Was soll man machen? Das Internet boykottieren oder gar abschalten? Wenn wir künftig unsere gesamte Kommunikation über handbeschriebene Postkarten betreiben würden, könnte zwar immer noch jeder alles lesen, aber der Aufwand wäre so absurd hoch, dass eine Überwachung in dem Maße, wie wir sie offensichtlich seit langem über uns ergehen lassen, kaum durchführbar wäre.
Wir könnten auch den Zeitvorteil des Faxens gegenüber der Postkarte nutzen, um unsere Just-in-Time-Prozesse zu retten. Wobei hier allerdings wieder massenhaft Verbindungsdaten anfallen würden, die von der amerikanischen National Security Agency zu Riesentapeten der weltweiten Geschäftsbeziehungen verdichtet werden könnten.
Im Ergebnis würden dann sicher auch dubiose Unterstützungszahlen nach Syrien aufgedeckt. Solcherart sind ja jetzt die offenbarten Geheimdiensterkenntnisse, die zur Legitimation des unglaublichsten organisierten Vertrauensbruchs herhalten müssen, den die internationale Staatengemeinschaft seit dem Ende des Kalten Krieges ertragen muss.
Entschleunigende Alternativen zur Digitalisierung unserer Geschäftsprozesse gäbe es genug. Aber sie alle sind ein Angriff auf unsere Lebensqualität. Geben wir es zu: wir wollen, ja wir können ohne Digitalisierung nicht mehr leben. Aber verzehrendes Misstrauen, wie es jetzt durch die völlig überzogenen Bespitzelungsmachenschaften geschürt wird, senkt auch die Lebensqualität.
Wir wissen jetzt, dass allein in Deutschland täglich die Verbindungsdaten von 20 Millionen Telefonaten ausgewertet werden; dass die Hauptadern des Internets abgelauscht und angezapft werden; dass Botschaften und EU-Büros verwanzt und bespitzelt werden. Und wir wissen auch, dass es nicht nur die US-Geheimdienste sind, die das Spionieren im großen Stil betreiben. Es sind die Briten ebenso wie die Chinesen und Russen. Und – machen wir uns nichts vor – auch der BND horcht, wo er kann.
Aber das Ausmaß der jetzt ans Licht gekommenen Datensammelwut der NSA, der „Fluch der Akribik“ hinter den Analysemethoden, mit denen das Obama-Regime die Bush-Administration noch zu übertreffen sucht, bleibt schockierend. Es ist dieser amerikanische Präsident, dessen erster Wahlkampf aus der Macht des Internets, aus dem Charme der sozialen Medien seinen Erfolg zog, der jetzt das gesamte World Wide Web, der Big-Data-Analysen, ja das Cloud Computing in Verruf bringt. Oder war es Naivität anzunehmen, dass das Internet, das ohnehin von Anfang an ein Kind der amerikanischen Verteidigungsstrategie war, ein Hort der Freiheit, der Freizügigkeit und des Friedens sein würde.
Wie soll man noch Software as a Service vermarkten, wenn praktisch keine Sicherheitsmaßnahme, die in Service und Security Level Agreements vereinbart wird, rational eingehalten werden kann. Wenn nahezu alle amerikanischen Provider – ob nun wissentlich oder schlicht übertölpelt – zur Mitarbeit am großen Datensilo gezwungen werden, wem kann man dann noch vertrauen? Wie soll man überhaupt die wichtigste Währung des Internets, das Vertrauen, vor einer Depression schützen.
Dass die Vision von einer deutschen Cloud angesichts der abgehörten Internetstränge überhaupt noch Realität werden kann, ist jetzt sowohl eine technische, eine wirtschaftliche und vor allem eine politische Herausforderung. Vorerst kommen Visionen wie Industrie 4.0, Gesundheitskarten, das Internet der Dinge in Verruf, weil sie eine Infrastruktur nutzen, die in Verruf geraten ist.
Vorerst bleibt da nur Zynismus. Abkommen wie Safe Harbour klingen inzwischen eher wie Safe Harvest – sichere Ernte. Ob Cloud oder nicht – die Daten finden ohnehin über kurz oder lang in den neugebauten Datenspeicher in Bluffdale, Utah. – Oder im britischen Cheltenham, dem Gouvernment Communications Headquarters. Oder in einen der anderen Data Hubs auf dieser Welt. Man ist machtlos, zuckt die Schultern und ruft: „So ein Mist! Oh, Bummer“.