Ethik und Arithmetik

Es ist inzwischen Mode geworden, dass Unternehmen ihren globalen Machtanspruch nicht allein mit der Existenz überragender Produkte und der Bereitstellung exzellenter Services begründen, sondern mit ethischen Grundsätzen, die vor allem dann eingelöst werden können, wenn die Welt die Produkte und Services des Unternehmens kauft. Google erinnert seine Mitarbeiter daran, nichts Böses zu tun, Apple seine Kunden, anders zu denken. Siemens glaubt gar, die Welt ändern zu können.

Microsoft hat sein Mission Statement stets um das Thema Personal Productivity ranken lassen: Bis 2011 hieß es: „Your potential. Our passion.“ Danach kam „Be What´s Next“. Seit Satya Nadella CEO in Redmond ist, hört sich die Grundmelodie anspruchsvoller und ansprechender an. Es geht um die Demokratisierung von Technologie. Dieser ethischen These unterstellt er die gesamte Produktwelt – und wichtiger noch, die gesamte Firma. Denn während die Teams in der Gates- und Ballmer-Ära vor allem um Produkte und Lines of Business aufgestellt wurden und sogar dazu ermuntert worden waren, auch gegeneinander und im Wettbewerb zueinander zu agieren, sucht Satya Nadella die Meisterschaft im großen Glasperlenspiel, in dem alle Disziplinen an einem harmonischen Gesamtkunstwerk arbeiten sollen: erfolgreiche Kunden.

Man kann das in seinem Buch „Hit Refresh“ auf nahezu jeder Seite lesen. Man kann es aber auch in seinen Keynotes hören, die er selbst Corenotes nennt und üblicherweise mit einem ethischen Aufruf an Mitarbeiter und Partner beginnt. – So zuletzt am Mittwoch der vergangenen Woche, als er in der T-Mobile Arena von Las Vegas die gemeinsame Session von „Ready“ (für Mitarbeiter) und „Inspire“ (für Partner) eröffnete. Sie müssten nicht allzu sehr auf die großartige Leistung zurückblicken, die Microsoft mit Azure zur klaren Nummer 2 im Cloud Business mit der am schnellsten wachsenden Cloud-Plattform gemacht hat. Sie müssten auf die Anstrengungen schauen, derer es bedarf, um Microsoft-Kunden erfolgreich und besser zu machen.

Denn es ist auch eine Frage der Arithmetik, wenn Microsoft weiter wachse. Derzeit, so rechnete Satya Nadella vor, werden fünf Prozent der weltweiten Wirtschaftsleistung für Technologie ausgegeben. Im Jahr 2030 werden es wahrscheinlich zehn Prozent des globalen Bruttosozialprodukts sein. Ein immens großer Kuchen, den es zu verteilen gilt.

Doch wenn praktisch jeder Gegenstand auf der Welt eine eigene Internet-Adresse nutzt und Daten erzeugt und teilt, dann werden über kurz oder lang auch die restlichen 90 Prozent der weltweiten Investitionen technologiegetrieben sein, weil diese über die Cloud mit Software und Services versorgt werden. Die einfache Rechengleichung lautet: Je mehr Cloud-Kunden auf Azure setzen, desto größer ist Microsofts Anteil an der globalen Wertschöpfung und Produktivitätssteigerung.

So verbinden sich Ethik und Arithmetik zu einem aufrührenden Gesamtanspruch, den Satya Nadella in seiner gut eine Stunde währenden Rede mit großem Charisma transportierte. Die 18.000 Mitarbeiter und Partner waren – und sind es wahrscheinlich noch – begeistert. Sie wären, wenn man sie gelassen hätte, hochmotiviert in die Welt hinausgegangen, um Ethik und Arithmetik in die Tat umzusetzen.

Doch sie kamen stattdessen in Tech-Sessions oder regionale Meetings wie zum Beispiel die deutsche Session. Und größer hätte der Kontrast kaum sein können. Nichts mehr von dem Charisma eines Satya Nadella, dafür aber spröde, wenn nicht sogar öde Produktschau. Es war, als müsste man nach dem Unterricht bei seinem Lieblingslehrer zum Felgaufschwung.

Satya Nadella versteht es, dieses Glasperlenspiel aus Ethik und Arithmetik in eine Vision zu münzen. Wir müssen lernen, die Fackel aufzunehmen und weiterzutragen. Wir brauchen nicht nur Transpiration, sondern vor allem Inspiration. Ein bisschen mehr „gludernde Lot“, wie es Edmund Stoiber seinerzeit bei seinem Versuch, mehr Aufbruchsstimmung in seiner Rede aufzubieten, als unfreiwilliges Bonmot prägte. Dass wir auf dem Alten Kontinent auf der Suche nach einer Vision für Europa sind, könnte unser größtes Problem sein. Dass es Unternehmen hier an Visionen mangelt, ist vielleicht der Grund, warum US-amerikanische und asiatische Konzerne uns den Rang ablaufen. Wir brauchen mehr Corenotes wie die von Satya Nadella.

