vor allem in Bildung. Hier orientieren sich auch die großen Wirtschaftsverbände wie VDMA oder Bitkom derzeit neu: Sie fordern im und mit dem BDI seit langem Ausbildungsoffensiven und kreative Maßnahmen zur Stärkung der Hightech-Angebote.

Denn Deutschland braucht nicht nur Industrie 4.0, um den Wohlstand hierzulande aufrechterhalten zu können. Es braucht ebenso eine Bildung 4.0, um den Wissenstand zur Wahrung dieses Niveaus abzusichern. Sonst droht, was sich bereits in vielen Industrieländern abzeichnet: Komplexe Vorgänge werden nicht mehr verstanden, sondern hinter Symbolen simplifiziert. Dann denken wir nicht mehr in Prozessen, sondern in Prozeduren. Industrie 4.0 darf uns das Arbeiten abnehmen, aber nicht das Denken. Sonst folgt CIMsalabim die Entzauberung.