Die Reise zum Mittelpunkt des Marktes

2010 ist das ideale Jahr für eine Mittelstandoffensive! Warum? Ganz einfach: Die Vereinten Nationen haben das aktuelle Jahr zum Internationalen Jahr für die Annäherung der Kulturen auserkoren. Und wann, wenn nicht jetzt sollten die großen Anbieter von Unternehmenslösungen damit beginnen, sich der mittelständischen Unternehmenskultur anzunähern? – Und natürlich auch den mittelständischen Preisvorstellungen!

Interessant, aber kaum überraschend ist, dass sich diese Annäherung nicht auf dem PC ereignet, dem klassischen Retter der mittelständischen Anwendungswelt, dem Beschützer von Diplomarbeiten in Excel und Basic. Seit 1982, als der Personal Computer das erste Objekt wurde, das das amerikanische Nachrichtenmagazin Time zum „Man of the Year“, zum Mann, pardon: zur Maschine des Jahres ernannte, arbeiteten die großen Softwareanbieter daran, mit PC-gestützten, oder Client/Server-basierten Anwendungswelten nach Mittelerde vorzudringen. Aber inzwischen wissen alle, dass ohne Netz auch der Mittelstand keinen doppelten Boden hat: wer jetzt keine webbasierende Anwendungsarchitektur für den Mittelstand zur Verfügung hat, ist entweder schon tot, oder wird es morgen sein.

SAP begann 2007 – ein wenig vorlaut – mit der Ankündigung von Business by Design und Software as a Service für den Mittelstand. Infor, das sich zunächst einmal eine Anwendungsarchitektur zusammenkaufen musste, ehe daraus eine Strategie erwachsen konnte, setzt in diesen Tagen mit der Ankündigung eines eigenen OnDemand-Angebots für den Mittelstand nach. Microsoft setzt – wie die Automobilindustrie – auf Hybrid und bietet Lösungen für den unternehmenseigenen Server an, die jedoch aus dem Netz heraus gewartet, aktualisiert und optimiert werden können. Auch Sage, das ja mit PC-Lösungen für den Mittelstand groß geworden ist, setzt nunmehr ebenfalls auf Hybride.

Interessant ist dabei nicht einmal die Anwendungsarchitektur selbst, sondern die Fähigkeit der OnDemand-Anbieter, ihren Partnern einen Zutritt zur eigenen Plattform zu gestatten, um eigene, branchenorientierte Ergänzungen und Apps zu ergänzen. Denn von Saleforce und Google lernen heißt, die Dynamik des Webs zu nutzen. Keine noch so große Entwicklungsabteilung kann leisten, was eine mittelstandorientierte Entwickler-Community mit klarem Fokus auf Details zur produzieren vermag.

SAP wird, so sagen Analysten voraus, in der zweiten Jahreshälfte mit einem runderneuerten Business by Design ihre Annäherung an die Kultur des Mittelstands neustarten. Das ist eine gute Nachricht auch für die Partner, die mit Branchenerweiterungen Business by Design zum industriespezifischen Mittelstandspaket ausbauen wollen. Prof. Henning Kagermann, damals noch Chef der SAP, hatte bereits auf der CeBIT 2008 angekündigt, die Branchenexpertise von Partnern wie der Kölner GUS Group für industriespezifische Varianten von Business by Design zu nutzen. Jetzt, im Internationalen Jahr für die Annäherung der Kulturen, werden die ungleichen Partner Ergebnisse folgen lassen.

Wie lange hält die Koalition – und andere Schicksalsfragen

Schicksalsfragen machen Spaß – vor allem zum Beginn eines Jahres. Als wenn sich das Schicksal an Nebensächlichkeiten wie einen Jahreswechsel halten würde. Das Schicksal zählt Taten, nicht Daten.

Dennoch macht es Spaß, dem neuen Jahr gleich mit der Vertrauensfrage zu kommen. Beispielsweise: Wie lange bleibt Trainer Louis van Gaal noch beim FCBM. Oder wie lange bleibt Bayer Leverkusen noch ungeschlagen. Ebenso wichtig ist auch die Frage: Wie lange duldet Angela Merkel noch das Hickhack zwischen FDP und CSU. Oder: Wann kommt die Steuersenkung – und ob?

Oder man könnte das Orakel befragen (Tschuldigung, billiger Wortwitz), wie lange SAP noch unabhängig bleibt – und ob? Die Computerwoche hat sich jetzt damit hervorgewagt (http://www.computerwoche.de/1926774) und Analysten nach ihrer Meinung gefragt. Die Antwort lautet klar und deutlich: Jedes Unternehmen steht heute unter Druck und jedes Unternehmen ist heute in der Lage, Druck auszuüben. Genau – das sehen wir auch so.