 

 

Das Stück vom größeren Kuchen

Die Identität von Firmennamen und Produktnamen ist ein bewährtes Mittel, um ein Angebot im Mindset der Kunden zu verankern. Man fährt einen Daimler und entscheidet sich erst in zweiter Linie für die Klasse. Microsoft hat diesen Versuch nie unternommen. Der Firmenname tritt hinter dem Flaggschiff-Produkt zurück. Microsoft ist in seinen Anfängen die „Gates-Company“ und seit den späten achtziger Jahren die „Windows-Company“. Diese Beinamen haben die Redmonder nie mehr verloren. Niemand käme auf die Idee, das Unternehmen die „Nadella-Company“ zu nennen oder die „Azure-Company“, obwohl genau diese beiden Bezeichnungen heute zutreffender wären als alles andere.

Dabei hat der CEO Satya Nadella in den wenigen Jahren, in denen er bislang das Ruder in Händen hält, der Company eine so vollständige Metamorphose verordnet, dass eigentlich nur noch das Firmenlogo an alte Windows-Zeiten erinnert. Das Unternehmen ist agiler als je zuvor, technologisch auf höchstem Niveau – und in allen wichtigen Wachstumsfeldern der Informationstechnologie gehört Microsoft mit zu den Marktführern. Der Aktienkurs ist längst zu den Höchstwerten aus jener Zeit zurückgekehrt, als Microsoft im PC-Markt ein Quasi-Monopolist war. Die Company ruht auf den Fundamenten von Bill Gates und Steve Ballmer, aber die Architektur des Hauses zeigt die Handschrift des dritten CEOs in der Unternehmensgeschichte.

Denn inzwischen zentriert Microsoft seine Kräfte, an denen allein 64.000 Partner für das Cloud-Angebot rund um die Azure Plattform Anteil haben, auf die entscheidende Infrastruktur der Zukunft: Intelligent Cloud und Intelligent Edge. Unter dieser Strategie, die CEO Satya Nadella im Sommer 2017 verkündet hat, werden nicht nur die Cloud-Aktivitäten für Azure, Office und Dynamics zusammengefasst, sondern – wichtiger noch – auch die Aktivitäten rund um Lösungen der künstlichen Intelligenz. Die jüngsten Reorganisationen zeigen, dass Microsoft mit allen verfügbaren Mitteln auf diesen Multi-Billionen-Markt zielt.

Damit verfolgt Satya Nadella einen weiteren wichtigen Marketing-Grundsatz: Achte nicht nur darauf, dass dein Stück vom Kuchen möglichst groß ist, sondern sorge auch dafür, dass der Kuchen selbst immer größer wird. In der Tat ergattert Microsoft nicht nur einen ordentlichen Anteil am Cloud-Geschäft, am mobile Business, am Gaming-Markt, an Unternehmenslösungen und Industrie 4.0, bei Produktivitätstools und in den sozialen Medien. Es sind auch zugleich die Märkte mit den höchsten Wachstumsraten. Und die Prognosen für das Geschäft mit künstlicher Intelligenz stoßen durch die Decke: Gartner schätzt, dass allein im laufenden Jahr 1,2 Billionen Dollar in künstliche Intelligenz investiert werden. Und auch in den Ländern wächst Microsoft mit dem Markt und im Markt. Denn durch die Cloud entsteht nicht nur mehr Reichweite , die auch die entlegensten Regionen dieser Erde berührt, sondern auch in gesättigten Märkten generiert Microsoft zusätzlichen Umsatz durch seine breite Produktpalette. Deutschland beispielsweise ist einer der am schnellsten wachsenden Cloud-Standorte. Und die Debatte um den digitalen Wirtschaftsstandort Deutschland wird den Kuchen weiter vergrößern.

Mag sein, dass das auch daran liegt, dass der Nutzen der Cloud-Lösungen, der Digitalisierung und von künstlicher Intelligenz für Partner und Kollegen nirgendwo so transparent rübergebracht wird, wie in meinem gegenwärtigen Lieblingsblog im Internet. „Olivers Reisen“ (Link) zeigt Woche für Woche, wo im Cloud-basierten Business die Musik spielt. Oliver Gürtler verantwortet die Positionierung und den Vertrieb aller Dienste der Cloud- und Data-Plattform Microsoft Azure sowie der Server- und Entwicklertools, wie SQL Server, Windows Server und Visual Studio, im deutschen Markt. Mit dem Blog schafft er es, diesen schwierigen Auftrag bei den Lesern  in Akzeptanz und Sympathie umzusetzen. Ich jedenfalls fühle mich durch diesen Blog „inspired“ und „refreshed“ und freue mich auf die Inspire im Juli in Las Vegas. Mal sehen, wie groß der Kuchen dann geworden ist.