Das Stück vom größeren Kuchen

Die Identität von Firmennamen und Produktnamen ist ein bewährtes Mittel, um ein Angebot im Mindset der Kunden zu verankern. Man fährt einen Daimler und entscheidet sich erst in zweiter Linie für die Klasse. Microsoft hat diesen Versuch nie unternommen. Der Firmenname tritt hinter dem Flaggschiff-Produkt zurück. Microsoft ist in seinen Anfängen die „Gates-Company“ und seit den späten achtziger Jahren die „Windows-Company“. Diese Beinamen haben die Redmonder nie mehr verloren. Niemand käme auf die Idee, das Unternehmen die „Nadella-Company“ zu nennen oder die „Azure-Company“, obwohl genau diese beiden Bezeichnungen heute zutreffender wären als alles andere.

Dabei hat der CEO Satya Nadella in den wenigen Jahren, in denen er bislang das Ruder in Händen hält, der Company eine so vollständige Metamorphose verordnet, dass eigentlich nur noch das Firmenlogo an alte Windows-Zeiten erinnert. Das Unternehmen ist agiler als je zuvor, technologisch auf höchstem Niveau – und in allen wichtigen Wachstumsfeldern der Informationstechnologie gehört Microsoft mit zu den Marktführern. Der Aktienkurs ist längst zu den Höchstwerten aus jener Zeit zurückgekehrt, als Microsoft im PC-Markt ein Quasi-Monopolist war. Die Company ruht auf den Fundamenten von Bill Gates und Steve Ballmer, aber die Architektur des Hauses zeigt die Handschrift des dritten CEOs in der Unternehmensgeschichte.

Denn inzwischen zentriert Microsoft seine Kräfte, an denen allein 64.000 Partner für das Cloud-Angebot rund um die Azure Plattform Anteil haben, auf die entscheidende Infrastruktur der Zukunft: Intelligent Cloud und Intelligent Edge. Unter dieser Strategie, die CEO Satya Nadella im Sommer 2017 verkündet hat, werden nicht nur die Cloud-Aktivitäten für Azure, Office und Dynamics zusammengefasst, sondern – wichtiger noch – auch die Aktivitäten rund um Lösungen der künstlichen Intelligenz. Die jüngsten Reorganisationen zeigen, dass Microsoft mit allen verfügbaren Mitteln auf diesen Multi-Billionen-Markt zielt.

Damit verfolgt Satya Nadella einen weiteren wichtigen Marketing-Grundsatz: Achte nicht nur darauf, dass dein Stück vom Kuchen möglichst groß ist, sondern sorge auch dafür, dass der Kuchen selbst immer größer wird. In der Tat ergattert Microsoft nicht nur einen ordentlichen Anteil am Cloud-Geschäft, am mobile Business, am Gaming-Markt, an Unternehmenslösungen und Industrie 4.0, bei Produktivitätstools und in den sozialen Medien. Es sind auch zugleich die Märkte mit den höchsten Wachstumsraten. Und die Prognosen für das Geschäft mit künstlicher Intelligenz stoßen durch die Decke: Gartner schätzt, dass allein im laufenden Jahr 1,2 Billionen Dollar in künstliche Intelligenz investiert werden. Und auch in den Ländern wächst Microsoft mit dem Markt und im Markt. Denn durch die Cloud entsteht nicht nur mehr Reichweite , die auch die entlegensten Regionen dieser Erde berührt, sondern auch in gesättigten Märkten generiert Microsoft zusätzlichen Umsatz durch seine breite Produktpalette. Deutschland beispielsweise ist einer der am schnellsten wachsenden Cloud-Standorte. Und die Debatte um den digitalen Wirtschaftsstandort Deutschland wird den Kuchen weiter vergrößern.

Mag sein, dass das auch daran liegt, dass der Nutzen der Cloud-Lösungen, der Digitalisierung und von künstlicher Intelligenz für Partner und Kollegen nirgendwo so transparent rübergebracht wird, wie in meinem gegenwärtigen Lieblingsblog im Internet. „Olivers Reisen“ (Link) zeigt Woche für Woche, wo im Cloud-basierten Business die Musik spielt. Oliver Gürtler verantwortet die Positionierung und den Vertrieb aller Dienste der Cloud- und Data-Plattform Microsoft Azure sowie der Server- und Entwicklertools, wie SQL Server, Windows Server und Visual Studio, im deutschen Markt. Mit dem Blog schafft er es, diesen schwierigen Auftrag bei den Lesern  in Akzeptanz und Sympathie umzusetzen. Ich jedenfalls fühle mich durch diesen Blog „inspired“ und „refreshed“ und freue mich auf die Inspire im Juli in Las Vegas. Mal sehen, wie groß der Kuchen dann geworden ist.

