Bill McDermott, SAPs Co-Vorsitzender, hat eine wunderbare Erklärung dafür, warum seine Company im volatilen Weltgeschehen zwischen Crisis und Increase stets erfolgreich sein wird: Wenn Unternehmen ihren Gürtel enger schnallen und sich schlankere Strukturen verpassen, kommen sie zu uns, sagte McDermott. Und wenn sie wachsen und neue Märkte angehen, kommen sie ebenfalls zu uns. Klingt gut. Das Problem ist nur: das gilt ebenso für Oracle, HP, IBM oder Microsoft.
Man müsste also schon ein paar Menüebenen tiefer gehen, um die Differenzierungspotenziale zu identifizieren, die SAP zum Zentrum der Nachfrage nach Business-IT macht: die Vollständigkeit des Software-Angebots, die Cloud-Strategie, das Business-Modell, die Partner-Ökosphäre und nicht zuletzt der Skill der Mitarbeiter. Klingt schon besser. Aber, oops, auch das gilt für Oracle, HP, IBM oder Microsoft – mehr oder weniger.
Und es ist dieses Mehr oder Weniger, das gegenwärtig zur Existenzfrage in einem börsengetriebenen Markt stilisiert wird, in dem auch der größte Softwarehersteller der Welt nicht davor gefeit ist, um seine Unabhängigkeit bangen zu müssen. Dass es mitunter auch für einen Marktführer unmöglich sein kann, sich gegen eine Übernahme zu wehren, hat unlängst die Übernahme-Kampagne der spanischen ACS beim deutschen Baulöwen Hochtief bewiesen. Droht SAP allen Ernstes ein ähnliches Schicksal? Welche Umtriebe im Hintergrund mögen Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe dazu bewogen haben, öffentliche Unabhängigkeitserklärungen abzugeben? Haben die möglichen Käufer schon angeklopft – oder sind es die möglichen Verkäufer in Gestalt der Gründer, die zusammen noch 24 Prozent der Aktien halten, die die Doppelspitze in die Offensive getrieben haben?
Snabe und McDermott verweisen auf die beste Übernahmeversicherung, die sich ein Unternehmen verordnen kann – den Aktienkurs. Der Marktwert von SAP ist in den 14 Monaten nach Léo Apotheker um gut ein Drittel auf 55 Milliarden Euro gestiegen. Und die Börsenphantasien zur Aktie werden weiter angekurbelt: Softwareumsätze sollen von 12,5 Milliarden Euro auf 20 Milliarden Euro in fünf Jahren steigen. „Wir machen alles, um das Unternehmen nach vorne zu treiben – sei es organisch, über Partnerschaften, Joint Ventures oder Merger and Acquisitions“, sagt McDermott. Fressen, um nicht gefressen zu werden.
Auf der nächsten Sapphire werden denn auch die Früchte der jüngsten Großübernahme zu feiern sein: Auf der Basis der Mobilitätslösungen des für 5,8 Milliarden Dollar aufgekauften Spezialisten Sybase werden im Mai neue ToGo-Anwendungen gezeigt. Durchstarten soll dann auch das komplette OnDemand-Geschäft im Mittelstand, vor allem mit Business by Design, aber auch mit Business One. Für ByD-Neukunden offeriert SAP in den USA derzeit heftige Rabatte. Ob das auch die ByD-Partner wollen, die mit knapp kalkulierten Geschäftsplänen für SAPs Aktienkurs in die Marktoffensive gehen?
SAPs Cloud-Strategie könnte die Achillesferse im Unabhängigkeitskrieg bleiben. Die Marktverspätung von ByD, das vor allem den Mittelstand weltweit in die Cloud führen soll, ist nur eine der Problembaustellen. Auch auf dem Weg, die etablierten Produktlinien mit weniger Premise und mehr Promise für die Cloud zu platzieren, kommt SAP nicht so voran wie gewünscht. Die jüngste Personalie mag auch hier einen Hinweis darauf geben, dass die Truppen im Unabhängigkeitskrieg noch nicht optimal aufgestellt sind. John Wookey, der 2008 als Highlevel-Executive von Oracle zu SAP kam, um die OnDemand-Aktivitäten auf allen Produktebenen zu einer gemeinsamen Strategie zu harmonisieren, hat jetzt kurzfristig das Unternehmen verlassen. Ihm war wohl seine eigene Unabhängigkeit wichtiger…