Europas Schutzschirm

Samsung und Apple, Google und Microsoft – der Wettbewerb um die besten Plätze im mobilen Internet wird mit harten Bandagen ausgetragen. Nicht nur am Markt, sondern mehr und mehr auch vor Gericht stehen sich die Rivalen gegenüber, um Positionskämpfe auf der Basis von Patenten und Produktideen auszufechten. Das ist aufreibend und kostentreibend – letzteres zumindest für jene, die vor Gericht unterliegen…

Microsoft hat derzeit zumindest einen Gegner mehr als die anderen: denn Microsoft hat noch immer mit den Auswirkungen des Antitrust-Verfahrens von 2009 zu kämpfen. Damals, so monierten die Europäischen Wettbewerbshüter, hatten Windows-Anwender keine Wahl, mit welchem Browser sie im Internet surfen wollten. Die enge Verknüpfung von Windows und Internet Explorer verschaffe Microsoft einen ungebührlichen Wettbewerbsvorteil.

Die Einigungsformel von damals, die bei der Installation von Windows einen Auswahlbildschirm für alle marktgängigen Browser vorsah, scheint allerdings in Vergessenheit geraten zu sein. Zumindest bei Microsoft: 28 Millionen europäische PC-Benutzer, so klagte jetzt EU-Wettbewerbskommissar, Joaquin Almunia, haben seit dem Release von Windows 7, Service Pack 1, diesen „Browser Ballot“ nicht mehr zu sehen bekommen.

Microsoft hatte den Fehler nicht nur eingestanden, sondern zugleich versichert, dass bis 2014 wieder alle Windows-Anwender den Auswahlbildschirm erhalten sollen – auch  dann, wenn sie Windows 8 installieren wollen. Da aber beginnt das Problem: Während der Internet Explorer 10 sowohl in der klassischen Benutzeroberfläche als auch unter der „Kachel-Version“ der in der letzten Woche vorgestellten Surface-Tablets läuft, beklagen Wettbewerber, dass sie bislang keine Möglichkeit hatten, ihren Browser entsprechend anzupassen.

Ist das jetzt Marktvorsprung oder Monopol? In einer Zeit, in der „runde Ecken“ zum einklagbaren Wettbewerbsvorteil werden, könnte eine optimale Integration zwischen Betriebssystem und Browser ähnlich bewertet werden. Immerhin ist das Zusammenspiel zwischen Systemsoftware und Internet-Zugang das entscheidende Feature eines mobilen Internet-Endgeräts. Das sollte dann auch für Windows 8 gelten.

Denn davon will Microsoft-Chef Steve Ballmer binnen Jahresfrist bis zu 400 Millionen Devices produziert sehen. Auf diese stattliche Summe sollen sich Smartphones wie Nokia Lumia und Samsungs ATIV sowie die Desktops, Laptops, Tablets und Hybridgeräte kumulieren. Mehr als ein Viertel davon sollten in Europa Käufer finden. Ihnen soll und muss Microsoft nun wieder die Wahl lassen – auch wenn sie unter der Touch-Oberfläche nur eine theoretische ist.

Gleichzeitig kündigte Microsoft an, künftig für Entwickler eine standardisierte Plattform anzubieten, mit deren Hilfe schnell und umfassend Anwendungswelten und Apps für die Windows 8-Umgebung geschaffen werden sollen. Dass hier auch gleichzeitig eine Wahlfreiheit für den Browser als Zielsystem gegeben werden muss, ist kaum anzunehmen, solange die volle Funktionalität der Touch-Oberfläche unter Windows 8 nur mit dem Internet Explorer 10 gegeben zu sein scheint. Es wäre dann nicht das Monopol, sondern die Anziehungskraft einer Marktmacht, die die Browser-Entscheidung beeinflusst.

Dennoch ist Microsoft nicht aus dem Schneider. EU-Kommissar Almunia hat bereits angekündigt, dass er Sanktionen gegen Redmond untersucht. Die könnten fällig werden, auch wenn jetzt der Browser Schutzschirm wieder aufpoppt. Die Höchststrafe wären zehn Prozent des globalen Umsatzes: also bis zu 5,7 Milliarden Euro.