 

Niemand ist eine Insel

„Wenn Siemens wüsste, was Siemens weiß…“ Der leicht ironische Stoßseufzer wird dem ehemaligen Vorstandsvorsitzenden Heinrich von Pierer zugeschrieben. Vermutlich nicht ganz zu Recht, denn er selbst hat vor 18 Jahren dieses Zitat benutzt, um die unselige Ära der Unwissenheit für beendet zu erklären. Damals errichtete Siemens sein konzernumspannendes Netzwerk für das Wissensmanagement. Seitdem sind in vielen Unternehmen Tools für die Verbreitung von „Corporate Wisdom“ in Betrieb genommen worden. Der Erfolg ist nicht unbedingt überwältigend, wie jetzt auch die dritte Deutsche Social Collaborative-Studie der Uni Darmstadt deutlich macht.

Danach ist der vom dortigen Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik entwickelte Reifegrad-Index für den Einsatz von Systemen für das Wissensmanagement und Enterprise Social Networks lediglich bei einem mauen Mittelwert angekommen. Auf einer Skala von 1 bis 7 erreichen die gut 500 befragten Mitarbeiter einen Nutzungsgrad von knapp 4. Sie greifen also zu einem Mix aus digitalen und analogen, persönlichen und vernetzten Productivitytools.

Dabei ist es durchaus interessant zu sehen, in welchen Branchen Werkzeuge für das Wissensmanagement besonders verbreitet sind. Unangefochten steht die Informationstechnik selbst auf dem Spitzenplatz mit einem Reifegrad von 4,89 von 7 – also um einen Skalenwert höher als der Durchschnitt. Ihr folgt der Bereich Pharma/Chemie mit seiner aufwändigen Suche nach neuen Wirkstoffen und der Bereich Kommunikation, was naheliegend genug ist. Geradezu grotesk aber ist es, dass ausgerechnet das Gesundheitswesen mit seinem enormen Bedarf an interdisziplinärer und therapieübergreifender Kommunikation den geringsten Reifegrad aufweist: 3,74 von 7. Der Schutz der Patientendaten scheint immer noch wichtiger zu sein als der Schutz der Patienten selbst…

Dabei schwankt der Einsatz von digitalen Technologien zur Wissensverarbeitung und –verbreitung je nach Einsatzszenario. Bei der Suche nach Experten und beim Austausch in Interessensgruppen werden moderne Tools am wenigsten eingesetzt. Hier scheint der klassische Headhunter ebenso zu überleben, wie die gute alte Email oder das Telefon. Der persönliche Austausch wird aber vor allem in Unternehmen mit großer geografischer Verteilung immer schwieriger. Hier sind Videokonferenzen, Chatgroups und Enterprise Social Networks das Mittel der Wahl.

Mehr Einsatz finden digitale Technologien beim firmenweiten Austausch von Informationen und Wissen und bei der Suche und Nutzung von Formularen und Anträgen. Tatsächlich sind diese beiden Nutzungsszenarien auch die mit der längsten Anlaufzeit. Siemens beispielsweise hat bereits im Jahr 2000 sein erstes unternehmensweites Wissensmanagement-Netzwerk errichtet. Seitdem sind mehrere Folgeversionen entstanden. Das Ziel, dass „Siemens weiß, was Siemens weiß“, dürfte aber noch genau so weit entfernt sein. Das liegt unter anderem daran, dass Wissen und das Management von Wissen ein Moving Target sind. Und nicht zuletzt ist der Mensch in seiner Aufnahmefähigkeit endlich.

Das lässt den Schluss zu, der allerdings in der Studie nicht getroffen wird, dass die heutigen digitalen Technologien zum Wissensmanagement durch die nächste Generation aus KI-gestützten Systemen abgelöst werden. Denn schon heute ist Cognitive Computing, Machine Learning und die Erkennung von Mustern die große Domäne der künstlichen Intelligenz. Diese Tugenden sind aber die Ingredienzen eines arrivierten Wissensmenüs, wie wir es in einer agilen, dynamischen und komplexen Zukunft benötigen.

Sicher ist dabei, dass niemand eine Insel ist, um das schöne Wort des englischen Mystikers John Donne aufzugreifen (was vor mir ja auch schon Johannes Mario Simmel tat). Die Zeit der Allrounder, der 360-Grad-Experten mit lexikalischem Wissen scheint vorbei. Eine ihrer wichtigsten Eigenschaften aber, nämlich die Fähigkeit zum vernetzten Denken, wird immer wertvoller. Während wir also das Wissensmanagement den Maschinen überlassen, ist die Intuition dem Menschen vorbehalten.

