Wer von künstlicher Intelligenz spricht, bemüht schnell den Androiden mit menschlichem Antlitz, der hier und da dem Menschen zur Hand geht. Und je nach persönlicher Grundeinstellung wird daraus entweder die Vision vom arbeitslosen Mitarbeiter oder vom Menschen, der nunmehr seine ganze Kreativität entfalten kann. Beides aber ist eher eine Vision von übermorgen, wie eine Studie des Beratungshauses Deloitte jetzt herausarbeitet. Danach entsteht aktuell der Nutzen von KI in ausgewählten Branchen, die weniger durch automatisierte Produktion als vielmehr durch intensivierten Kundenkontakt definiert sind.
Technologie, Medien und Telekommunikation sind demnach die Branchen, in denen sich schon heute erheblicher Einsatznutzen zeigt: So behaupten 57 Prozent der Entscheider aus diesen TMT-Branchen, KI-Tools seien elementar für die eigene Strategie, 46 Prozent benötigen sie dringend für die Verbesserung von Produkten und Dienstleistungen. 43 Prozent versprechen sich einen Wettbewerbsvorteil, und über drei Viertel erwarten eine substanzielle Transformation des kompletten Unternehmens innerhalb der nächsten drei Jahre. 40 Prozent ziehen bereits substanziellen Vorteil aus dem Einsatz von KI-Systemen, während in anderen Industriezweigen dieses Ergebnis erst bei einem Viertel der Befragten beobachtet wird.
Gerade Technologie-Unternehmen haben erkannt, dass die wichtigsten Qualitätseigenschaften und damit Differenzierungspotenziale ihrer Produkte in der Fähigkeit liegen, ihre Umwelt wahrzunehmen und entsprechend zu reagieren. Deshalb sind Digitalisierung und Big Data wichtige Voraussetzung für intelligente Produkte, aber erst künstliche Intelligenz macht aus Dummies echte Innovationen. So führt Sprachsteuerung zwar schnell zu einem neuen Produkterlebnis – im Grunde aber ändert sich im Produkt dadurch nichts. Erst wenn – wie Cimon (sprich Simon), der auf IBMs Watson-Technologie basierende Weltraum-Computer im Gepäck von Astronaut Alexander Gerst – die Systeme auf die Stimmungen und Wünsche ihrer Besitzer einzugehen lernen, wird ein Quantensprung in der Produktwelt erreicht. Kein Wunder also, dass gerade Technologie-Unternehmen den Markt an KI-Experten derzeit leerfegen.
Vorteile sehen die Executives zusätzlich in den verkaufsnahen Geschäftsprozessen. So helfen KI-Systeme den Verkäufern im „Handy-Shop“ inzwischen dabei, den Weg durch den Tarif-Dschungel zu finden, während im Service-Sektor vor allem hochautomatisierte Geschäftsprozesse den Nutzen bringen. Auch die Medien-Unternehmen optimieren ihr Produktangebot inzwischen mit Hilfe künstlicher Intelligenz. Das beginnt bei der individuellen Auswahl von Werbe- und Medieninhalten, die auf massenhaftes wie individuelles Surfverhalten basieren und endet bei der individuellen Betreuung einzelner Kunden, die mit Hilfe von Chatbots durch den Beratungs- und Verkaufsprozess geführt werden.
Dabei hilft Natural Language Processing oder Conversational Computing, bei denen die Leistung des KI-Systems weit über die heute verbreitete Sprachsteuerung hinausgeht. Vielmehr sind die Chatbots in der Lage, auch nicht vorformulierte Begriffe und unklare Anliegen zu interpretieren und entsprechend zu reagieren. Nach einem solchen „Vorgespräch“ kann dann der Verkäufer oder Berater einspringen und den „Deal“ machen.
Doch das kann nur gelingen, wenn nicht nur die KI-Systeme fehlerfrei funktionieren, sondern der intelligente Mensch dahinter seine Fähigkeiten auch tatsächlich auslebt. Darauf machte jetzt Microsofts Deutschland-Chefin Sabine Bendiek in einem Beitrag für das Handelsblatt aufmerksam. „Neben technologischen Kompetenzen und innovativen Lerninhalten für den Umgang mit KI sollte die Stärkung kognitiver Fähigkeiten wie Zusammenarbeit, Problemlösungs- und Kreativitätstechniken trainiert werden“, heißt es da. Das System der beruflichen Ausbildung brauche dringend ein „Update“. Nur so kann man intelligente Produkte erdenken und bauen und schließlich intelligenter verkaufen.