Utz Claassen hält vermutlich den aktuellen deutschen Rekord im Kurzzeiteinsatz als CEO. Nach 74 Tagen verließ der bullige Manager den Kraftwerksbauer Solar Millenium und wehrt sich seitdem gegen die die Rückzahlung des Antrittsgeldes von 9,2 Millionen Euro. Wenn es stimmt, was man derzeit an gegenseitigen Vorwürfen aus dem Prozess hört, dann hat der Kurzstrecken-CEO dem Sonnenkraftexperten zumindest einen Erkenntnisgewinn gebracht: der Businessplan dürfte von einer gewissen Irrationalität geprägt gewesen sein.
Schon immer haben sich Unternehmen in Krisensituationen Alphatiere an die Managementspitze geholt, die die schwächelnden Organisationen aufpäppeln sollen. Doch wenn die Vision, die sie dabei für die Zukunft verkünden, auch noch so süß sein mag, die Maßnahmen zu ihrer Erlangung sind immer bitter, nicht selten schmerzhaft, manchmal radikal. Deshalb holt man sich einen Unternehmer, keinen Unterlasser (lateinisch: ometto – ich unterlasse), kein „Männchen“ in des italienischen Wortes ometto zusätzlicher Bedeutung.
Doch jetzt zeigt sich wieder einmal, dass die größte Unterlassungssünde der Unternehmer in der unzureichenden Kommunikation mit ihrem Management und ihren Gesellschaftern liegt. Léo Apotheker ist zum zweiten Mal damit gescheitert, einem krisengeschüttelten Unternehmen seine visionäre Wurmkur zu verschreiben. 2009 versuchte er, die SAP mit einem Sparkurs zu kurieren, 2011 setzte er bei Hewlett-Packard eine Software- und Service-Therapie an. In beiden Fällen brach der Patient die Behandlung ab und wechselte den Apotheker aus.
Claassen und Apotheker sind nicht allein.
Eben noch war Carol Bartz in den Schlagzeilen, deren Rauswurf bei Yahoo nach immerhin 32 Monaten mit erheblichem Aufwand an Schimpfkanonaden begleitet wurde. Ihre Unterlassung: Toptalente vergrault und Kooperationschancen mit Microsoft verpasst.
Geschichte ist dagegen Gil Amelio, der sich halb so lang – ganze 16 Monate – an der Apple-Spitze hielt und die Company in einen rekordverdächtigen 700 Millionen-Dollar-Verlust trieb. Seine wohlmöglich größte Tat war die Wahl seine Nachfolgers: des wieder in Unternehmen zurückgekehrten Steve Jobs.
Den traurigen Rekord in der IT-Branche hält – nach vorläufigen Ermittlungen – Owen Van Natta mit zehn Monaten Amtszeit. Der COO von Facebook wechselte als CEO zu MySpace und soll dort dem Vernehmen nach durch Unterlassung seinen eigenen Rausschmiss betrieben haben.
Keiner dieser Shorttimer hatte einen lausigen Job gemacht. Sie waren alle in schwierigen Zeiten ans Ruder gekommen und hatten die Ärmel aufgekrempelt, Consultants eingestellt und den Turnaround probiert. Sie haben nur eines unterlassen: die Company, ihre Stakeholder, Talente und Analysten mitzunehmen. Nirgends wird dies deutlicher als während der aktuellen Chaostage bei HP. Die dort designierte Nachfolgerin Meg Whitman hat kaum eine Chance, muss von Anfang an „liefern“ – und wird damit zur schwersten aller Unterlassungssünden gezwungen: dem Verzicht auf eine sorgfältige Analyse der diversen Kurswechsel ihrer Vorgänger.
Sorgenfalten statt Sorgfalt: Die Alphatiere an der Spitze der Global Companies haben keine Zeit für sorgfältige Analyse und Kommunikation. Cogito, ergo ometto: Ich denke, also unterlasse ich. Oder als Karrieretipp insbesondere an Meg Whitman: Ich denke, also lasse ich (den Job)!