Geht es uns jetzt eigentlich gut oder geht es uns schlecht? Werden wir gut regiert oder ist – wie man auf einem Plakat der Querdenker in Leipzig lesen konnte – Angela Merkel gefährlicher fürs Volk als das Corona-Virus? Hat Joe Biden jetzt die US-Präsidentenwahl endgültig gewonnen oder hat Donald Trump doch noch einen Trumpf zur Anhörung beim Supreme Court im Ärmel? Sind seine Anhänger bis an die Zähne bewaffnete Verschwörungstheoretiker oder haben Bidens Demokraten die Wahl gefälscht? Ist der Klimawandel nun menschengemacht oder sind das alles nur Wetterkapriolen, die wir nur deshalb wahrnehmen, weil wir so viel messen? Stimmen die Überlegungen der Kreationisten, die die Schöpfung so sehen, wie sie im Buche steht, oder glauben wir weiter fest an die Evolution. Hat die Flat-Earth-Society doch Recht oder stehen wir weiter auf der Erdkugel, ohne abzustürzen? Und schließlich: gehört der deutsche Mittelstand eigentlich zu den digitalen Vorreitern, wie die aktuelle SMB Digital Maturity Study 2020 jetzt nahelegt oder bleibt es dabei, dass Deutschland ins digitale Mittelmaß absinkt?
Willkommen in der VUCA-Welt, in der nichts mehr sicher ist. VUCA, so deutet es Vivien Iffländer vom Center for Responsible Research and Innovation beim Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in einem Gespräch mit dem neuen Mittelstandschef bei Microsoft Deutschland, Oliver Gürtler, steht für Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, also Mehrdeutigkeiten. Nichts ist mehr in Stein gemeißelt in diesen Zeiten. Nichts gilt mehr für die Ewigkeit. Und daraus folgt: es gibt auch keine allgemeingültigen Handlungsempfehlungen für Unternehmer, Politiker, Berater, Lehrer, Familienvorstände und nicht einmal mehr für unsere Kinder.
Oder ist alles nicht so dramatisch? Zumindest für den digitalen Wandel gibt die SMB Digital Maturity Study 2020 mit Blick auf Deutschland Anlass zu Optimismus. Nach der Analyse von knapp 500 kleinen und mittleren Unternehmen rund um den Globus sieht die Studie den deutschen Mittelstand auf Platz vier hinter den Firmen in den USA, Singapur und Großbritannien, was den Grad der Digitalisierung anbetrifft. Und auch der Hightech-Verband Bitkom beobachtet, dass mittelständische Unternehmen die Corona-Krise nutzen, um sich digital weiter vorne aufzustellen. Doch gleichzeitig kommt die Kreditanstalt für Wiederaufbau in ihrer Analyse zu dem Ergebnis, dass sich die überwiegende Zahl der Digitalisierungsprojekte auf Insellösungen beschränken, während der ganz große Wurf mit völlig neuen Geschäftsmodellen, Prozessen, Kundenbindungsmechanismen, Verkaufsstrategien, Content-Marketing und nicht zuletzt datengestützter Analyse die Ausnahme bleiben.
Es ist durchaus möglich, dass der Mittelstand in der VUCA-Welt in einen klassischen Reflex zurückfällt: Im Zweifel lieber erfolgreiche Innovationen in kleinen Schritten statt gescheiterte Vision im großen Stil. Wenn man nicht weiß, wohin die Reise geht, kann jeder Weg der falsche sein.
Das Geld für einen digitalen Aufbruch wäre da, mahnt die KfW an – es müsse nur abgerufen werden. Für Unternehmen, die derzeit noch eine geringe digitale Reife zeigen, setzen das Konjunkturprogramm der Bundesregierung und Digitalisierungsprogramme auf Landesebene die richtigen Anreize. Ihre Förderprogramme richten sich gezielt an mittelständische Betriebe, die die gegenwärtige Krise zur Modernisierung nutzen und ihre Digitalisierung gerade jetzt vorantreiben wollen.
Dass der Mittelstand in der Corona-Krise eine außergewöhnliche Widerstandskraft beweist, zeigen die Zahlen des Bundeswirtschaftsministeriums. Für das vierte Quartal des laufenden Jahres rechnete das Altmaier-Ministerium mit einem Wachstum um 1,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal. Nach dem jetzt verhängten Teil-Lockdown wurde die Zahl zwar kassiert – aber plus 0,4 Prozent zeigen, dass der Patient in diesen unsicheren Zeiten kerngesund ist. Im Sommer, als wir bereits an einen Sieg über das Corona-Virus glaubten, erholte sich die Wirtschaft erstaunlich rasch mit einem Anstieg um 8,2 Prozent.
Man wird ja noch träumen dürfen: der deutsche Mittelstand könnte in den kommenden vier Jahren das Bruttoinlandsprodukt um 328 Milliarden Euro steigern, wenn er die Wertschöpfungschancen aus der Digitalisierung konsequent nutzen würde, meint die SMB Digital Maturity Study 2020. Immerhin sei schon mehr als ein Drittel im Stadium eines digitalen Herausforderers. Wenn der Mittelstand die Corona-Krise auch nutzt, um sich digital besser aufzustellen, könnte sich ein deutsches Wirtschaftswunder ereignen.
Doch wir leben nicht mehr in einer gemeinsamen Realität. Je nach Tagesform geht es dem Mittelstand entweder gut oder schlecht, werden wir von geheimen Verschwörungen drangsaliert oder steuern auf Sicht, aber mit Augenmaß durch die Untiefen. In der VUCA-Welt sind alle Prognosen gleichermaßen glaubhaft. In meiner Realität stehen wir vor einem digitalen Wirtschaftswunder. Teilen Sie diese Realität? – ich freue mich auf die Kommentare aus Ihrer Sicht der Welt.