Es ist eine einfache Rechnung, die Steve Mills, der langgediente Chef von IBMs Software Group, auf einen Bierdeckel schreiben könnte: Für jeden Dollar (oder Euro), der im Rechenzentrum eines großen Anwenders für ERP-Software ausgegeben wird, werden weitere fünf Dollar (oder Euro) in Hardware, Systemsoftware und Dienstleistungen investiert. IBM kämpft seit zwölf Jahren nicht mehr um den Dollar (oder Euro), sondern um das Investment für die Infrastrukturleistungen.
Warum also eine Software-Company wie – sagen wir SAP (oder Infor?) – kaufen, deren Erwerb und Integration Milliarden Dollar (oder Euro) verschlingen würde, wenn deren ERP-Angebote ohnehin nur auf ein Sechstel des Gesamtinvestments zielt. Mills´ Branding, so erklärte er in einem Briefing amerikanischen Journalisten, bleibt der vor zwölf Jahren getroffenen Entscheidung treu: No Business Applications. Stattdessen positioniert sich IBM konsequent als Everybody´s Darling. Mehr als Zehntausend unabhängige Softwareanbieter (ISVs – Independent Software Vendors) gehören zur IBM Ecosphere. Jeder Dollar (oder Euro), den diese Anbieter beim Kunden lockermachen, spült bis zu fünf Dollar (oder Euro) in die IBM Computerkassen.
Was für große Anbieter gilt, gilt erst recht für Anbieter von Cloud Services. Wer seine Software “as a Service“ anbietet, geht rechtliche und technische Risiken ein, die nur mit einem erheblichen Investment in Rechenzentrums-Infrastruktur minimiert werden können. Das ist das Cloud Business, mit dem Steve Mills noch lange gute Geschäfte machen will und kann. Und in der Tat: Kaum ein Cloud-Anbieter von Google über Salesforce bis SAP verzichtet vollständig auf IBM-Produkte. Die Schlacht um Unix, Linux und Open Source hat IBM schlau gemacht. Nach 20 Jahren der Verteidigung gegen den Vorwurf einer vermeintlichen oder tatsächlichen IBM Hegemonie weiß Mills, wie er sich mit Hilfe der Graswurzel-Taktik überall ins Geschäft dübelt. Nicht mit dem Brand der Anwendungssoftware, sondern mit dem Brand, das die Anwendungssoftware überhaupt erst zum Laufen bringt.
Und, meint Mills, ein wirklich großer Anwender hat nicht einfach nur eine Kernsoftware im Einsatz, sondern Tausende, die in einer heterogenen Infrastruktur eingesetzt werden. Überhaupt denken Anwender keineswegs in Anwendungen, sondern in Prozessen, die sie von einem Ende zum anderen durch automatisieren wollen. Das ist zwar die Kernaufgabe eines ERP-Systems, aber ebenso die zentrale Aufgabe der stützenden Infrastruktur. Und die wird sich IBM auch weiter zusammenkaufen: bis zu einem Dutzend Softwarehäuser pro Jahr – also Monat für Monat eine Übernahme – werden seit Mills´ Zeiten in den Konzern integriert. SPSS, der Spezialist für Business Analytics, war das letzte spektakuläre Beispiel. Nur Sun Microsystems passte dann doch nicht in diese Strategie, zu groß, zu notleidend, zu teuer und zu schwer zu verdauen.
Aufgaben wie Datenintegration, Business Intelligence, Analytics, neue Herausforderungen wie Green IT und Security sind Grundsteine, auf denen ERP-Anbieter ihre sicheren Lösungen aufbauen. Aber die Anbieter von Unternehmenslösungen sind gar nicht in der Lage oder nicht dazu angetreten, diese Grundsteine zu legen. IBM sieht sich deshalb in einer Welt des Cloud Computing weniger als Anbieter von Software as a Service, sondern vielmehr als Wächter über die Platform as a Service. Mills Vision ist so simpel wie anspruchsvoll: Überall, wo Cloud Computing draufsteht, ist eine IBM Plattform drin (oder drunter). So übernehmen die ISVs, die Integrierten Software-Verkäufer, auch noch die Verbreitung der IBM-Infrastruktur. Die breitet sich aus wie, ja wie Mills` Brand.