Mehr als eine Million Menschen arbeiten in Deutschland im Bereich Software und IT-Services. Das sind nicht alles Programmierer, sondern auch Verkäufer, Marketiers, Berater, Betriebswirte, klassische Bürokaufleute – beziehungsweise, wie es in Deutschland seit 2014 offiziell heißt: Kaufleute für Büromanagement. Laut Statistischem Bundesamt arbeiten sie in rund 90.000 Unternehmen, deren Geschäftsmodell im Wesentlichen entweder darin besteht, andere Unternehmen beim Betrieb ihrer Informationstechnik zu unterstützen oder aber Software zu entwickeln, sie zu einem Standardprodukt zu verallgemeinern und möglichst oft zu verkaufen. Meistens geht es dabei um Produktivitätssteigerung, immer häufiger aber auch einfach nur um Spaß und Entertainment.
Und auch wenn die Software- und Service-Branche im Allgemeinen ganz gut durch die aktuelle Situation kommt, ist die Branche in ihrer Gesamtheit durchaus gefährdet – obwohl oder gerade weil der Bedarf an Software und Services in den kommenden Jahren rapide steigen wird. Das liegt ganz wesentlich an der chronischen Strukturschwäche dieses Dienstleistungssektors, der vor allem von kleinen und mittelständischen Software- und Systemhäusern dominiert wird. Und mit wenigen Ausnahmen wie SAP oder SAG sind die Großanbieter meist US-amerikanischer Herkunft, deren Think Tanks und Entwicklungszentralen nicht in Deutschland liegen.
Zwar betont der Digitalverband Bitkom in einer jüngsten Marktanalyse, dass die rund 12.000 zum Mittelstand gezählten Software- und Systemhäuser mit einem Umsatz zwischen einer und 50 Millionen Euro wieder mit Zuversicht auf eine Zeit nach den Corona-bedingten Einschränkungen blicken. Sie repräsentieren 37 Prozent des gesamten Branchenumsatzes, beschäftigen dafür aber 57 Prozent der Mitarbeiter. Besser sieht die Rendite bei den rund 300 großen Anbietern aus. Aber durchaus problematisch ist die Lage bei den verbleibenden 77.700 Kleinunternehmen mit weniger als einer Million Euro Umsatz. Ihr Geschäftsmodell verschwindet mehr und mehr im Nebel der Cloud, deren Infrastrukturleistungen die Dienste der Kleinen ablöst und obsolet macht.
Denn die Plattform-Ökonomie dreht die bisherigen Standardmodelle um. Einerseits sind es die großen App-Stores wie die von Apple oder Google und Cloud-Plattformen wie die von Microsoft oder Amazon, die Software und Services bündeln und den Verkauf, die Verbreitung und die Nutzung per Download automatisieren. Andererseits sind es die Plattformen der Anwender, die für immer mehr Software- und Service-Umsätze stehen – egal, ob dies ein Haushaltsgerät, eine Fertigungsmaschine oder ein vernetztes Fahrzeug ist. Die neuen Geschäftsmodelle der Plattform-Ökonomie schaffen neue Umsatzquellen durch Software und Services. Aber die werden nicht mehr von der Branche geliefert, sondern von den Anwendern selbst.
So hat Volkswagen jetzt mit der Car.Software.Org eine weitere Konzerntochter gegründet, die praktisch als internes Software- und Systemhaus den stetig wachsenden Bedarf an Programmen für die Autoflotte liefern und nicht zuletzt die bisherigen Fehler von Grund auf bereinigen soll. Mit einer eigenen Betriebssystem-Variante als Plattform für künftige Software-Entwicklungen wird bis 2024 gerechnet. Andere Automobilbauer wie BMW oder Daimler verfolgen ähnliche Strategien.
Das ist keine ganz neue Entwicklung. Schon in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts allokierten Versicherungen und Banken Hundertschaften von Programmierern, um Policen, Analysen und interne Prozesse software-gestützt zu automatisieren. Gleichzeitig schulten sie Physiker, Chemiker und Mathematiker zu Software-Spezialisten um, weil der eigene Bedarf das Fachkräfteangebot bei weitem überstieg. Insofern hat sich beim Mangel an Software-Spezialisten grundsätzlich bis heute nichts geändert. Jetzt sind es nicht nur Autobauer, sondern auch Maschinenbauer und Haushaltsgerätehersteller, die händeringend nach Software-Spezialisten suchen. Sie finden sie bei den finanziell chronisch schlecht ausgestatteten kleinen und mittleren Software- und Systemhäusern.
Es klingt paradox: Die Nachfrage nach Software wird zum Aussterben der klassischen Software- und Systemhäuser – vor allem der strukturschwachen kleinen und mittleren Unternehmen – führen. Die Softwarebranche wird zur Nebelwirtschaft, die als Abteilung oder Konzerntochter in die Digitalstrategien der Anbieter diffundiert. Überleben werden die Häuser, die sich einem Geschäftsmodell in der Cloud verschrieben haben. Doch viele haben den Modellwechsel vom Softwareverkauf zur Vermietung aus der Cloud zehn Jahre lang verschlafen. Sie waren benebelt vom eigenen vordergründigen Erfolg. Die Corona-Krise wird sich für sie noch als die kleinere Herausforderung erweisen. Doch unabhängig davon: die Zahl der Beschäftigten in dieser Nebelwirtschaft wird weiter steigen – dank künstlicher Intelligenz, Big Data, eCommerce, Streaming und all den Services aus der Cloud.