Qualität – ISST – Zukunft

So vergeht die Zeit: Vor 20 Jahren wurde Windows 3.1 freigegeben – die Version, die letztlich den Durchbruch für die Microsoft-Oberfläche brachte. Sie war aber auch der Durchbruch für zahllose Programmierer, die mit Tools und Töölchen, mit Programmen und Progrämmchen die Welt des Personal Computings bereicherten – oder auch verseuchten. Denn noch nie hatte die wunderbare Welt der Software eine solche Entwicklungsexplosion erlebt wie zu Beginn der neunziger Jahre. Und noch nie war so viel lausiger Code geschrieben worden…

„Software ist wie Bananen – sie reift beim Kunden“ – dieser bitterböse Satz fasst die Erfahrungen der damaligen Zeit zusammen. Sicher – auch heute ist fehlerfreie Software ein Ideal, das wir – wie alle Ideale – nicht erreichen. Interessanterweise gibt es auch immer noch kein fehlerfreies Buch – obwohl wir seit 3000 Jahren über Schriftsprache und seit 500 Jahren über den Buchdruck verfügen.

Vor 20 Jahren wurde auch das Fraunhofer Institut für Software- und Systemtechnik gegründet – und zu seinem Jubiläum sei ihm und seinem Institutsleiter, Prof. Dr. Jakob Rehof, herzlich gratuliert. Es ist irgendwie selbsterklärend, dass der ehemalige Qualitätsmanager bei Microsoft dieses Institut 2006 übernommen hat, das sich für mehr Softwarequalität einsetzt…

Anfang der neunziger Jahre – das war auch die Zeit der großen Software-Architekturen. Ich erinnere mich gut an IBMs San Francisco Initiative, die ein weltweites Konsortium von Softwarehäusern zusammenschmiedete, um ein für alle Anwendungsfälle gültiges Application-Framework zu entwickeln. Die Initiative traf sich stets in der Stadt am Golden Gate – mit ebenso gejetlagten australischen wie europäischen Teilnehmern. Heraus kam ein Architektur-Ungetüm, das zwar alle Eventualitäten bis zum japanischen Kaiserkalender einschloss, aber im praktischen Einsatz eher die Erwartungen nicht erfüllen konnte. Mega-Architekturen haben damals praktisch alle globalen Anbieter entwickelt – mit im Vergleich zum Aufwand äußerst überschaubarem Erfolg. Denn die Ökonomie der Softwarewelt entwickelte sich stets dynamischer als die Architekturen, die ihr Ordnung geben sollten.

In dieser Zeit war das ISST angetreten, um mehr Qualität in die mittelständische Softwarewelt zu bringen. Getreu dem Fraunhofer-Prinzip, Grundlagenforschung mit Wirtschaftsförderung zu verbinden, entwickelten die Forscher in Dortmund und Berlin mittelstandstaugliche Konzepte, wie mit ingenieurmäßigen Methoden mehr Qualität für Anwendungen und Systeme herauszuschlagen ist. Aus der Softwarebranche wurde eine Softwareindustrie. Sie hat – gerade am Standort Deutschland – wichtige Exportartikel hervorgebracht: wenn „Made in Germany“ unveränderte hochwertige Automobile und Maschinen bedeutet, dann auch, weil in ihnen programmierte Intelligenz schlummert, die Komfort und Sicherheit garantieren.

Jetzt – in der Ära des „Web 3.1“ – stehen wir vor der gleichen Herausforderung: Mit Apps und Services aus der Cloud, deren Herkunft und Qualitätsniveau vom Anwender nicht eingeschätzt werden kann, stehen wir wieder in einer Pionierphase, wie sie Anfang der neunziger Jahre bestand. Der Bedarf an Architekten, die uns Hilfestellung dabei geben, qualitätsorientierte Software zu schreiben, ist unverändert hoch. Das mobile Web fordert unabhängige Qualitätswahrer – und mit dem Internet der Dinge, das die Zahl der möglichen Anwendungen und Dienste noch vervielfachen wird, ist der Druck auf Qualität noch wesentlich höher. Was würde geschehen, wenn Millionen Maschinen nach einer Pfeife tanzten, die nicht gestimmt ist? Wir brauchen Normen für funktionssichere Software, die von unabhängigen Forschern erarbeitet werden. Das ISST unsere Zukunft.

