Frühling in Hannover: Die Tulpenfelder auf dem Messegelände sind verhagelt, die Stimmung aber ist sonnig. Auf der Industriemesse setzt US-Bundespräsident Barack Obama seine Charming Tour durch Europa fort, sieht Bundeskanzlerin Merkel auf der richtigen Seite der Geschichte (wo er selbstverständlich auch steht), macht Tempo bei den Verhandlungen um das Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP und schlägt nebenbei eine weitere transatlantische Initiative, diesmal rund um das Industrial Web, auch bekannt als Industrie 4.0, vor.
Sein insgesamt achter Besuch in Deutschland und voraussichtlich letzter Besuch als US-Präsident in Europa steht ganz im Zeichen des „Fertigwerdens“. Vor allem bei der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft – der Transatlantic Trade and Investment Partnership – tanzen alle Beteiligten nervös auf den Zehenspitzen. Denn der mögliche Nachfolger Obamas im Weißen Haus könnte möglicherweise andere Trümpfe ziehen wollen als die bisher ausgehandelten – eine stärkere Beteiligung amerikanischer Unternehmen an EU-Ausschreibungen zum Beispiel. Davor steht im Juni der mögliche Brexit, der zwei Handelsabkommen nötig machen würde, sowie die nicht nur in Deutschland steigende Abneigung gegenüber einer solchen Vereinbarung überhaupt. Auch in den Niederlanden TTIPpen sich immer mehr Politiker an die Stirn.
Dass es zugleich auch im internationalen Ringen um eine bessere Vernetzung der Wirtschaft nicht nur um Partnerschaften, sondern um härtesten Wettbewerb geht, daran lässt Angela Merkel von Davos bis Hannover keinen Zweifel. Doch Zusammenarbeit ist ebenso wichtig – sonst wird es zwischen den großen Industrienationen auf beiden Seiten des Atlantiks keine Standards für die Kommunikation zwischen Menschen und Maschinen geben. Das soll jetzt intensiver vorangebracht werden.
Dabei sehen ohnehin viele Branchenbeobachter die Vereinigten Staaten technisch weit vorn auf der Digitalisierungswelle. Dies gilt nicht nur für die großen, globalen Internet-Konzerne, sondern auch für die weltweit wichtigsten Standorte für Start-ups. Hier liegt Berlin auf Platz neun, während die ersten fünf Ränge ausschließlich von US-Regionen vom Silicon Valley bis zum Boston Belt eingenommen werden. Und schließlich sind auch die Produktionsunternehmen in den USA im Durchschnitt weiter bei der Digitalisierung ihrer Fertigungsprozesse. 28 Prozent der vom Bitkom befragten Unternehmer sehen die USA vorn, 25 Prozent deutsche Firmen. Da kann Kooperation nun wirklich nicht schaden…
Zumal die USA ohnehin schon Deutschlands größter Handelspartner sind: Stolze 173,2 Milliarden Euro betrug die Summe der Importe und Exporte im vergangenen Jahr. Dabei gibt es durchaus ein Ungleichgewicht in der Handelsbilanz: Deutschen Ausfuhren von 113,9 Milliarden Euro standen nur gut halb so viele Einfuhren aus den USA von 59,3 Milliarden Euro gegenüber. Es war also längst überfällig, dass der größte Handelspartner Deutschlands nun auch auf der Industriemesse Flagge zeigt.
Insofern ist die Deutsche Messe schon jetzt Gewinner der eigenen Messe. Die Aufwertung durch den – wenn auch scheidenden – US-amerikanischen Präsidenten ist unübersehbar. Auch wenn wegen der hohen Sicherheitsanforderungen die Hannoveraner noch nicht einmal am Fenster winken dürfen, wenn der Konvoi vorbeifährt – geschweige denn am Straßenrand Tulpen werfen. Allerdings ist die Euphorie für den ersten Afroamerikaner im Weißen Haus hierzulande ohnehin abgeflaut.
Acht Jahre, so heißt es, hat die Deutsche Messe auf diesen Gast hingearbeitet, hat in den USA Lobbyarbeit vom Feinsten betrieben und im US-Handelsministerium antichambriert. Mit Erfolg, der sich auch in nackten Ausstellerzahlen nachweisen lässt: Die Zahl der Aussteller aus Amerika hat sich im Vergleich zu 2014 fast verfünffacht auf 465. Auf der Hannover Messe, lobt Bitkom-Geschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder, „treffen mit den USA und Deutschland jene beiden Wirtschaftsnationen aufeinander, die den Wandel der klassischen hin zur vernetzten Produktion federführend gestalten.“