Erinnern Sie sich noch an Cambridge Analytica? Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 nutzte das Unternehmen Informationen aus 85 Millionen Facebook-Profilen, um die Stimmung in den sogenannten Swing-States – den US-Bundesstaaten mit unsicherem Wahlausgang – zugunsten von Donald Trump zu beeinflussen. „Wir bombardierten sie über Blogs, Webseiten, Artikel, Videos, Anzeigen – jede Plattform, die zur Verfügung stand –, bis sie die Welt so sahen, wie wir es wollten.“ Die Aussage der Ex-Mitarbeiterin Britanny Kaiser – wiedergegeben in der großen Netflix-Doku „Cambridge Analyticas großer Hack“ – wirkt noch immer verstörend und wirft schon jetzt ein düsteres Bild auf die bevorstehenden Wahlen. Dabei ist der Einfluss, den die KI- und Social-Media-Experten von Cambridge Analytica tatsächlich hatten, kaum belegt.
Und doch ist der Schaden groß – vor allem für Facebook. Im Vorfeld des Präsidentschaftswahlkrampfs hat das US-Magazin The Verge eine Umfrage aus dem Jahr 2016 neu aufgelegt und eine repräsentative Gruppe von US-Amerikanern nach dem Grad ihres Vertrauens in die großen Internet-Konzerne gefragt. Nur zwei von fünf Befragten würden demnach ihre persönlichen Daten der Zuckerberg-Company anvertrauen. Und 72 Prozent sind der Meinung, dass Facebook zu viel Macht genießt. Gleichzeitig würden es 55 Prozent bedauern, wenn es Facebook nicht mehr gäbe. Und sogar zwei Drittel finden es okay, dass WhatsApp und Instagram zum Facebook-Konzern gehören.
Überraschend aber ist, wem die US-Bürger am stärksten vertrauen: Microsoft wird von drei Vierteln der Befragten Vertrauen entgegengebracht, Amazon von 73 Prozent. Dies ist insofern bemerkenswert, als beide Unternehmen den Markt für Cloud Computing und Speicherdienste mehr oder weniger unter sich aufteilen. Auch bei den beliebtesten Internet-Marken rangieren Amazon (Rang 1 mit 91 Prozent der Nennungen) und Microsoft (Rang 5; 89 Prozent) nahezu gleichauf in der Bürgergunst. Dazwischen rangieren mit jeweils 90 Prozent der Nennungen Google, die Google-Tochter Youtube und Netflix.
Während Google trotz seiner marktbeherrschenden Stellung nie ein Imageproblem hatte, fehlte es Microsoft in den Dekaden vor und nach der Jahrtausendwende durchaus an dem nötigen „Quantum Trust“. Anders als Google wurde Microsoft die Dominanz auf dem Desktop stets zum Vorwurf gemacht – eine Stimmungslage, die überhaupt erst die Renaissance von Apple als Windows-Alternative möglich machte. Aber Microsofts schlechtes Image war auch hausgemacht: Die Unternehmenskultur unter Bill Gates und Steve Ballmer galt als barbarisch, auf Konfrontation ausgelegt und eher markt- und machtorientiert, denn kundenorientiert.
Das hat sich innerhalb eines guten halben Jahrzehnts unter CEO Satya Nadella fundamental geändert. Seine Definition von Kundenorientierung klingt in der Tat revolutionär: „Wir wollen unsere Kunden auf dem Weg in die Digitalisierung nicht abhängig von uns machen. Wir wollen vielmehr, dass unsere Kunden durch Microsoft unabhängig werden.“ Das Bekenntnis zu Open Source, die Demokratisierung von KI, die ethischen Engagements sind Beispiele für diesen Ansatz. Dass dies nicht umsatzschädlich sein muss, zeigen die beeindruckenden Quartalsberichte der letzten Jahre.
Das Quantum Trust, das die Kunden Microsoft entgegenbringen, ist eine der Säulen, die die Aufholjagd gegenüber Amazon im Markt für Cloud Services tragen. Nach Expertenschätzungen wird es in den zwanziger Jahren auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Amazons Web Services und Microsofts Azure- und Dynamics-Angeboten hinauslaufen. Das ist nicht unerheblich angesichts der Tatsache, dass Cloud Computing die dominierende IT-Infrastruktur der nächsten Zukunft sein wird. Dass Microsoft hier überhaupt in die Position eines Herausforderers gegenüber Amazon gekommen ist, muss ebenfalls der Kulturwende durch Satya Nadella zugeschrieben werden.
Diese Kulturrevolution ist nach einer Vergleichsstudie der London Business School tatsächlich beispielhaft für Unternehmen, die davon leben, einen kontinuierlichen Strom an Innovationen zu generieren. Die Studie extrahiert vor allem die Kultur des ewig lernenden Managers – im Gegensatz zum weit verbreiteten „ewig besserwissenden Manager“ – als entscheidendes Qualitätsmerkmal. Das allerdings darf auch getrost zur Amazon-Kultur gezählt werden. Kaum ein Unternehmen beherrscht die Kunst so vollendet, von seinen Kunden zu lernen. Dies allerdings mit dem negativen Aspekt, dass Amazon dazu neigt, die Geschäftsmodelle seiner Kunden zu übernehmen und zu optimieren. Das stört übrigens die befragten US-Bürger wenig. 81 Prozent würden es bedauern, wenn es Amazon nicht gäbe – bei Microsoft nur 75 Prozent…
Es wäre interessant zu sehen, wie eine Vertrauensfrage der Internet-Giganten auf dem deutschen oder europäischen Markt ausfallen würde. Meine Prognose: die Rangfolge würde sich nicht ändern – abgesehen davon, dass die Deutsche Telekom einen Spitzenplatz einnehmen würde. Dagegen dürften die Zustimmungswerte insgesamt deutlich geringer ausfallen. Ob freilich neue Initiative wie Gaia-X von Anfang an auf ein ausreichendes Quantum Trust aufbauen kann, darf getrost bezweifelt werden. Staatsinitiativen genießen nun mal keine Vorschusslorbeeren.
Danke. Wieder eine sehr lohnende Zusammenstellung mit klaren Perspektiven….