csm_Dr__Junius_Werk_CDW_7005fc7258

Et hätt noch immer jot jejange…

Der Paragraph 3 des Kölner Grundgesetzes – „Et hätt noch immer jot jejange“ – soll so viel bedeuten wie: Wird schon gutgehen. Oder: Was bisher geklappt hat, klappt auch weiterhin. Die Kölner Nonchalance lässt sich nur vollends verstehen, wenn man auch die beiden vorhergehenden Paragraphen verinnerlicht. Erstens: „Et es wie et es“ (Es ist, wie es ist), Zweitens: „Et kütt wie et kütt“ (Es kommt, wie´s kommt). Wichtig für das Verständnis der Rheinischen Frohnatur ist auch Paragraph 4: „Watt fott es, es fott“, (Weg ist weg!). Der kurze Einblick in die Kölsche Seele – sie muss aus Platzgründen so kurz ausfallen – erklärt unter anderem auch, warum es in Köln weniger Corona-Tote gibt als beispielsweise in Düsseldorf. Ja, er lässt sich überhaupt ganz allgemein als Empfehlung für den Umgang mit der Corona-Pandemie verwenden.

Hans-Toni Junius steht als Westfale nicht unbedingt im Verdacht des Rheinischen Leichtsinns. Aber auch dem Sprecher der Geschäftsführung des Hagener Familienunternehmens C.D. Wälzholz GmbH und Co. KG kommen zum Thema Corona-Lockdown so leichte Sätze über die Lippen wie: „Es ist zum Glück nicht so schlimm gekommen, wie im Frühjahr befürchtet.“ Das liege zum einen an dem „gestaffelten und gut bestückten Instrumentenkasten“, den die Bundesregierung geöffnet hat, zum anderen daran, dass man in den vergangenen Jahren „das Geld möglichst beieinander gehalten“ hat.

Junius, der zugleich Vorsitzender des BDI/BDA-Mittelstandsausschusses ist, spricht nicht nur für das Hagener Unternehmen, wenn er betont, dass die Mehrheit im Mittelstand eigenes unternehmerisches Krisenmanagement gegenüber staatlichen Fördermaßnahmen bevorzugt. 62 Prozent der im BDI-Herbstgutachten zu Corona-Brennpunkten befragten industriellen Mittelständler wollen keine staatlichen Fördergelder in Anspruch nehmen. Einer der Gründe: die Förderbedingungen schränkten zum Teil unternehmerische Freiheiten zu stark ein. Davon aber nehmen Mittelständler und Familienunternehmen so weit wie möglich Abstand. Sie halten es mit dem sechsten Kölschen Grundsatz: „Kenne mer net, bruche mer net, fott damet.“ – (Also in Hochsprache: Kennen wir nicht, brauchen wir nicht, weg damit.)

 

 

Tatsächlich, so ergab eine Analyse von rund 300.000 Bilanzen von Unternehmen mit einem Umsatz zwischen zwei und 50 Millionen Euro, die der Sparkassen- und Giroverband jetzt veröffentlich hat, sind 95 Prozent der untersuchten Unternehmen auch im Corona-Jahr in der Gewinnzone. Zwar liegt die durchschnittliche Umsatzrendite nur noch bei 3,5 Prozent und damit halb so hoch wie im Vorjahr, doch von einer Insolvenzwelle ist der Mittelstand offensichtlich weit entfernt: nur jedes 50. Unternehmen sieht tatsächlich die Möglichkeit eines wirtschaftlichen Aus in den nächsten sechs Monaten. Also: „Et hätt noch immer jot jejange.“

Doch wahrscheinlich stehen uns noch in der Corona-Zeit, mehr aber noch in den Monaten danach Veränderungen ins Haus, die weit über die Leitplanken Kölscher Weisheiten hinausgehen: Die weltweit voranschreitende Digitalisierung einerseits und globale Klimaveränderung andererseits verlangen nach innovativen, wenn nicht gar disruptiven Ansätzen, die weiter gehen als die bisher bewährten mittelständischen Tugenden des „Geld-Zusammenhaltens“. Das sieht auch Junius so: Zur Stärkung der Widerstandskraft empfiehlt er ein „Dreigestirn“ aus Produktinnovationen, gezielter Digitalisierung und Weiterbildung. Ein schulterzuckendes „Et kütt wie et kütt“ könnte da eindeutig zu wenig sein.

Die gegenwärtige Krise ist auch eine Chance zum Neuanfang – zum Beispiel beim Wiederanlauf von gestörten Lieferketten, die durch eine bessere integrative Vernetzung leistungsfähiger und ressourcenschonender gestaltet werden können. Auch die Möglichkeit, hybride Strukturen aus Firmenarbeitsplatz und Homeoffice zu gestalten, könnte mehr Flexibilität schaffen. Und nicht zuletzt schlummern in vielen Unternehmen ungehobene Datenschätze, die gehoben, ausgewertet und verstanden werden müssen.

Da ist vor allem der Mittelstand als Anwender gefordert, der die Krise zur Gestaltung einer Digitalisierungsstrategie nutzen muss. Da sind aber auch die IT-Anbieter gefordert, die sich jetzt darauf einstellen müssen, dass die Nachfrage nach IT-Services in den kommenden Monaten rapide ansteigen wird. Egal, ob Amazon, Microsoft, SAP oder Deutsche Telekom – ohne ihre mittelständischen Partner haben sie nicht einmal die Chance, den anstehenden Bedarf zu decken. Deshalb kommt den Software- und Servicehäusern eine überdimensionale Bedeutung, aber auch Verantwortung beim Wiederanlauf der Wirtschaft zu. In Deutschland ist der IT-Sektor mit einem branchenweiten Umsatzminus von 1,2 Prozent bislang relativ glimpflich davongekommen.

Das ist kein Anlass, sich zurückzulehnen. Denn jetzt muss er eindeutig mehr Initiative zeigen. Es wäre absurd, wenn der Innovationswille im industriellen Mittelstand durch den langsamen IT-Mittelstand ausgebremst würde. Dann wäre „et hätt noch immer jot jejange“ nur noch ein Nachhall versäumter Chancen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert