Egoshooter im Reality-Format

Die letzte Woche brachte eine ganze Reihe hoch interessanter Personalentscheidungen – nicht nur im US-amerikanischen Kongress, wo mit John Boehner der neue starke Mann als Sprecher der Mehrheitsfraktion Einzug hielt. Der Brennpunkt der Egoshooter lag weniger im Osten der USA als vielmehr in Kalifornien, wo die Egoshooter der IT auf unsicherem Terrain um sich schossen und große Geldsummen bewegten – oftmals für nichts, manchmal aber geht es um alles.

Meg Whitman zum Beispiel, die das Online-Auktionshaus Ebay groß und sich selbst zur Milliardärin gemacht hat, hat einen guten Teil ihres Reichtums – rund 140 Millionen Dollar – in den Versuch investiert, den scheidenden Gouverneur des Golden States, den Egoshooter Arnold Schwarzenegger, zu beerben. Die Wähler entschieden sich nach einer der teuersten Wahlkampagnen um ein Gouverneursamt jedoch für den Demokraten Jerry Brown.

Die „Karrierepolitiker in Washington“ (DC) hatte Whitman im Wahlkampf mehrfach mit der Ankündigung scharf gewarnt, der sanierungsbedürftige Bundesstaat Kalifornien werde künftig von zwei Powerfrauen geführt, die wüssten wie man Arbeitsplätze schafft und Nägel mit Köpfen macht. Die Zweite im Egoshooter-Bunde war die ehemalige Konzernchefin von Hewlett-Packard, Carly Fiorina, die wiederum fünf Millionen in ihrem Wahlkampf um den Sitz im US-Senat investierte. Hier entschieden sich die Wähler für die Amtsinhaberin Barbara Boxer. Statt Whitman/Fiorina werden also Brown/Boxer dem gar nicht mehr so goldenen Bundesstaat aus seinem Finanzfiasko helfen.

Etwas weiter nördlich, im US-Staat Washington, kämpften die IT-Ikonen  Jeff Bezos (Amazon) und Steve Ballmer (Microsoft) gegen die Reichensteuer(www.defeat1098.com) und stellten sich damit gegen Bill Gates, der den Topzuschlag für Einkommen über 200.000 Dollar gerne für Bildungsausgaben des Nordoststaates nutzen wollte. Mit einer eigens finanzierten Kampagne haben Bezos und Ballmer sowie der IT-Pionier Richard Allen die Volksbefragung angeheizt und – parallel zum großen US-Wahltag am 2. November – den Griff in die Taschen der Bestensverdiener abgeschmettert.

Unterdessen greift derzeit Oracle vor Gericht in San Francisco in die Taschen der SAP, um Schadensersatz in Milliardenhöhe für den von der damaligen SAP-Tochter TomorrowNow mutmaßlich getätigten Griff in die Unterlagen auszugleichen. „Reine Fantasie“, ja „Wucher“ seien die von Oracles Ober-Egoshooter befeuerten Forderungen, sagen die SAP-Verteidiger, ohne jedoch den Tatbestand selbst zu leugnen. Es ist, als würde John Grishams Bestseller „The Rainmaker“ (im Film mit einem fantastischen Danny DeVito) noch einmal inszeniert.

Während Bill McDermott, einer der beiden Vorstandsvorsitzenden des deutschen Softwareriesen, im Court Room bereits freundlich-sympathische Lichtpunkte setzt, glänzt Oracle derzeit noch mit der zweiten Reihe. Aber der Egoshooter-Showdown bahnt sich bereits an: Larry Ellison wird seinen Auftritt haben und – „wenn´s der Wahrheitsfindung dient“ – Ex-SAP-Chef Léo Apotheker, der sich eigentlich auf seinen Job bei HP konzentrieren wollte – und natürlich auf den Wettbewerb mit Oracle.

Als kreativen Schlichtungsvorschlag sei das folgende in den Ring, pardon: auf die Richterbank geworfen: SAP könnte sich verpflichten, einen US-Wahlkampf für Larry Ellison zu finanzieren – vielleicht nicht schon wieder in Kalifornien, sondern in sagen wir: New York. Lawrence Ellison ist ein Kind der Bronx. Auch SAPs Co-Chef Bill McDermott entstammt dem Big Apple. Er wäre somit vielleicht Larry´s Co-Äh-Vize Running Mate.