 

Verkehrte Welt

Nächsten Montag, am 23. April, öffnet die Industriemesse in Hannover ihre Pforten. Dann drehen sich wieder Kräne, rattern Bohrmaschinen, klappern Förderbänder, pochen Hammerwerke und surren die Fertigungsautomaten. Auf den ersten Blick wird sich gar nicht so viel geändert haben auf dem Messegelände in Hannover. Das Hochfest des deutschen Maschinen- und Anlagenbaus wird wieder einmal zeigen, dass der deutsche Exportüberschuss das Ergebnis harter Ingenieurskunst ist.

Doch es sind schon lange nicht mehr die Maschinen allein. Es sind die deutschen Tugenden wie Prozessoptimierung, Fertigungsautomation, integrierte Logistik und Materialkunde, die Produkte „Made in Germany“ international so beliebt machen. Daran werden wohl auch die Folterwerkzeuge eines amerikanischen Handelskrieges nicht viel ändern. Denn über den Preis hat der deutsche Maschinenbau noch nie verkauft – das wäre ein Wettlauf, den man hierzulande nur verlieren kann.

Wenn aber Functions und Features der deutschen Exportschlager immer mehr aus der Digitalisierung geschürft werden, dann wird die Innovationskraft immer stärker von der Frage abhängen, inwieweit deutsche Unternehmen in der Lage sind, den digitalen Wandel agil und zielorientiert zu betreiben. Das gilt für Anbieter und Anwender in gleichem Maße. Denn einerseits ist für die Fabrikautomation der Grundsatz “driven by Software” entscheidend. Andererseits sind die neuen GeschäftsModelle „driven by Data“. Beides sind hingegen US-amerikanische Tugenden.

Die wahre Industriemesse findet insofern eher in den Hallen statt. Und es ist nicht die klassische Hardware, die die Leistungsschau der HMI bestimmen wird, sondern die lautlose Software, die sich allenfalls in smarten Robotern, durch Gesten gesteuerte Handhabungsautomaten, durch Data Analytics optimiere Prozessketten vom Zulieferer des Zulieferers bis zum Kunden des Kunden manifestiert. So wie die Industrie, so wandelt sich auch die Industriemesse zu einer Digitalschau.

Wenn aber die Hannover Messe Industrie immer mehr den Charakter eines „CeFIT“ – eines Centrums für Fertigungsautomation, Informationstechnik und Telekommunikation – annimmt, wofür braucht’s dann noch des CeBITs? Das oder die Cebit war gut 30 Jahre lang der bürotechnische Aufgalopp zur Industriemesse. Hier wurden erst Computertrends und dann Softwaretrends gesetzt. Die Cebit zeigte Informationstechnik, die Industriemesse, was man daraus macht.

Heute hat die Industriemesse wieder zu sich selbst gefunden und damit zu einer Zeit zurück, in der Maschinen und Methoden eins waren. Nach dieser Wiedervereinigung muss die Cebit zu einer neuen Identität, zu einer neuen Mitte finden. Insofern ist die vielbelächelte Neuausrichtung als eventorientiertes Großereignis nur folgerichtig. Denn wo die Industriemesse das Zusammenspiel der digitalen Wirtschaft zeigt, wird die Cebit das Zusammenspiel unserer Gesellschaft in einer digitalisierten Welt beschreiben und vorleben. Und dieses Gesellschaftsspiel ist eventorientiert. Es setzt die Regeln einer teilenden, interaktiven, agilen und im Dauerdialog mit sich selbst befindlichen Gesellschaft um.
Erst Industriemesse, dann Cebit – der neue Messekalender erscheint nach drei Jahrzehnten wie einer verkehrte Welt. In Wahrheit stellt er aber die Dinge wieder vom Kopf auf die Füße.

Mythos Jobmotor

Der technologische Wandel ist der entscheidende Einflussfaktor im Arbeitsmarkt. Dieses Mantra geht seit Jahrzehnten um in den Studien zu Themen der Automatisierung und Digitalisierung. Je nach Ausrichtung der Studie geht die Tendenz dabei entweder in Richtung potenziellen Arbeitsplatzabbaus oder in die Erwartung auf eine zunehmende Zahl von Arbeitsplätzen.

Nichts scheint ferner von der Wirklichkeit zu sein, folgt man der aufwändigen Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW), der eine intensive Betriebsbefragung zugrunde liegt. Danach hat die Phase der Computerisierung in deutschen Betrieben zwischen 1995 und 2011 zu einem Gesamtbeschäftigtenzuwachs von gerade einmal 0,18 Prozent pro Jahr geführt. Gemessen am tatsächlichen Zuwachs der Beschäftigtenzahl in diesem Zeitraum von 8,5 Prozent sind die Auswirkungen also gesamtwirtschaftlich betrachtet geradezu bedeutungslos.

