Zen and the Art of Cloud Computing

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber mich hat die CeBIT berührt. Es war nicht unbedingt das Gastland Türkei oder die Technik, es war vielmehr der Spirit of Cooperation, der sich in Diskussionsrunden, Vortragsreihen und Standpräsentationen zeigte. Die Welt ist nicht etwa besser geworden, seit die Leitmesse der Informationswirtschaft unverschämt früh in diesem Jahr ihre Tore geöffnet hat. Aber es schien, als habe der schlechte alte Kasinokapitalismus nun endlich Platz gemacht für, nein, nicht schon wieder Social Media, sondern für mehr: Social Ethics.

Und nirgendwo wurde das deutlicher als in Diskussionen um die Zukunft des Cloud Computings, das – darin stimmten nahezu alle CeBIT-Stürmer überein – ja keineswegs durch eine neue Technologie definiert ist, sondern vor allem eine neue Darreichungsform der Informationssysteme ist, ein neues Bezugsmodell für Software und Services. Natürlich gelten die alten Argumente weiterhin: Kosteneffizienz, Flexibilität und Transparenz aus Anwendersicht. Anbieter hingegen schätzen die Skalierbarkeit, die Reichweite, die Dynamik.

Aber irgendwie schien auf der CeBIT allen Wettbewerbern zu schwanen, dass eine voll ausgebaute Cloud-Infrastruktur nicht nur Flexibilität verspricht, sondern auch Fungibilität. Apps, die über Malls angeboten und eingesetzt werden, Services, die auf Plattformen offeriert und zugeschaltet werden, Prozesse, die im Netz konzipiert und korrigiert werden – all dies wird sich anhand von Usancen und Qualitätsnormen entwickeln und normalisieren, wird konvertierbar und kombinierbar. Die Cloud ist die Anwendungsbörse, die Mall das Parkett.

Aber feierte nicht genau hier, auf dem Börsenparkett, der Kasinokapitalismus fröhliche Urständ? Warum sollte ausgerechnet die Informationswirtschaft davor gefeit sein? Weil Daten und Anwendungen doch nicht so fungibel sind wie Derivate oder Währungen. Weil mit ihnen ein unmittelbarer und individueller Nutzen verbunden ist, der Verbindlichkeiten und Verantwortlichkeiten verlangt. Social Ethics der Informationswirtschaft eben.

Wie SAP zeigt kaum ein Anbieter an der eigenen Metamorphose vom einsam jagenden Flugsaurier zum Kranich im Formationsflug, wie beschwerlich Gullivers Reisen nach OnDemand sind. Vor drei Jahren noch glaubte das Unternehmen in Allmachtsphantasien fest daran, alles alleine machen zu müssen und auf diesem Weg den gesamten Wettbewerb aus dem Web zu räumen. Heute erkennt SAP in seiner Cloud Software weniger einen Service, der ihr ganz allein gehört, als vielmehr eine Plattform für Services und Apps, die von Dritten beigesteuert werden. Zwar schlägt noch immer das alte Reptilienhirn mit dem Reflex durch, der in jedem Partner einen Konkurrenten sieht, der weggebissen gehört. Aber mit SAP Sales OnDemand und SAP Sourcing OnDemand hat SAP auf der CeBIT sich selbst sozusagen als kleine App in die Mall gestellt. Das ist vielleicht nur ein kleiner Schritt für einen Anwender, aber ein großer Sprung für SAP…

Worum es jetzt geht, ist gemeinsam gelebte Qualität ganz im Sinne Robert M. Pirsigs, der Mitte der siebziger Jahre mit „Zen and the Art of Motorcycle Maintenance“ ein neues Qualitätsbewusstsein etablierte, das zwischen dem objektiv statischen und dem subjektiv dynamischen Qualitätsbegriff unterschied. Demnach geht es nicht nur um einen allgemein akzeptierten Qualitätsstandard, sondern auch um Methoden, diesen Standard zu erfüllen und weiterzuentwickeln. Bislang ist die Informationswirtschaft daran gescheitert, ingenieurmäßige Industriestandards zu kreieren. Vielleicht, dies ist zumindest mein persönliches (subjektives) CeBIT-Fazit, gelangt sie in der Cloud sogar darüber hinaus.

