Die Wolke wird greifbar

 

Wolken haben ein negatives Image: sie verderben uns das Bad in der Sonne und lassen uns Böses für das abendliche Barbecue ahnen. Sind die Aussichten bewölkt, sind sie trübe. Ist der Geist umwölkt, ist er auch trübe. Nichts Gutes also kommt aus der Wolke.

Das geben auch die jüngsten Umfragen zur Marktakzeptanz von Cloud Computing wieder: drei von vier mittelständischen Unternehmen, so ermittelte die IBM in einer Studie, wollen sich in absehbarer Zeit schon deshalb nicht mit Cloud Computing beschäftigen, weil sie dem Braten nicht trauen. Ihre Hauptsorge: Sind die firmeninternen Daten erst einmal auf einer Festplatte irgendwo im Netz, dann sind sie auch vor Missbrauch nicht sicher.

Was in einer globalen Netzwelt passieren kann, nahm der große William Gibson in den achtziger Jahre in seinen Neuromancer-Romanen vorweg, als er die Matrix erfand, zu der jeder je nach finanziellem und intellektuellem Vermögen uneingeschränkten Zugang hatte. Und heutige Datenklau-Skandale scheinen dem Erfinder des Cyberpunk auf das unrühmlichste Recht zu geben. Interessant ist jedoch, dass keine der Datenpannen jenen Anbietern unterlief, die Cloud-Services anbieten. Die größten Sicherheitslücken klaffen immer noch dort, wo Unternehmen für ihre eigenen Daten verantwortlich sind.

Insofern ist der Siegeszug des OnDemand-Computings angesichts der emotionalen und oftmals irrationalen Widerstände, die der Cloud entgegengebracht werden, kaum zu glauben. Aber die drei Ausprägungen des Cloud Computings – Infrastructure, Platform beziehungsweise Software as a Service – stehen bereits für nennenswerte Umsätze. Die Möglichkeit, bei Bedarf ein paar CPUs Rechnerpower dazuzumieten, wird immer besser verstanden. Lösungsplattformen à la Amazon und Google beeindrucken durch stramme Wachstumszahlen. Und wenn beispielsweise SAP nach Startschwierigkeiten inzwischen im guten Wochenrhythmus neue Kunden für ihren Software-Service Business by Design gewinnt, zeigt dies, wie sehr die Wolke sich manifestiert.

SAP muss sich dabei an zwei Fronten bewähren: Mit dem ERP-System Business by Design steht das Unternehmen gegen bestens etablierte Softwarekonkurrenz – vor allem aus dem eigenen Haus. Das auf dem Ende der achtziger Jahre entwickelten R/3 basierende klassische Lösungsangebot der Walldorfer hatte mehrere Jahrzehnte der Reife, um zu jener allumfassenden, mitunter allzu mächtigen Anwendungsarchitektur zu werden, die selbst schon an eine Matrix im Gibson´schen Sinne erinnert. Um wie viel schwieriger gestaltet sich die Markteinführung, wenn der Software-Neuling dann auch noch gegen ein alteingesessenes Business-Modell antritt: Ein Platz in der Wolke zur Miete.

In den neunziger Jahren und in der Zeit nach der Jahrtausendwende hat es eine Vielzahl von fehlgeschlagenen Markteinführungen bei Unternehmenslösungen gegeben: SSA, Baan, JDEdwards und viele andere haben den eigenen Innovationsprozess nicht überlebt. Den Kunden fehlte das Vertrauen in die junge Technologie. SAP hat diese Fehlzündungen im Markt offensichtlich genau studiert und – nach einer etwas vorlauten Produktankündigung im Business by Design als Software für den Mittelstand – also genau dort, wo die Zurückhaltung gegeben Cloud Computing am deutlichsten ist.

Wir müssen reden!

Es gab einmal eine wunderbare Zeit, in der beantworteten die für Öffentlichkeit zuständigen Mitarbeiter der Firma Internationale Büromaschinen jede die zukünftige Entwicklung betreffende Frage mit der schönen Sentenz: „We do not speculate about unannounced products“. Und dabei blieb es dann auch – man hatte wenigstens gefragt. Das Spekulieren übernahmen Analysten, die sich in exklusiven Eigenpublikationen oder im Wall Street Journal über die möglichen Eigenschaften kommender Produktgenerationen ausließen. Und auf der Basis dieser Spekulationen trafen Kunden dann Kaufentscheidungen in Millionenhöhe (Mark, versteht sich!).

Ja, so war das damals, in den fernen 1980er Jahren, als Benutzergruppen noch wie ein Rudel Pfadfinder durch den Anbieterwald pirschten, um den Weg zum nächsten Produktwallfahrtsort zu finden. Am Ort des „Heiligen Hollerith“ oder der „Heiligen Madonna der /360-Architektur“ ließen sich die Anwender, Analysten und Addicts einmal pro Jahr nieder, um den Botschaften von Big Blue zu lauschen – und ein Erinnerungsfoto mit nach Hause zu bringen („Da steh ich vor der Magnetkernproduktion.“). – Das nannte man dann die Pflege von Kundenbeziehungen.