Nun, die Baustellen für SAP sind die klassischen Baustellen eines ERP-Altmeisters. Die entscheidende Frage ist, wie SAP ihre bewährten – aber eben auch in die Jahre gekommenen – ERP-Produkte in die Zukunft katapultiert. Business by Design  solle nach erfolgtem und erfolgreichem Re-Design in diesem Jahr durchstarten. Als zweiter Baustein auf dem Weg zu einem lupenreinen Haus für Software as a Service wird sich möglicherweise in diesem Jahr noch die On-Demand-Strategie für die Business Suite entpuppen. Als Element des Cloud Computings kommen möglicherweise die Entwicklungen aus der Large Enterprise OnDemand Group, die seit vergangenem Jahr an neuen Features für die bestehende Klientel arbeitet.

Es lässt sich nicht mehr übersehen: SAP arbeitet an einer Trendwende zugunsten von Software as a Service auf der gesamten Produktbreite. Und hier nehmen die Walldorfer die Herausforderung ihres Dauerkonkurrenten Oracle an, der in diesem Jahr mit Fusion Apps im Markt für Unternehmens­lösungen so richtig durchstarten will. Lösungen für Finance, Human Resources etc. werden in diesem Jahr ebenso marktbereit sein, wie die smarte Übergangs- oder gar Übernahme-Strategie, bei der Kunden mittels Fusion Teile der bestehenden Unternehmenswelt – also zum Beispiel von SAP – beibe­halten und sukzessive auf Fusion Apps wechseln können. Umgekehrt arbeitet SAP mit Hochdruck an Hauptspeicherdatenbanken, die nicht nur schneller und fürs OnDemand-Geschäft geeigneter sind, sondern auch einen Rückgriff auf Oracles Datenbanken vermeiden helfen sollen. Die Strategie könnte aus dem Wahlkampf abgekupfert sein: Keine Leihumsätze mehr für den ehemaligen Koalitionspartner!

Sicher, der Druck wächst. Aber auch in der Koalition wächst der Druck. Deshalb muss man doch nicht gleich mit ihrem Ende rechnen. Aber unterhaltsam ist es  schon.

Milliarden-Marke und Milliarden-Markt

Am Ende des Tages ist es auch nur eine Umsatzzahl – allerdings eine magische: Experten erwarten, dass SAP in der zweiten Januar-Woche bei der Veröffentlichung ihrer Quartalszahlen für die letzten drei Monate des Jahres 2009 mit einer positiven Überraschung aufwarten wird: zwar werde das Softwarelizenzgegeschäft erneut zurückgehen, aber, so wird spekuliert, das Unternehmen dürfte die magische Marke von einer Milliarde Euro weiterhin deutlich überschritten haben. Dies wäre nicht nur ein versöhnlicher Jahresausklang aus Sicht der SAP, die 2009 nicht nur durch die Wirtschaftskrise, sondern ebenso durch die Analysten arg gebeutelt wurde. Es ist auch ein positives Signal für Software made in Germany.

SAP ist nicht allein Deutschlands größter Softwareanbieter und weltweit die Nummer eins bei Unternehmenslösungen. SAP ist selbst ein Markt – für Software- und Systemhäuser ebenso wie für Berater und Outsourcer. Hustet SAP, leidet eine ganze Branche an Schwindsucht.

Aber Umsatz allein ist kein Mittel gegen Husten – er sichert allenfalls die besten Medikamente. Einer der wichtigsten Wachstumszweige der Zukunft beispielsweise – das OnDemand-Geschäft – hält noch einen verschwindend geringen Anteil am SAP-Geschäft. Die Anwendergemeinde um Business by Design ist (noch) eine geschlossene Gesellschaft. Erst jetzt lassen die SAP-Strategen die Zügel wieder schießen und gehen den Markt mit großem Engagement an. Business by Design muss schneller wachsen als der große Rest der SAP. 2010 wird auch das Schicksalsjahr für Software as a Service.

Sollte das misslingen, wäre es nicht nur schlecht für die SAP, sondern auch ein schlechtes Signal für das OnDemand-Geschäft in Deutschland. Der größte europäische IT-Einzelmarkt zeigt (noch)wenig Euphorie für die Software aus der Steckdose, mit der in der Regel auch ein alternatives Geschäftsmodell verbunden ist – Software zur Miete nämlich. Dabei ist Software as a Service wie geschaffen für den deutschen Mittelstand, der stets ressourcen- und kostenbewusst agiert. Software as a Service adressiert gleich auf mehreren Ebenen mittelständische Kardinaltugenden:

  • Keine Initialinvestitionen durch Hardwarekauf und Lizenzbeträge. Das klassische Argument von Mittelstands-Controllern gegen IT-Modernisierung sind die hohen Einstiegskosten beim Kauf von Hard- und Software.
  • Zentral gesteuerter  Software-Upgrade und –Ausbau. Das klassische Argument von Mittelstands-CIOs gegen IT-Modernisierung sind die hohen Umstellungskosten bei neuen Releases.
  • Weltweiter, mobiler Internetzugriff. Das klassische Argument von Mittelstands-Vertriebsleitern gegen IT-Modernisierung ist der hohe Supportaufwand beim Aufbau eines internationalen Netzwerks.