Cloudeamus igitur

Neue Technologien sind teuer und – solange noch unerprobt – auch risikobehaftet. Erst mit ihrer Praxiserprobung kommen Sicherheit und Ergonomie. Mit dem Volumengeschäft kommt die Preissenkung – und dann, aber erst dann kommt der technologische Durchbruch im Mittelstand. So sagt es das Marketing-Lehrbuch.

Der Mittelstand gilt als zögerlich bei der Einführung von technischen Innovationen. Dafür hat er gute Gründe: Er wartet ab, bis neue Technologien ihre Kinderkrankheiten überwunden haben, bis Kosten und Risiken kalkulierbar sind und die Rendite gewiss. Seit Jahrzehnten kommen Mittelstandstudien zu dem immer wieder gleichen Ergebnis: Ob Mainframes, Personal Computer oder eBusiness – die Analyse lautet stets: „Der Mittelstand zögert noch bei der Einführung von…“

Hier auf der CeBIT in Hannover findet derzeit die aktuelle Neuauflage dieser Analyse statt. Sie lautet: „Der Mittelstand zögert noch bei der Einführung von Cloud Computing.“ Und auch die Gründe sind die gleichen: Noch sind die finanziellen und technischen Risiken nicht bekannt. Und vor allem: die Sicherheitsbedenken bei Daten und Anwendungen in der Wolke sind für den mittelständischen Anwender noch nicht ausgeräumt.

Hier will der Verband der Cloud-Service-Industrie, Eurocloud Deutschland, jetzt mehr Sicherhit oder zumindest Vertrauen verbreiten. Mit dem Eurocloud Star Audit SaaS sollen die Angebote unter technischen und vertragstechnischen Gesichtspunkten geprüft und mit null bis fünf Sternen versehen werden. Microsoft hat sich bereits mit seinem Cloud-Produkt BPOS zur Auditierung angesagt und erwartet ein Fünf-Sterne-Zertifikat in den Kategorien Anbieterprofil, Vertrag und Compliance, Sicherheit, Betrieb und Infrastruktur, Betriebsprozesse, Anwendung und Implementierung. Pieronet NDH hat das Prüfungsverfahren schon absolviert – Testergebnis: fünf Sterne.

Die Prüfungsfächer zeigen, dass Cloud Computing weniger eine neue Technologie ist, sondern vor allem ein neues Bereitstellungsmodell und damit um Prozesse der partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Anbieter und Anwender. Das begreiflich zu machen dürfte ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Akzeptanz der Wolke im Mittelstand bedeuten. Es geht nicht um ein technisches Produkt, sondern vor allem um die Modalitäten einer Dienstleistung, die transparenter gemacht werden müssen. Ganz allmählich hat sich auf der CeBIT diese Erkenntnis durchgesetzt.

Dabei ist Cloud Computing ohnehin exakt auf die Herausforderungen des Mittelstands zugeschnitten. Allerdings zunächst einmal aus Sicht der Anbieter: Denn die Cloud bietet nicht nur Software as a Service, sondern auch Sales und Support as a Service. Das ist gerade im Softwaregeschäft interessant, wo die Kosten der Anwenderunterstützung schon so manche mutig gestartete Mittelstandsoffensive kaputtgerechnet haben.

Das „Lied von der Wolke“ wurde schon deshalb unisono von der gesamten Ausstellergemeinschaft auf der CeBIT angestimmt. Es ist die einzig wahre Mittelstandsoffensive. Lasst uns also fröhlich sein: Cloudeamus igitur.

Wolken über der CeBIT

Gäbe es für den weltgrößten Event der Informationswirtschaft und Telekommunikation ein größeres Kompliment als zugleich Plattform für die Weltpolitik zu werden? Kanzlerin Angela Merkel betonte den Beitrag der Branche an den gegenwärtigen Umstürzen in Nordafrika, die ohne soziale Netzwerke, ohne mobiles Computing und, ja: ohne die Cloud nicht möglich, oder zumindest nicht so möglich geworden wären. Und irgendwie klang es auch wie ein freundlicher Hinweis an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, der offenbar noch vollends unter dem Eindruck seiner Düsseldorfer Montagspredigt stand, in der er in Deutschland lebende Türken vor einer kulturellen Verschmelzung mit der westlichen Zivilisation warnte. Denn in der Tat findet die Assimilation längst nicht nur in Schulen und auf den Straßen statt, sondern vor allem auch in den sozialen Medien.