Auch der aktuelle technologiebedingte Zuwachs an Beschäftigten, der durch Investitionen in Digitalisierung und Industrie 4.0-Technologien beeinflusst wird, ist mit etwa einem Prozent Zunahme pro Jahr eher gering. Dabei geht die Studie davon aus, dass sich die Unternehmen und Organisationen derzeit gerade in einer Investitionsphase befinden, in der zusätzliche Fachkräfte zur Einführung neuer Technologien benötigt werden, ehe sich Rationalisierungseffekte bemerkbar machen können.

Die Studie steht also in einem krassen Gegensatz zu den Marktanalysen, die die Digitalisierung als Ursache für einen massiven Arbeitsplatzverlust ansehen. Tatsächlich halten sich der Abbau von und die Schaffung neuer Stellen ungefähr die Waage. Einen der Gründe sehen die Studien-Autoren in den Analysen der vorangegangenen Technologiesprünge, bei denen sich zwar die Tätigkeitsbereiche der Mitarbeiter gewandelt haben, die Arbeitsplätze an sich aber erhalten blieben. So hat die erste Technologiewelle aus nicht IT-gestützten Maschinen, die den Menschen lediglich bei der Arbeit unterstützen, zwar viele manuelle Routinearbeiten verändert, nicht aber den Arbeitsplatz selbst. Eine weitere Veränderung entstand durch IT-gestützte, indirekt gesteuerte Maschinen, die einen Großteil der Arbeit übernehmen, während der Mensch nur noch indirekt tätig ist. Erst die sogenannten 4.0-Technologien führen zu selbststeuernden Maschinen und Analyseverfahren, bei denen die Arbeitsprozesse weitgehend selbständig und automatisch erfolgen.

Während aber nach ZEW-Einschätzung die Auswirkungen auf die Gesamtbeschäftigung nahezu folgenlos bleiben, ist die individuelle Strukturveränderung im einzelnen Betrieb substanziell. Wer sich also einem Technologiewandel verweigert, verliert an Marktbedeutung. Gleichzeitig entwickeln sich die Tätigkeiten im Unternehmen zu qualitativ immer höherwertigen Aufgaben. Das führt laut ZEW auch dazu, dass die Besoldungs-Schere in den Unternehmen immer weiter aufgeht: von manuellen Routinearbeiten über analytische Routinearbeiten in den untersten Besoldungsstufen bis hin zu analytischen adhoc-Aufgaben mit hohem Individualisierungsgrad. Schöner kann man den Fachkräftemangel in Deutschland nicht beschreiben.

Bei diesem Strukturwandel geht auch die Schere zwischen Nachzüglern und Vorreitern der Digitalisierung immer weiter auseinander. Das ZEW beobachtet hier eine Zwei-Klassen-Wirtschaft, in der die digitalen Vorreiter in der Summe fast doppelt so viele Beschäftigte haben und ein Vielfaches an Umsatz generieren. Sie sehen und nutzen die Chancen der Digitalisierung, während die Nachzügler vor allem Herausforderungen sehen. Vor ihnen zurückzuschrecken, wäre jedoch die falsche Entscheidung.

Leider bietet die Studie bei ihren Politikempfehlungen wenig Neues: Technologieeinsatz vorantreiben, Fachkräftemangel ausgleichen und Mobilität fördern sind die drei Schutzheiligen eines digitalen Wirtschaftsstandorts Deutschland. Diese Aufgaben liegen seit Jahr und Tag auf den Schreibtischen der Bundesregierung. Sie sollten jetzt mit der im Kanzleramt geschaffenen zentralen Verantwortung fürs Digitale auch konsequent umgesetzt werden.

Die Studien-Autoren sind selbst verhalten optimistisch, was die Perspektiven für Deutschland angeht. Ihr Fazit lautet (Zitat): „Wenn es gelingt, neue Technologien in der Breite der deutschen Betriebslandschaft zu fördern, auch indem gefragte Fachkräfte verstärkt ausgebildet und Arbeitskräfte gezielt weitergebildet werden, sprechen die Ergebnisse dieser Studie dafür, dass die neuen technologischen Entwicklungen zu einem Zuwachs an Beschäftigung und Wohlstand für einen großen Teil der Gesellschaft führen können.“

Der Mythos Jobmotor hat aber auch seine dunkle Seite, wie die Autoren ein wenig achselzuckend hinzufügen (Zitat): „Für diejenigen, die auch trotz entsprechender Angebote nicht in die Lage versetzt werden können, in einem sich wandelnden Arbeitsmarkt eine Beschäftigung zu finden, sind darüber hinaus sozialpolitische Maßnahmen notwendig und sinnvoll.“