„Genie“, so befand Thomas Alvar Edison, der Urvater der Elektrifizierung, wenn nicht gar der Digitalisierung, “ist zu einem Prozent Inspiration und zu 99 Prozent Transpiration.“ Will sagen: Innovation oder Erfolg kann man nicht befehlen, Fleiß aber schon – und letzteres trägt zum überwiegenden Teil zum Erfolg bei. Edison selbst war das perfekte Beispiel für eine fleißgetriebene Innovationskultur. “Seine Verdienste gründen in erster Linie auf der Marktfähigkeit seiner Erfindungen, die er mit Geschick zu einem ganzen System von Stromerzeugung, Stromverteilung und innovativen elektrischen Konsumprodukten verbinden konnte“, notiert die deutsche Wikipedia-Ausgabe zu Recht in ihrem Lexikoneintrag.
So wie Edison für die Elektrifizierung der Vereinigten Staaten steht, insbesondere der Stadt New York, so standen in Deutschland AEG und Siemens für die Verkabelung weiter Strecken zur Verbreitung von Licht und Nachrichten. Auch dabei stand zu Beginn ein Prozent Genialität, die aber erst durch 99 Prozent Fleiß zum Erfolg führen konnte. Der Verkabelung von vorgestern entspricht die Breitbandausstattung von heute, dem Unternehmergeist von damals sollte der Mut zur digitalen Transformation (nicht Transpiration) folgen. Und mit den Milliarden, ja sogar Billionen Euro aus europäischen und deutschen Steuersäckeln, die zum Wiederanlauf der Wirtschaft jetzt nahezu bedingungslos zur Verfügung stehen, sollte das auch gelingen. Doch während Geld im Fußball doch Tore schießt, schafft Kapital allein noch kein Heureka!
Was wir jetzt brauchen, ist eine neue digitale Marktwirtschaft, die sich nicht mit Detailverbesserungen in Prozessen und Verfahren begnügt, und sich nicht mit Stellenabbau durch Konzernzerschlagung oder Einsparungen durch Gesundschrumpfen auf Kosten der Steuerzahler begnügt. Wir brauchen einen echten Innovationsruck, der Ernst macht mit der digitalen Transformation durch eine gesunde Mischung aus Inspiration und Transpiration. Die Mittel dazu sind vorhanden, allein es fehlen Mut und Wille, die Welt neu zu gestalten. Vor 70 Jahren waren Mut und Wille, Inspiration und Transpiration gegeben – und das Ergebnis war ein Wirtschaftswunder. Jetzt beschränkt sich das viel beschworene “neue Normal“ oftmals auf ein bisschen Homeoffice und Managed Services in der Cloud.
80 Prozent der Unternehmen in Deutschland haben IDG Research gegenüber bekundet, sie investierten in die Digitalisierung ihrer Geschäftsprozesse. Doch viele Digitalstrategien halten einer echten Überprüfung gar nicht stand. Da wird bisher Analoges digital wiederholt – doch sonst ändert sich nichts. Auch die öffentliche Hand geht so vor. Aus einem analogen Behördengang wird ein digitaler. Was fehlt, ist der Schuss Genialität.
Für Microsoft-Chef Satya Nadella gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem digitalen Integrationsgrad im Unternehmen und dessen Fähigkeit zur Innovation und damit zugleich zu Wettbewerbsvorteilen gegenüber anderen mit kleinerem digitalen Fußabdruck. “Tech Intensity“ nennt er das und meint damit, dass Cloud Computing und Digitalisierung nur die Voraussetzungen für eine grundlegende Erneuerung sind. In vielen deutschen Unternehmen, so hat man den Eindruck, ist es aber mit dem Wechsel von OnPremises zu OnDemand schon getan mit der Digitalisierung. Doch der eigentliche Wandel beginnt dort erst.
Zugegeben, das Herumbosseln an Details im Produkt und im Prozess hat Deutschland je nach Zählweise 1200 bis 1800 Hidden Champions beschert. Aber sie sind Weltmeister in Nischen althergebrachter Branchen. Um neue Märkte, neue Branchen zu schaffen, dazu braucht es Mut zur Veränderung und die geistige Freiheit, Neues zu denken. Für diesen Mut zum Risiko sollten die Staatsfonds aufgelegt werden. Stattdessen zeichnet sich ab, dass die Fördergelder in die Wiederherstellung des Status ex ante Corona genutzt werden. Das ist bei der Lufthansa so und bei Siemens nicht anders.
Der Lockdown zur Corona-Pandemie ist auch eine Chance – und hoffentlich eine einmalige Chance, deren Ursache sich nicht wiederholt. Aber gerade deshalb sollten wir sie ergreifen. So wie die Elektrifizierung die Gründerzeit hervorrief und die soziale Marktwirtschaft das Wirtschaftswunder, so sollten wir jetzt an einer neuen digitalen Marktwirtschaft arbeiten. Die 99 Prozent Fleiß kann man den Deutschen nicht absprechen – es fehlt nur noch das eine Prozent Inspiration.