Passender konnte also der diesjährige CeBIT-Schwerpunkt gar nicht gewählt werden – und die Aussteller greifen das Thema enthusiastisch auf: Kommunikation, Collaboration und Kostensenkung durch Cloud Computing ist der Themenkanon in den Messehallen. Und mit 4200 Ausstellern sind leicht (plus 2,5 Prozent) mehr Unternehmen gemeldet als im Vorjahr. Und das, obwohl doch wegen der Cloud eigentlich niemand mehr auf die Messe kommen müsste. Die CeBIT findet inzwischen längst nicht nur auf dem Messegelände statt, sondern mehr noch in ihrem eigenen Schwerpunktthema – in der Wolke. Wenn am Ende der IT-Leitmesse die Besucherzahlen addiert werden – Zahlen zwischen 300.000 und 400.000 werden gehandelt, aber festlegen mag sich außer dem BITKOM (330.000) keiner so recht – dann werden die CeBIT-Gänger nicht mitgezählt worden sein, die ihren Marsch durch die Hallen aufs Internet verlegt haben und dort den Blogs und Podcasts von Veranstaltern, Ausstellern, Medienvertretern und Besuchern lauschen. Sie bilden in dieser ersten Märzwoche die vielleicht größte Community der Welt bilden: das soziale Netzwerk der Käufer und Verkäufer, der Ratsuchenden und Berater, der Anleger und Analysten.

Aber soziale Netzwerke bilden sich um ein Gravitationszentrum. Und die CeBIT ist längst eine Marke, die sich sowohl auf dem Hallenbeton als auch im virtuellen Raum behauptet. Die CeBIT ist selbst auf dem Weg in die Wolke, die das ganze Jahr hindurch, rund um die Uhr und rund um den Globus als Marktplatz der „eITelkeiten“ fungiert und einmal im Jahr im März zum Summit ruft – zum Blogsberg sozusagen. Im März wird ein Gastland – im aktuellen Fall die Türkei – aufgerufen, das ganze Jahr hindurch ist dann wieder die ganze Welt zu Gast auf „Wolke CeBIT“. Es wäre nicht falsch, wenn das nächste oder übernächste Gastland der CeBIT ganz einfach die Welt wäre. Die Wolke machts möglich.

Soziale Medien können Gesellschaften verändern, aber sie machen bestehende Formen des Zusammenseins nicht obsolet. Das beweist die CeBIT als klassische Messe. Das gilt aber auch für Interessensvertretungen in der klassischen Organisationsform des Verbands. Der BITKOM beispielsweise ist Europas größte IT-Interessengemeinschaft, deren 1350 organisierten Mitgliedsunternehmen immerhin einen Gemeinschaftsumsatz von 135 Milliarden Euro repräsentieren. Der Anbieterseite soll jetzt eine deutsche Anwendervereinigung gegenübergestellt werden, die aus dem Zusammenschluss mehrere fokussierter Anwendergruppen wie CIOcolloquium, CIO Circle und CIOforum entstehen soll: „Um auch künftig die Wettbewerbsfähigkeit am Wirtschaftsstandort Deutschland zu fördern, müssen wir die Zusammenarbeit der IT-Anwender mit den Lösungsanbietern optimieren. Das geht nur mit einer Stimme“, formulierte es Dr. Thomas Endres, CIO der Deutschen Lufthansa und Sprecher des CIOcolloquiums. Nur mit einer Stimme, nein, mit zwei Stimmen: BITKOM und künftiger CIO-Verband geben hier sicher ein gutes Duett.

„Mr. Watson, come here“

Der Legende nach sind die ersten, jemals über eine elektrische Leitung transportierten Worte die schlichte, aber bestimmte Aufforderung an Alexander Graham Bells Sekretär gewesen, aus dem Nachbarzimmer in das Laboratorium des Telefonerfinders zu kommen: „Mr. Watson, come here – I want to see you.“ Dass Watson dieser Aufforderung nachkam, war der sichtbare Beweis für die erfolgreiche erste Sprachübertragung.