Smartisierung

Wenn der gemeine Römer einen blitzgescheiten Zeitgenossen vor sich hatte, dann nannte er ihn nicht blitzgescheit oder clever, sondern „urbanus“ – er unterstellte also eine städtische Herkunft (wohl nicht zu Unrecht im Gegensatz zum Dorftrottel). Wenn wir heute jemanden wegen seiner (oder ihrer) Kopfleistung auszeichnen, nennen wir ihn (oder sie) „smart“ – und referenzieren damit erhellend auf den „Schmerz“ aus dem gleichen Wortstamm. Denn der „smart“ folgte auf eine Stichverletzung, also durch etwas Scharfes – was früher die Klinge, heute eher der Verstand sein dürfte.

Hier auf der Internationalen Funkausstellung in Berlin kehren wir uns nun mit der Smartisierung wieder vom Verstand ab und den Dingen zu, die wir immer blitzgescheiter machen: nach den Smartphones nun den  SmartTVs. Längst im Gespräch sind SmartGrids, die sich zum intelligenten Stromnetz ausweiten lassen. Anderswo reden wir schon vom SmartTraffic und meinen Verkehrsleitsysteme, die direkt mit den Autos kommunizieren.

Immerhin 18 Millionen  Smartphones werden laut gfu in diesem Jahr in Deutschland verkauft. Die SmartTVs gehen bereits in einer Stückzahl von 5,7 Millionen über den Ladentisch – das ist mehr als die Hälfte aller verkauften Fernseher hierzulande. Auch BMW, Daimler und der Volkswagenkonzern mit seinem Dutzend Marken statten ihre Fahrzeuge mit SmartFeatures aus – beispielsweise mit Funktionen, die Wetterbedingungen an nachfolgende Autos „weitersagen“.

Die Zahlen belegen den Trend der dritten IT-Revolution. Nach „einem Computer für viele“ und „einem Computer für einen Benutzer“ kommen jetzt „viele Computer für einen“. Derzeit sollen zwei Milliarden Maschinen mit dem Netz kommunizieren können. Durchschnittlich sieben Rechenkerle in unterschiedlichsten Gehäusen – vom Auto bis zum Scanner – sollen für jeden einzelnen Erdenbürger im Jahr 2020 tätig sein. Das wären dann 50 Milliarden smarte Maschinen. Und mit dem Internet-Protokoll in der Version 6 steht den Maschinen auch seit dem Sommer der nötige Adressraum zur Verfügung: Statt der bisher möglichen 3,4 Milliarden Webanschlüsse sind nunmehr 340 Sextilionen möglich.

Was sind schon zwei Milliarden smarte Maschinen gegen 340 Sextillionen möglicher Anschlüsse? Kaum mehr als ein Anfang. Aber mit ihren SmartTVs ist die IFA einer der Paten an der Wiege zum Internet der Dinge. Die Internationale Automobilausstellung ist es mit SmartTraffic allerdings auch. Und die Industriemesse in Hannover kann mit SmartGrid und anderen smarten Maschinen ebenso Patenschaft beanspruchen wie selbstverständlich auch die CeBIT am gleichen Ort, auf der ein großer Aussteller bereits seit Jahren alle dazu auffordert, die Welt ein wenig smarter zu machen.

Es ist zwar etwas ruhiger geworden um das Internet der Dinge – aber es kommt, es ist schon da. Und es verspricht ein Riesengeschäft. Zwar kämpft die Unterhaltungsindustrie gegenwärtig in Europa mitbis zu zehn Prozent Umsatzeinbruch, der dem Preisverfall und der Kaufzurückhaltung geschuldet ist. Nur die Deutschen kaufen derzeit, was das smarte Angebot hergibt. Das gilt sowohl für den privaten Konsum als auch für die staatlichen Infrastrukturinvestitionen. Während für die Beseitigung von Schlaglöchern auf den Straßen die Mittel gekürzt werden, wird weiter kräftig für die Beseitigung von Funklöchern gezahlt. Der Verkehrswegeplan für das Internet der Dinge hat nun mal Vorrang. Auf lange Sicht werden wir in Smart Cities wohnen, wodurch auch das Lateinische „urbanus“ für smart und städtisch seinen Sinn erfüllt.