Heute sind Customer Relations gar nicht mehr so einfach – denn erstens verlangen Kunden eine verlässliche Perspektive, während die Zwänge der Börsenlogik Spekulationen geradezu ausschließen. Und zweitens hat der Veranstaltungsgott neben Kunden-Jamboree, -Conference oder Convention noch zahllose Roadshows, Workshops und Meetings gestellt, an denen Anwender, Entwickler und Analysen sich synchronisieren und miteinander sympathisieren können. Und natürlich gibt es Blogs und White Papers, Webinars und Podcasts, auf denen die Kakophonie der Community abgerufen werden kann.

SAP, immerhin eine Gründung ehemaliger IBMer, kommuniziere viel zu wenig mit ihren Anwendern, beklagten jetzt die SAP-Benutzervereinigungen auf den Britischen Inseln. Da hat man nicht nur auf die Sapphire verzichtet, sondern auch sonst in der Dauerdebatte einiges schleifen lassen. „Es besteht die Auffassung, bei SAP mangele es an Innovation“, hieß es auf der UK and Ireland Conference. „Tatsächlich gibt es Innovationen tonnenweise – sie werden nur nicht kommuniziert.“

In der Tat ist da was faul. Seit Monaten lässt sich der deutsche Softwareanbieter, immerhin der weltgrößte Lieferant von Unternehmenslösungen, nahezu unwidersprochen beschimpfen und als Programmierbude verunglimpfen, der noch nicht einmal ein mittelstandgerechtes ERP-System gelinge. Da wird Business by Design zu Business by Desaster umgedichtet – und niemand in der SAP hält dagegen…

Das Ganze erinnert in gespenstischer Weise an die Schockstarre, in der sich IBM Anfang der 1990er Jahre befand, als das Unternehmen auf die 100-Milliarden-Dollar-Umsatzmarke zusteuerte und dabei vergaß, Gewinn zu machen. Fast ein halbes Jahrzehnt hatte Big Blue gebraucht, um sich selbst und damit seine Sprache wiederzufinden. SAP ist nicht mehr misslungen als die zu frühe Ankündigung eines zu anspruchsvollen Produkts. Schweigen ist in dieser Situation Blech. Reden ist Gold.

Same old SOAP

“Ich möchte Ihnen einen guten Rat geben, den Sie vielleicht nicht annehmen wollen, weil Sie jünger sind als ich”, hatte SAP-Aufsichtsratschef Hasso Plattner in einer der seltenen eher ruhigen Minuten während eines hitzigen Streitgesprächs mit Marc Benioff, CEO des CRM-OnDemand-Anbieters Salesforce.Com, gesagt: „Überschätzen Sie Ihre Plattform nicht.“

Plattner hatte Recht – Benioff hat auf diesen Rat, formuliert im April 2008, nicht gehört. Warum auch? Mit Umsatz über 1,3 Milliarden Dollar und der unangefochtenen Position als Pionier des Enterprise Cloud Computing muss Benioff auf niemanden hören – außer, wie der ehemalige Oracle-Mann nicht müde wird zu betonen, auf seine beinahe 70.000 Kunden.

Weil er umgekehrt seit fast zehn Jahren darauf hofft, dass die SAP-Chefköche Plattner, Hopp, Kagermann und nunmehr Apotheker umgekehrt auf seine Rezepte hören könnten, spuckt der Salesforce-Mann konsequent Gift und Galle in den Walldorf-Salat. Jüngstes Beispiel – letzte Woche auf der Dreamforce-Kundenkonferenz in San Francisco. Seit Jahren komme kein innovativer Ansatz von SAP, die Kunden werden für dumm verkauft, dem Softwareriesen drohe eine düstere Zukunft.

SAP trifft die Benioff-Kritik nicht allein – in rascher Folge stehen jeweils Microsoft, Google, IBM und auch Benioffs Ex-Arbeitgeber Oracle im Fadenkreuz. Sie alle haben – laut Benioff – eines gemeinsam: Der Wandel im Geschäftsmodell von OnPremise zu OnDemand geht zu langsam und zu zögerlich, die bereitgestellten Plattformen sind nicht effektiv und leistungsfähig genug, die jeweiligen Communities sind nicht begeisterungsfähig und leisten keinen Beitrag zur Weiterentwicklung. Benioff spuckt jedem in die Suppe – pardon in die SOAP-Architektur.

„Leo, ihm schmeckts nicht!“ – der Suppenkasper aus dem Silicon Valley rührt mit dem Probierlöffel in den SOAPenküchen der Konkurrenten und findet nur in der Mikrowelle aufgewärmte Legacy-Anwendungen an abgehangener Middleware auf kurz virtualisierten Applikations-Servern. Nichts im Vergleich zu Force.Com – der neuen Plattform für die OnDemand-Cuisine.

Wie Lafers, Lichter und Lanz macht Benioff den Larry und wienert der Kochkonkurrenz die Sterne von der Jacke. Wie sehr er selbst nur mit Wasser kocht, zeigte die 90minütige Dauerplauderei zur Ankündigung von Chatter, einem faden Facebook-Lookalike für Prozesse, Personen und Programme. Bemerkenswert ist, dass die Ankündigung für das kommende Frühjahr kaum Resonanz bei der Kochkonkurrenz erzielte: Die servieren weiter ihre fette SOAP à la Maison (sozusagen OnPremise) und experimentieren mit der Lean Cuisine (sozusagen OnDemand) für die nächste Saison.