Übrigens: Aus der Tatsache, dass dieser Blog erscheint, kann man erkennen, dass der Autor derzeit nicht auf der Geschworenenbank schmort – die Geschworenen dürfen nämlich weder twittern noch bloggen.

Cloud im Sinn

Die Bundesregierung ist in der Wolke angekommen – dies geht aus einem 54seitigen Papier hervor, das unter der Federführung von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle entstanden ist. Cloud Computing nämlich, so heißt es da. Strebt die Bundesregierung an, „die Entwicklung und Einführung zu beschleunigen. Gerade mittelständische Unternehmen und der öffentliche Sektor sollen frühzeitig von den Chancen profitieren.“ Fertig. Nächster Punkt.

Man kann sich vorstellen, wie eine Expertenkommission um diesen Passus gerungen hat. Am Ende kommen wolkige Formulierungen heraus, die über Sonntagsredenniveau kaum hinaus kommen.

Gerade zurückgekehrt von zwei Wochen unter Cloud-Berieselung auf der Gartner ITexpo in Orlando und der IBM IOD Conference (Information on Demand) in Las Vegas, wirkt die Belanglosigkeit dieser regierungsamtlichen Mitteilung geradezu schockierend. Cloud Computing ist längst aus dem Niveau des Sprechblasen-Blabla und der Marketing-Makulatur heraus. Das Papier „Deutschland Digital 2015“ ist aber offensichtlich noch im Ungefähren, Wolkenreichen.

Dennoch ist dies bereits ein Fortschritt. Noch im vergangenen März beklagte BITKOM-Präsident August-Wilhelm Scheer, dass es der Bundesregierung an einem Gesamtkonzept zur informationstechnischen Zukunft des Standorts Deutschland mangele. Jedes Bundesministerium, so beklagte er damals, zupfe sich die Rosinen aus dem Kuchen – hier ein bisschen Datenschutz, dort ein bisschen Kreativwirtschaft – ja und Cloud Computing, an dem wir nunmehr alle „frühzeitig“ profitieren sollen. Professor Scheer nannte diese Kabinettsstückchen im Frühjahr freundlich „unkoordiniert“.

Konkret wäre es beispielsweise, die Kommunikation mit Behörden in Zusammenhang mit Cloud Computing zu bringen und Maßnahmen zur weiteren Entbürokratisierung über ELENA hinaus zu skizzieren. Arbeitstitel: Gouvernement as a Service. Auch ein erneuertes Bekenntnis zur Gesundheitskarte als Beitrag auch zur Gesundheitsmarktneustrukturierung hat einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem Thema Cloud Computing. Und gerade hier ist Datenschutz in der Cloud ein zentrales Problem. An konkreten Themen kann es doch nun wirklich nicht fehlen.

Produkte zu innovieren und Märkte zu erschließen ist sicherlich die Aufgabe der Wirtschaft. Wie man mit der Cloud einen Markt macht und danach so manche Mark (pardon: Euro) macht, dass muss wahrlich nicht Bestandteil einer Regierungsvorlage sein. Aber beispielsweise die konkrete Absichtserklärung, Forschungsaktivitäten auch im IT-Sektor steuerbegünstigt zu würdigen, wäre ein wünschenswerter Passus in „Deutschland Digital 2015“. Die Überführung klassischer (und funktional bewährter) Software in eine On Demand-Welt ist alles andere als banal. Aber die Fördertöpfe sind bei solchen Projekten erstaunlich unergiebig, weil Cloud Computing in der Wahrnehmung nicht zwangsläufig als Innovation bewertet wird. Die Bundesregierung sollte hier unbedingt ihren Technologiebegriff präzisieren.

Stattdessen wird das Papier bei der Ausbreitung von Breitbandanschlüssen konkret: Mindestens drei Viertel aller Haushalte sollen bis 2014 mit hochleistungsfähigen Breitbandnetzen versorgt werden. Klingt gut. Tatsächlich aber ist das Ziel gar nicht so ambitioniert wie es klingt: Wenn allein die Städte versorgt wären, wäre diese Ziel bereits erreicht. Der mobile Anwender aber sehnt sich danach, bei einer Fahrt durch die Rhön oder den Bayerischen Wald nicht den Kontakt mit der Außenwelt zu verlieren.