Der Preis der Ideen

Während der Olympischen Spiele in London war es Gastwirten untersagt, in Menüs, Werbung oder in der Auslage mit Begriffen wie „Olympia“, „Gold, Silber, Bronze“ oder gar der Jahreszahl „Zweitausendzwölf“ zu werben. Die Nutzung behielten sich einzig und allein die Sponsoren und Veranstalter vor. Die hatten die Begriffe zwar auch nicht erfunden, reklamierten sie aber für diesen Zeitraum als ihr Eigentum. „2012“ war zeitweilig sozusagen patentgeschützt.

Auch das Internet, sagt man, schlägt täglich einen Sargnagel ins Urheberrecht. Tausendmal kopiert – tausendmal ist nichts passiert? Die Kämpfe gegen Fälschungen, Copyright-Verletzungen, Plagiate beschäftigen inzwischen die Gerichte so häufig wie Nachbarschaftsstreitigkeiten.

Und es sind – ganz wie bei Konflikten über den Gartenzaun – auch nicht selten Bagatellen, die da von den Juristen beurteilt werden müssen. Auch vor dem Patentrichter werden immer kleinteiligere Neuerungen und Innovatiönchen diskutiert. Aber dass sich eine Jury gerade einmal eineinhalb Tage Zeit nimmt, um etwa 700 Streitpunkte im Patentfall zwischen Apple und Samsung zu beurteilen, lässt einen doch verdutzt die Augen reiben.

Und erst das Urteil: Nachdem nur wenige Sekunden pro Streitpunkt aufgebracht wurden, konnte sich die Jury ebenso schnell auf eine Milliardenstrafe gegen Samsung einigen. Da hilft es nichts, dass der Smartphone-Riese aus Südkorea Milliardengewinne einfährt und die Strafe gut verkraften kann. Es geht um die Verhältnismäßigkeit der Mittel und der Strafen.

Schon im Gerichtsverfahren rund um den Datenklau, den die SAP-Tochter FutureNow gegenüber Oracle eingestanden hatte, wurde schließlich eine Milliardenstrafe verhängt, die ein langes Ringen um die tatsächlich zu leistende Strafe nach sich ziehen wird. Nichts anderes wird nun zwischen Samsung, Apple und den Gerichten folgen: Das Urteil ist bereits angefochten – jetzt beginnt ein Spiel um Geld und Zeit.

Es geht gar nicht mal unbedingt um die Frage, ob „runde Ecken“ tatsächlich schutzwürdig sind oder gar schützbar, ob die Gesten, mit denen die Touchoberfläche angeregt wird, so unverwechselbar sind oder sein müssen. Es geht eher um die Frage, wie viel Rechtsunsicherheit durch überbordende Patentvergaben geschaffen wird. Allein in einem Smartphone sollen nach Analystenmeinung rund 1000 technische Eigenschaften patentwürdig sein. Wer will da noch das Risiko eines Markteinstiegs eingehen. Wer kann noch beurteilen, ob die Eigenentwicklung auch tatsächlich eine Eigenleistung ist oder doch ein unfreiwilliges oder fahrlässiges Plagiat?

Samsung und Apple teilen sich etwa zwei Drittel des Marktes für Smartphones auf. Noch richten sie sich gegeneinander. Es wäre jedoch nicht unwahrscheinlich, dass beide ihre Patentrechte wechselseitig austauschen – um das letzte Drittel endgültig aus dem Geschäft zu kegeln.

Patente waren einmal dazu da, den Wert der Ideen zu schützen – und nicht zuletzt dem Erfinder ein Auskommen durch seine Innovation zu gewähren. Die Milliardenurteile der Vergangenheit führen jedoch zu einem exakten Gegenteil. Während einerseits die Strafen für Patentverletzungen immer höher ausfallen, werden andererseits die Patente immer weiter bagatellisiert. Wer wollte da noch das Risiko eingehen, als Karpfen unter den Patenthechten zu schwimmen?

Am Ende führt dieser Schutz vor dem geistigen Eigentum zur Verhinderung von geistiger Leistung.