Rund 630.000 Existenzgründungen sind nach ersten Schätzungen des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr erfolgt, davon knapp die Hälfte als sogenannte Vollerwerbsgründungen. Ihnen stehen rund 300.000 Insolvenzen gegenüber, so dass unter Vollerwerbsgesichtspunkten der Saldo bei null steht. Gründungen können viele Gründe haben: Spinoffs aus Konzernen und Hochschulen, Erbschaft, Pacht, der Wunsch nach Selbstständigkeit und natürlich die neue Geschäftsidee. – Der Anteil an Startups, also Unternehmen, die schnell wachsen wollen und mit einer innovativen Geschäftsidee oder Technologie auf den Markt kommen, liegt bei rund einem Prozent dieser Gründungen. In Berlin, der deutschen Startup-Hochburg werden insgesamt rund 1800 Startups gezählt, die jünger sind als zehn Jahre. Im Silicon Valley liegt die Zahl mehr als zehnmal so hoch.
Ist Deutschland kein Gründerland? Diese Frage beschäftigt heute den Bundesverband der Deutschen Industrie, der mit einem eigenen Maßnahmenkatalog das Gründungsgeschehen hierzulande beflügeln will. Die Initiative beginnt keineswegs auf unbebautem Boden: Es gibt echte Gründerzentren – neben Berlin auch, Hamburg, Rhein/Ruhr und München. Und die Zahl der Startups steigt seit zwei, drei Jahren wieder, ebenso die Zahl der Förderprogramme und Wagniskapitalgeber. Die Entbürokratisierung der Gründungsprozesse macht schleichende Fortschritte. Und dennoch hat es den Anschein, als müsse man den Deutschen zum Gründen tragen wie den lahmen Hund zum Jagen.
Denn die Deutschen sind ganz allgemein gegenüber dem Wirtschaftsgeschehen deutlich skeptischer als die US-Amerikaner und scheuen das Risiko, sich am Wirtschaftsleben zu beteiligen. Das wurde nach dem Platzen der Dotcom-Blase besonders deutlich: Lag der Anteil an Unternehmensgründern 2003 bei 2,5 Prozent der Bevölkerung zwischen 18 und 65 Jahren, sank die Zahl auf 1,5 Prozent zehn Jahre später. Der Anteil an klassischen Handwerksbetrieben, Kleinbetrieben und Selbstständigen mit traditionellem Geschäftsmodell nahm dabei überproportional zu.
Das Phänomen ging einher mit der Flucht aus den Aktien: Während in den 1990er Jahren zwischen fünf und sechs Millionen Deutsche Teile ihres Vermögens direkt an der Börse oder indirekt über Fonds in Unternehmensanteile steckten, explodierte die Zahl der Shareholder im Jahr 2001, auf dem Höhepunkt der Dotcom-Euphorie auf 20 Millionen, wobei die Zahl der institutionellen Anleger kaum gestiegen war. Es waren also private Haushalte, die am Boom um den electronic Commerce teilhaben wollten. Ihre Zahl ging nach dem Zusammenbruch des Neuen Markts und in der Finanzkrise auf 12,9 Millionen zurück. Direkt am Börsengeschehen nahmen im letzten Jahr nur sechs Millionen Aktionäre teil, 1,2 Millionen davon über Belegschaftsaktien mit zumeist langfristiger Bindung.
Dabei stehen die Chancen für deutsche Startups gar nicht so schlecht: sechs von zehn Startups sind in Deutschland nach fünf Jahren noch im Geschäft. In den USA nur noch fünf. Der Grund: amerikanische Startups gehen stärker ins Risiko und fokussieren darüber hinaus auch stärker auf den Konsumermarkt, während die Deutschen sich im Business-to-Business am wohlsten fühlen.
Und das zurecht: Auch hierzulande haben sich Startups längst als Wachstums- und Beschäftigungsmotor entpuppt. Die rund 1000 vom aktuellen Deutschen Startup-Monitor erfassten Jungunternehmen repräsentieren immerhin 16.000 Mitarbeiter. Insgesamt, so sagt die vom Deutschen Startupverband und KPMG durchgeführte dritte Marktuntersuchung, sind 50.000 neue Stellen durch Startups entstanden. Nach 2,8 Jahren haben in den Startups rund 17,6 Menschen Arbeit gefunden.
Tatsächlich also Grund genug, um mehr Gründungen im Allgemeinen, mehr Startups im Besonderen zu fördern. Der BDI weiß die Bundesregierung hinter sich, die ebenfalls die Gleichung aufstellt, dass mehr Gründungen auch mehr Arbeitsplätze bedeuten. Vor allem mehr Arbeitsplätze von morgen, wenn die Digitalisierung des Lebens viele Hunderttausend traditionelle Stellenprofile obsolet macht.
Die Frage ist nur: Hätten wir mehr Gründungsbereitschaft, wenn noch mehr Fördergelder und Existenzgründungsprojekte ins Leben gerufen würden. Wichtig ist es, vorher das Interesse am Wirtschaftsleben überhaupt zu fördern – in den Schulen, an den Universitäten, in den Medien. Sonst bleibt Deutschland kein Gründerland in dieser Zeit.
Übrigens: Zusammen mit dem Vorsitzenden des Deutschen Startup-Verbands, Florian Nöll, veröffentliche ich rechtzeitig zur SCALE11-Show auf der CeBIT ein Buch zum Thema unter dem Titel „Heute Startups – morgen Mittelstand“.
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