Wenn sich Geschäftsprozesse oder gar ganze Geschäftsmodelle ändern, müssen die sie tragenden betriebswirtschaftlichen Anwendungen diesen Wandlungsprozess mitgehen. Sonst müssen sie ausgewechselt werden. Im Idealfall sind ERP-Systeme so etwas wie der digitale Zwilling des Unternehmens: Prozesse, die im Enterprise Resource Planning ablaufen, finden auch im ERP-System ihren Niederschlag.
In Zeiten des digitalen Wandels können die Systeme sogar eine zukünftige Realität simulieren und eröffnen somit Unternehmensplanern die Möglichkeit, neue Geschäftsmodelle auszuprobieren, ehe sie sich am Markt bewähren müssen. Zu diesem Ergebnis kommt das aktuelle Whitepaper zum „ERP nach der Transformation“, das der Hightechverband Bitkom herausgegeben hat (Download hier). ERP-Systeme können demnach sogar als Treiber der Modernisierung fungieren. Denn tatsächlich bietet der digitale Wandel auch die Chance, neue Methoden der Kommunikation, der Kollaboration oder des Controllings dadurch zu erkennen und umzusetzen, dass sie erst durch neue Funktionen im ERP-System möglich werden.
Allerdings betrachten wir Maschinen nicht allein als Ressource, die geplant und gesteuert werden, sondern als flexibles Wertschöpfungselement. Produktionsplanung und Manufacturing Execution erfolgen in permanenter Interaktion auf einem Detaillierungsgrad und in einer Unmittelbarkeit, die dem bekannten Schlagwort von der Echtzeit erst seine wahre Bedeutung gibt.
Im Zeitalter der Industrie 4.0 notieren die Sensoren auf der Fertigungsebene den Zustand der Maschinen, die Werkstücke und Waren melden selbst ihren Status an eine zentrale Instanz und stoßen so die nächsten Aktionen an – in Echtzeit. So entstehen neue Möglichkeiten für Planung und Steuerung bis hinunter auf die Losgröße 1 – ein Paradigma, das wir mit der Mechanisierung hinter uns gelassen hatten.
Für ERP-Anbieter verbindet sich damit eine große Herausforderung. Sie müssen die individuellen Entscheidungen ihrer Kunden auf dem Weg in den digitalen Wandel nicht nur nachvollziehen, sondern vordenken. Sie müssen die Konsequenzen des digitalen Wandels nicht nur technisch verstehen, sondern auch markttechnisch. Wie sich die Märkte ändern, so ändern sich auch die Anbieter – und mit ihnen ihr digitaler Zwilling.
Dabei ist die Unmittelbarkeit von Planung und Fertigung, von Nachfrage und Angebot, von Rückmeldung und Reaktion nur eine der Auswirkungen des digitalen Wandels. Als ebenso wirkungsvoll erweisen sich die Methoden zur Analyse von großen Datenmengen, zum Erkennen und Wiedererkennen von Datenmustern, zur Ausprägung neuer Verhaltensmuster auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse. Der digitale Wandel stürmt exponentiell voran, weil er zugleich durch eine Vielzahl von Trends befeuert wird: Big Data, Künstliche Intelligenz, Robotik, Machine Learning. Und alles ist untereinander vernetzt durch die Cloud.
Die Funktions- und Wirkungsweise eines modernen ERP der vierten, ja fünften Generation kann sich in jede Richtung dieser Megatrends weiterentwickeln. Wer sein Unternehmen besser über Zahlen steuert, achtet auf die Modernisierung des Controllings, wer marktgetrieben auf das Feedback der Consumer reagieren muss, investiert in Predictive Analytics. Wer auf eine störungsfreie Supply Chain setzt, konzentriert sich auf Kommunikation und Kollaboration. Und wer vor allem flexibel fertigen möchte, schaut auf die Möglichkeiten der Robotik. Aber in jedem Fall baut er sein ERP-System aus.
Welcher Weg der richtige ist, entscheidet sich von Anwender zu Anwender. Für die Anbieter der ERP-Lösungen kann dies bedeuten, dass sie ihr betriebswirtschaftliches Lösungsangebot offener, flexibler und zugleich kooperativer gestalten müssen – im Dialog mit ihren Kunden auf der Suche nach der richtigen Positionierung.
In jedem Fall aber kommt der deutschen Software-Szene hier die Bedeutung des Enablers zu, die mit dazu beitragen kann, dass Deutschland ein Musterland des digitalen Wandels wird. Die Politik sollte deshalb nicht allein auf die Großen in den führenden Branchen – Automobil. Maschinenbau, Chemie, Elektro und Elektronik – schauen, wenn es um den Marsch durch die Innovationen geht. Gerade die mittelständische deutsche Software-Szene braucht jetzt erleichterten Zugang zu Kapital, zu Fachkräften sowie steuerliche Anreize bei der Schaffung immaterieller Werte. Sie werden sich schnell als substanziell für den Standort Deutschland erweisen.