Er ist Wochenende für Wochenende Gegenstand von Sonntagsreden – und an den Werktagen ist er der Arbeitgeber von gut drei Vierteln aller sozialpflichtig Beschäftigten: der Mittelstand. Es ist interessant, dass die Unternehmensgröße in Deutschland immer noch als „Stand“ gekennzeichnet ist, der seine Herkunft und sein Selbstverständnis (sic!) aus dem ständischen Gefüge des Mittelalters her zu definieren scheint. Der mittelständische Unternehmer hat es irgendwie also doch sich selbst zuzuschreiben, dass er als rückständig, miefig oder mittelmäßig gilt.
In den anderen großen Sprachen der westlichen Hemisphäre gibt es den Standesbegriff so nicht: der Mittelstand ist dort eher die Middle Class oder middle-sized, Clase Media, Classe Moyenne. Es ist hingegen faszinierend, dass beispielsweise in den USA auch kleinste Unternehmen (wir würden sie auf nervo-bürokratisch „KMU“ nennen) sich selbst als „global companies“ bezeichnen, sobald Kunden außerhalb der Vereinigten Staaten bedient werden. Im Gegensatz dazu gibt es in Deutschland wiederum eine außergewöhnliche Anhäufung von „Hidden Champions“, wie der Unternehmensberater und Wirtschaftsprofessor Hermann Simon erstmals 1990 beobachtete, – jenen in der Öffentlichkeit kaum bekannten Firmen mit nicht mehr als drei Milliarden Euro Umsatz, die gemessen am Marktanteil zu den Weltmarktführern in ihrem Segment gehören.
Ihnen, die sich in ihren Branchen nahezu sämtlich selbst ein Denkmal gesetzt haben, will Bundeswirtschaftsminister Philipp Rösler jetzt ein weiteres Denkmal errichten: „German Mittelstand“. Ziel der neuen Dachmarke ist es, weltweit ein Zeichen für die mittelständischen Tugenden, für mittelständisches Ingenium und für die Artenvielfalt eines ständig vom Aussterben bedrohten Unternehmerstands zu setzen. Der Ex-Exportweltmeister Deutschland, der diesen Titel lange Zeit gerade wegen seiner Hidden Champions behauptete, will im Ausland für eine der wichtigsten tragenden Säulen der German Economy werben, obwohl eine Werbung im Inland fast noch mehr Not täte. Die Mehrfachbelastungen durch Bürokratie, Arbeitsrecht, Steuerrecht und Kreditklemme stemmt der Mittelstand stoisch. Eine Dachmarke schafft hier nicht unmittelbar Erleichterung – aber sie verschafft Awareness, die in Umsatz gedollart, umgerubelt, veryent oder yuanisiert werden kann.
Dabei gibt es schon längst eine Dachmarke, die freilich nicht auf deutschem Boden gewachsen ist, aber zum Gütesiegel schlechthin avancierte: „Made in Germany“. Ursprünglich von den Briten im Merchandise Marks Act von 1887 erdacht, um vermeintlich minderwertige Ware vom Kontinent abzuqualifizieren, wurde der Hinweis zu einem Qualitätssiegel erster Güte. Das ist nicht der Lohn einer Marketinganstrengung im Stile einer Dachmarkenkampagne, sondern dem Streben nach Produkt- und Prozessverbesserungen zu verdanken, wie esfür deutsche Mittelständler typisch ist. Die Wirtschaft genau in diesen Tugenden weiter zu stärken, ihr Finanzierungsmöglichkeiten für Innovationen zu eröffnen und die Möglichkeit zu lassen, sich auf die eigenen Stärken zu konzentrieren, wäre und ist die wichtigste Dachkampagne, die das Wirtschaftsministerium leisten kann.
Der Bundeswirtschaftsminister ist die Unterstützung der großen Branchenverbände, die stark durch mittelständische Unternehmen geprägt werden, gewiss. Aber schon in ersten Statements haben deren Sprecher das Bidirektionale der Initiative betont: Awareness im Ausland, Fairness im Inland.
Einen Nebeneffekt dürfte die neue Dachmarke zusätzlich haben: Nach Taler (Dollar), Gemutlichkeit, Blitzkrieg, Kindergarten und German Angst wird auch der German Mittelstand endlich im englischen Sprachraum ankommen. Und dann vielleicht als Importware auch wieder nach Deutschland zurückkehren, wo das unselige und unsägliche „KMU“ endlich dort landen sollte, wo es hingehört.