In Dresden, wo demnächst der nächste IT-Gipfel zwischen Wirtschaft und Politik stattfinden wird, ist „Deutschland Digital 2015“ eine Tischvorlage. Vielleicht gibt’s dann noch ein Papier 2.0. Es reichen auch kleine Schritte, wenn sie nur – bitteschön – etwas konkreter wären.

Orlando: The True Web of Conspiration

Wie war das noch mal mit der Cloud? – Also Vorteil # 1: Wir können weltweit auf die gleichen Ressourcen zurückgreifen. Vorteil # 2: Wir konzentrieren uns auf Daten und Informationen, die Plattform wird von Dritten bereitgestellt. Vorteil # 3: Die Kommunikation jeder mit jedem wird auf ein neues Dienstleistungsniveau angehoben.

Und warum treffen sich dann knapp 8000 IT-Experten in Orlando auf der diesjährigen Gartner ITexpo? – Um Informationen aufzunehmen, die – Web 2.0 sei Dank – auch per Streaming Video, Downloads und Blogs aufgegriffen werden können?

Wir erleben eine Aufbruchsstimmung, die vielleicht vergleichbar ist mit der Ankündigung des PCs – und der Vorstellung von „Information at Your Fingertips“ gut zehn Jahre danach. Cloud Computing in allen seinen Facetten hat die IT-Gemeinde elektrisiert, und auf dem Gartner-Gathering ist das mit Händen zu greifen.

Dabei steht interessanterweise die Technik nicht im Vordergrund – vielleicht ein Grund, warum so viele nach Orlando gekommen sind. Und es ist auch nicht das Business allein, das hier den Takt und den Ton angibt. Was die Teilnehmer am großen IT-Tam-Tam fasziniert, sind die neuen Regeln, Realitäten und Rangordnungen, nach denen wir künftig „das Leben“ und „den Laden“ managen.

Regeln? Ja: Altgediente Markt- und Marketing-Regeln werden relativiert. Erstens: Alles hat von Anfang an einen weltweiten Maßstab – die Nische ist global. Zweitens: Nichts ist jemals fertig – das nächste Release ist höchstens ein halbes Jahr entfernt. Drittens: Der Zeit- und Marktvorsprung muss täglich verteidigt werden. Viertens: Innovativ sein allein genügt nicht, man muss auch gute Idee kopieren können.

Realitäten? Ja: Wenn sich die Möglichkeiten des Geschäfts- und Privatlebens mit der Taktfrequenz des Webs entwickeln, dann müssen Anbieter wie Anwender, Digital Natives und Digital Immigrants ihre Reaktionsgeschwindigkeit anpassen. Sagte ich Reaktion? Im Gegenteil: Die Cloud verlangt Proaktivismus. Apps Malls beispielsweise, die sich rund um mächtige Unternehmenslösungen von Microsoft, Oracle oder SAP entwickeln, laden dazu ein, schnell eine interessante Speziallösung zu produzieren, bereitzustellen, Kleinlizenzen einzusammeln und das Angebot parallel  weiterzuentwickeln. Für lange Planungs- und Konzeptionsphasen bleibt nicht mehr viel Zeit. Es ist wie beim Oklahoma Land Race. Wer zuerst seinen Claim absteckt, schürft auch das Gold.

Rangordnung? Ja: In den Sommerwochen brummte die Gerüchteküche um Merger and Acquisitions. Rund um IBM, Oracle, Microsoft, HP oder SAP bildeten sich immer größere Konzerne. Kaum entstanden, gilt der Cloud-Gigantismus schon als Methode von gestern. Nicht die Konzerne, sondern die Konglomerate rund um die Cloud-Plattformen werden die Dynamik entfalten.

In allen Foyers summt und brummt es von Geschäftsideen für Kooperationen und Communities. Es scheint, als hätten wir erst jetzt das Y2K-Monster erst richtig hinter uns gelassen. Die IT-Konzepte zielten nicht auf die Reparatur der Vergangenheit, sondern auf die Kreation der Zukunft. Das Web of Conspiration – in Orlando konnte man es live erleben.