Das war am 10. März 1876 – vor fast genau 135 Jahren. Seitdem haben die Watsons die Telekommunikation und Informationstechnik regelmäßig vorangetrieben – allen voran der 1874 geborene Thomas J. Watson der nach seiner herausragenden (und zum Teil auch dubiosen) Vertreterkarriere bei NCR Generalbevollmächtigter der Computing-Tabulating-Recording-Company wurde, die später IBM heißen sollte.  Aber es war sein Sohn Thomas J. Watson Jr., der in den fünfziger und sechziger Jahren mit der /360-Architektur der Welt einen ersten kompatiblen Computer gab und IBM zu einem Weltunternehmen vergrößerte.

Oder nehmen wir James Dewey Watson, der 1953 zusammen mit Francis Crick die Doppelhelix der Desoxyribonukleinsäure erkannte und damit die Entschlüsselung unserer Erbinformation auf den Weg brachte. Seine nobelpreiswürdigen Erkenntnisse haben uns den ältesten Informationsträger überhaupt lesbar gemacht.

Und jetzt also Watson. Einfach nur Watson. Dass IBMs Trivia-Computer, der jetzt bei der dreitägigen Quizshow „Jeopardy“ die Vertreter der natürlichen Intelligenz gnadenlos auf die Ränge verwies, in seinen Datenbanken auch Referenzen seiner Namens-Vorfahren vorrätig hält, darf getrost unterstellt werden. Sensationell ist seine Leistung – oder richtiger die seiner Programmierer – nicht nur, weil das System im Unterschied zu Suchmaschinen nicht eine beliebig große Sammlung an Treffern präsentierte, sondern die nach Kalkulation wahrscheinlich „richtige“ Antwort. Dies ist kein kleiner Schritt auf dem Weg zu einem „smarteren Planeten“. Dass die Maschine aber auch aus Fakten auf die vorausgegangene Fragestellung rückschließen kann, ist bahnbrechend.

Allerdings – ehe IBM zum hundertsten Geburtstag damit beginnt, den ganzen Planeten ein bisschen smarter zu machen, sollte die Company mit den eigenen Programmierern beginnen. Denn Watson hatte geradezu bilaterale Verspannungen heraufbeschworen, als die Maschine auf die Fakten zu einer US-Stadt, „deren größter Flughafen nach einem Weltkriegshelden benannt wurde und deren zweitgrößter nach einer Schlacht benannt wurde“, antwortete: „Was ist Toronto?“ Toronto aber ist nicht nur falsch, sondern auch in Kanada.

Es gibt also noch einiges zu feilen, ehe Watson, wie IBM jetzt erklärt, im medizinischen Umfeld eingesetzt werden kann. In enger Kooperation mit dem Sprachsteuerungs-Spezialisten Nuance Communications (Dragon Natural Speaking) soll „Dr. Watson“ als Assistent bei der Diagnose von Krankheiten helfen. Ganz wie jener legendäre Arzt Dr. Watson, der in Sir Arthur Conan Doyles Romanen den pragmatischen Gegenpol zum inspirierten, frei assoziierenden Sherlock Holmes bietet, wird der Ärzte-Computer dann statt Weltkriegshelden und Schlachtenstätten die Symptome analysieren und schließlich antworten: „Das ist eine Amyotrophe Lateralsklerose.“ (siehe dort).

Auch bei ähnlich strukturierten Aufgabenstellungen – beispielsweise bei der Maschinenwartung oder auch im Profiling – könnten der künftige „Dr. Watson“ assistieren. Und auch hier gibt es mit Microsofts „Dr. Watson“, der in der Software nach Fehlern und ihren Behebungsmöglichkeiten sucht, bereits einen berühmten Namensvorgänger.

Aus aktuellem Anlass empfehlen wir den Programmentwicklern bei IBM einen ausführlichen Quellenreferenzierungsmechanismus. Sonst wird aus Dr. Watson ganz schnell: Watson.