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Raus aus dem Digi-Tal


Plötzlich übertreffen sich alle mit Ideen zur Digitalisierung unserer Gesellschaft. Der CDU-Bundesvorstand plant eine Weiterbildungsplattform, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz Deutschlands Arbeitnehmer fit machen soll für die digitale Zukunft, wenn nicht gar für die digitale Gegenwart. Denn es gibt genug aufzuholen.

Zwar stehen die Deutschen inzwischen nach einer Umfrage dem Thema Digitalisierung weitgehend positiv gegenüber. Aber Ressentiments gibt es immer noch – beispielsweise gegenüber künstlicher Intelligenz. Da hätte es durchaus eine ironische Note, wenn ausgerechnet KI-Systeme dabei helfen sollen, die Widerstände gegenüber künstlicher Intelligenz abzubauen. Nun, bei Siri, Alexa und Cortana klappt das ja schließlich auch. Die Sprachassistenten sind aus dem smarten Leben fast nicht mehr wegzudenken.

Jetzt also soll Milla – Modulares Interaktives lebensbegleitendes Lernen für Alle – nach dem Willen des CDU-Bundesvorstands möglichst viele Qualifizierungsangebote zertifizieren und Bürger für die erfolgreiche Teilnahme an Kursen Prämien zusprechen. Anbieter können je nach Relevanz und Nutzungsgrad entlohnt werden. Wer eine Einführung in die Programmiersprache Python anbietet, wird dabei per se besser entlohnt als ein Anbieter des fiktiven Kurses „Fit bleiben mit dem Thermomix“. Das Ganze soll funktionieren wie Netflix, also Lerninhalte über Videoeinspieler präsentieren. Ähnliche Angebote gibt es bereits für Schüler und Studierende – etwa vom Startup Softutor.com. Vorbild für Milla ist aber wohl eher der vom ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama initiierte US Digital Service, der ebenfalls mit dem Belohnungsprinzip arbeitet.

Das Projekt soll drei Milliarden Euro kosten – pro Jahr! Das gilt natürlich nur, wenn diese Initiative es bis auf den Kabinettstisch der großen Koalition schafft. „Milla nimmt die Menschen beim digitalen Wandel mit und stärkt die Wirtschaft“, erklärte Generalsekretärin Anneliese Kramp-Karrenbauer, „die Union ist die Partei, die die digitale Transformation erfolgreich gestalten will“. Man mag seinen Ohren nicht trauen. Im Vorfeld des Wahlparteitags, auf dem die Nachfolge von Angela Merkel als Bundesvorsitzende bestimmt werden soll, überschlagen sich die Kandidaten mit Initiativen rund um die Digitalisierung. Warum nicht gleich so?

Das mag man sich auch bei der CSU fragen, die erst eine Koalition mit den Freien Wählern eingehen musste, um sich zu einem eigenen Digitalministerium im Bayerischen Kabinett durchzuringen. Zwar erklärte die für Digitalisierung zuständige Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, Dorothee Bär schon bei ihrem Amtsantritt im Frühjahr 2018, dass jedes Ministerium zugleich auch ein Digitalministerium sein müsse – in Bayern will man das Thema jetzt aber neben Heimat, Sicherheit und Teilhabe zum Kern der politischen Verantwortung in den kommenden fünf Jahren machen.

Nun – aus den Kreisen der Wirtschaft lautet die Botschaft schon seit Jahren: Digitalisierung ist teuer, keine Digitalisierung ist noch teurer. Allein der Einsatz von künstlicher Intelligenz im produzierenden Gewerbe könne innerhalb von fünf Jahren eine zusätzliche Rendite von 36 Milliarden in deutschen Betrieben auslösen, hat eine Studie im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums ermittelt. Und bei der Aus- und Weiterbildung sind die Hebelwirkungen sogar noch größer. Den jährlichen drei Milliarden Euro für Milla steht eine mögliche Kostenzunahme im Sozialsektor von 265 Milliarden Euro pro Jahr gegenüber, wenn die Arbeitslosigkeit in Deutschland um zehn Prozentpunkte steigen sollte. Der gesamte volkswirtschaftliche Schaden wäre noch höher, wenn man entgangene Steuereinahmen und nicht realisierte Unternehmensrenditen mit einbezöge.

Einen solchen Anstieg halten Arbeitsmarktexperten durchaus für möglich. Die Bedrohung entstammt nicht etwa dem digitalen Wandel, dem unverändert auch das Stigma des Job-Vernichters angehängt wird. Vielmehr ist es der Verlust der Wettbewerbsfähigkeit mangels digitaler Strategien, der den Arbeitsmarkt bedroht. Dabei wird allerdings keineswegs der Fachkräftemangel behoben. Denn die hochqualifizierten Arbeitnehmer wandern dorthin ab, wo Arbeit ist – nach Europa, Nordamerika, Asien.

Hier soll Milla helfen, den Ausweg aus dem Digi-Tal für alle zu weisen. Dabei ist ein Belohnungsprinzip für fleißige Weiterbildner durchaus sinnvoll. Denn nur drei Prozent der Arbeitnehmer zwischen 30 und 60 Jahren bilden sich parallel zu ihrer Arbeit fort. Immerhin 39 Prozent geben an, „nicht-formal“, also eine eher sporadische Fortbildung ohne Zertifizierung, Abschluss oder Zeugnis zu betreiben. Das dürfte angesichts der Anforderungen kaum reichen.

 

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