Orlando-Blog: Die Offensive der Integrationswilligen

Deutschland ringt mit sich selbst in der Integrationsdebatte, die Amerikaner handeln. Wer beim Cloud Computing global erfolgreich sein will, muss sein Angebot nicht nur weltumspannend offerieren, sondern auch integrieren und Hardware, Software, Service aus einer Hand bieten.

Die Einsicht, einen Cloud-Anbieter wieder zu einem vertikal integrierten Unternehmen zu machen, das nahezu die gesamte Angebotstiefe anbietet, führt derzeit zu wildesten Übernahmekämpfen und –gerüchten. Ob HP allerdings tatsächlich ein Anwendungshaus übernimmt – und wenn ja, ob dies tatsächlich SAP sein könnte – bleibt in der Tat noch eine Weile Spekulation. IBM – ebenfalls als möglicher Käufer für SAP gehandelt – müsste dazu ein lang gehegtes Tabu brechen: das Geschäft mit der Anwendungssoftware gehört den Partnern. Dabei scheint es auch in Zukunft zu bleiben.

Vielmehr aktualisiert IBM seine gute, alte Co-Marketing-Strategie, mit der schon die AS/400 vor einem knappen Vierteljahrhundert (mein Gott! so lange ist das schon her) schönste Markterfolge gefeiert hat. Tausend und Deine Anwendung – nur, dass die Plattform jetzt nicht mehr Hardware ist, die sich die Kunden in den Keller stellen, sondern eine Plattform, auf der sich Anbieter und Anwender treffen und gemeinsam Private Clouds gründen. Das Konzept ist der jüngste Ausbruch aus einem Angebotsdilemma: Wenn keiner mehr Hardware kauft, dann soll er eben eine Plattform kaufen.

IBMs jüngster Outburst in diese Richtung heißt CloudBurst, der auf der POWER7-Architektur angeboten wird. Das Angebot richtet sich weniger an Anwender als vielmehr an Softwarehersteller (ISVs – Independent Software Vendors), die über diese Plattform nahezu die gesamten Aufwände an Systemintegration einsparen können: Hardware, Storage, Netzwerk, Virtualisierung, Monitoring und Service Management soll über den CloudBurst-Server ablaufen. Der ISV fügt nur noch seine Anwendungssoftware hinzu.

Das ist das Konzept, das IBM im Mittelstand groß gemacht hat und das PC-Hersteller wie Dell und HP lange Zeit zu kopieren versucht haben. Die vertikale Integration, die IBM dabei im Auge hat, besteht nicht im alleinigen Gesamtangebot der IT-Bausteine, sondern in einer durch die Partner auch auf Branchenspezialitäten hin ausgerichteten Vertikalisierung. Auch das war bereits das Erfolgsgeheimnis der „Schrägen Dreier“ und deren Nachfolger, der AS/400.

Indirekt Applaus bekommt IBM für diesen Ansatz von der Gartner Group, die gegenwärtig in Orlando, Florida, ihren weltweiten Powwow abhält. „Der Strudel an unstillbaren Mergern führt zu Super-Anbietern“, meinte Peter Sondergaard, Senior Vice President of Research bei Gartner, zu Beginn der ITexpo am Montag, die alsbald Gefahr laufen, ins Mittelmäßige abzusinken. „Innovationen kaufen ist eine Sache, aber diese Innovationsfähigkeit auch weiter zu pflegen eine andere.“ Der Kunde aber akzeptiert kein Mittelmaß – nicht mal im Mittelstand.

Aber man kann ja auch wieder auseinander gehen – noch nach jeder Integrationswelle erfolgte die „Deintegration“. Derzeit aber wird gekauft, was die Portokasse hergibt: Oracle hat dem Vernehmen nach 40 bis 50 Milliarden Dollar für Luxuseinkäufe im Portemonnaie. Und auch IBM denkt an Großeinkäufe:  20 Milliarden Dollar sollen es in den nächsten fünf Jahren sein, die der Gigant locker machen will – nachdem er in den letzten zehn Jahren bereits alles in allem 40 Milliarden Dollar ausgegeben hat. In den Statistiken ändert sich dadurch nur wenig: Die großen Fünf der Integration bleiben die großen Fünf.