Argumente, die den Mittelstand überzeugen. Im OnDemand-Geschäft sollte das Umsatzziel für das vierte Quartal 2010 deshalb ebenfalls die Milliardenmarke sein – nicht für SAP, aber für eine ganze Branche. Das Potenzial wäre da.

Lernen für den Gipfel

Der 4. IT-Gipfel hat es noch einmal gezeigt – der Ruf nach einer nationalen Initiative zur Belebung der deutschen Informationswirtschaft findet breiten Konsens – grundsätzlich. Im Detail sieht es dann schon ein wenig uneinheitlicher aus. Zwischen Stärken stärken, Schwächen ausgleichen und Nachwuchs fördern pendeln die Denkschulen hin und her.

Stärken stärken:

Deutschland spiele nur in der zweiten Liga der IT-Champions, heißt es in den Kommentaren zum IT-Standort Deutschland immer wieder. Als weltweit führender Anbieter werde lediglich die SAP in Walldorf augenfällig. Und dieses Phänomen gilt als nationaler Sonderfall. Tatsache ist, dass SAP wie kein anderes Unternehmen deutsche Ingenieurtugenden exportiert – noch immer hat Deutschland die größte Konzentration an Softwarehäusern, die sich mit Enterprise Resource Planning befassen. Viele davon haben jedoch den Sprung auf die internationale Bühne nicht vollziehen können. SAP verdankt inzwischen seine Weltstellung jedoch vor allem der Tatsache, dass sich das Unternehmen in den neunziger Jahren internationalen Herausforderungen gestellt hat. Bestrebungen zur Internationalisierung und Mehrsprachenfähigkeit von Lösungen sollte im Interesse der multilingualen EU sein – und auf jeden Fall förderungswürdig.

Schwächen ausgleichen:

Deutschlands IT-Landschaft ist mittelständisch orientiert. Nach SAP kommt erst einmal – nichts und dann die Software AG. Interessant ist aber, dass sich viele der mittelständischen Softwareunternehmen auf Nischen konzentrieren, in denen sie nationale und internationale marktführende Positionen erreicht haben. Interessant ist auch, dass sich diese Mittelständler oftmals als Veredler von sogenannten Leitarchitekturen verstehen, die aus Datenbanken, Betriebssystemen etc. Anwendungen generieren. Microsoft beispielsweise ist für zahllose Anbieter in Deutschland nicht etwa ein Wettbewerber, sondern ein Markt, auf dem die eigenen Produkte erfolgreich sind. Ähnlich wie in der chemischen Industrie, in der die weltweite Grundstoffprodukte von wenigen globalen Giganten erzeugt werden, aus denen mittelständische Anbieter ihre Enderzeugnisse schaffen, hat sich auch die deutsche IT-Branche aufgestellt: Aus Leitarchitekturen werden Unternehmenslösungen. Auch SAP hat inzwischen dieses Zeichen der Zeit erkannt und setzt bei der Entwicklung ihrer OnDemand-Software Business by Design verstärkt auf die Entwicklungsleistung mittelständischer Partner. So erhalten die Schwachen eine starke Plattform für den weltweiten Marktangang.

Nachwuchs fördern

Die althergebrachten Weltbilder von amerikanischer und asiatischer IT-Dominanz passen kaum noch in das globale Bild junger Weltbürger. Wenn nun, wie der 4. IT-Gipfel bekennt, der Nachwuchs verstärkt gefördert werden muss, um in kommenden Jahren genügend eSkill bei Anbietern und Anwendern vorfinden zu können, so ist das auch nicht nur eine Herausforderung an das Bildungssystem, sondern in hohem Maße an die IT-Unternehmen selbst. Informationstechnologie – und allen voran die Softwareentwicklung – ist eine im wahrsten Sinne grenzenlose Branche. Wer international bestqualifizierte junge Mitarbeiter haben will, muss auch einen international attraktiven Arbeitsplatz und Karrieremöglichkeiten bieten. Dies können Unternehmen wie Microsoft und Google leisten – aber eben auch deutsche Anbieter wie SAP.

Deshalb gilt: Wenn wir unsere Stärken nicht stärken, werden wir den Nachwuchs nicht gewinnen.