Kaum geht es los, ist es auch schon wieder vorbei. Nachdem bundesweit Turnhallen, Mehrzweckhallen oder Messehallen zu riesigen Impfzentren umfunktioniert wurden, stockt jetzt der Nachschub am begehrten Vakzin der deutschen Pharma-Firma Biontech. Und dass nicht etwa deshalb, weil plötzlich ein unerwarteter Ansturm der Bevölkerung auf die Impfzentren losgebrochen wäre, sondern weil die bereitgestellten Impfdosen nicht einmal für die ersten Zielgruppen ausgereicht haben. Ältere Menschen und Pflegende müssen jetzt bis Mitte Januar warten, bis der Nachschub rollt. „Alles verläuft planmäßig“, sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dazu.
Ganz so planmäßig sieht es allerdings gar nicht aus. Überrascht wird aus den Impfzentren gemeldet, dass man eigentlich früher mit mehr Nachschub gerechnet habe. Und immer mehr Menschen fragen sich, wann und wie sie eigentlich erfahren werden, ob sie jetzt „dran“ sind. Jedes Bundesland hat da inzwischen seine eigenen Regeln. Natürlich ist die Organisation der Impfkampagne in einem Stadtstaat wie Hamburg anders als in einem Flächenland wie Bayern. Aber die Straßenverkehrsordnung gilt ja auch im ganzen Bundesgebiet…
Die Uneinheitlichkeit, ja Uneinigkeit hat im Föderalismus System. Ob das so bleiben muss, darf man angesichts des Wirrwarrs im Gesundheitswesen und im Bildungswesen inzwischen getrost mal in Frage stellen. Aber sie feiert weiter fröhliche Urstände: am Samstagnachmittag gab es eine Konferenzschalte zwischen Bundeskanzleramt und den 16 Staatskanzleien, in der die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin am darauffolgenden Dienstag besprochen wurden. Doch schon in den Sonntagszeitungen wurde durchgestochen und interpretiert, was möglicherweise zwei Tage später erst beschlossen werden sollte. Publizität und Offenheit sind ja ganz schön – aber wenn jeder was anderes sagt, klingt es bestenfalls nach vorweggenommenem Wahlkampf.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder weiß beispielsweise schon jetzt, dass der Lockdown über den 10. Januar hinaus verlängert wird – um mindestens drei Wochen. Wer bietet mehr? Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher wiederum will erst einmal von der Bundesregierung eine klare wissenschaftlich begründete Darlegung hören, ob und, wenn ja, warum auch Kitas und Schulen geschlossen bleiben sollen. Einigkeit gibt es allerdings unter den Ministerpräidenten und Ministerpräsidentinnen in einem Punkt: Die Bundesregierung ist schuld, dass wir zu wenig Impfstoff haben.
Nein, antwortet das Kanzleramt, Schuld hat die EU-Kommission (übrigens unter deutschem Vorsitz), die es versäumt hat, genügend Vakzin bei Biontech zu bestellen. Und während der deutschen Ratspräsidentschaft wurde strikt an der Maßgabe festgehalten, dass alle 27 Mitgliedsländer gleich behandelt werden sollen: gleicher Zeitpunkt und – relativ zur Bevölkerungszahl – gleicher Impfstoffanteil. Wo in Deutschland Föderalismus groß geschrieben wird, da wird in Brüssel das Europa der gleichen Geschwindigkeit hochgehalten. Und an beidem halten wir unbeirrt fest.
Jetzt immerhin soll beim von Astra Zeneca herausgegebenen Impfstoff europaweit richtig zugelangt werden, während das Vakzin von Biontech mit Hochdruck, aber in einem sehr komplexen Prozess hergestellt und ausgeliefert wird. Doch wann und wo jemand wie ich, der schon vom Alter her zur „Risikogruppe Eins“ gehört, einen Impftermin erhält, steht weiter in den europäischen Sternen. Mein Hausarzt zuckt nur mit den Schultern. Und beim örtlichen Gesundheitsamt geht zwischen den Jahren keiner ans Telefon. Dort muss man schließlich noch den Positiv-Fällen hinterhertelefonieren, weil die Corona-App ja aus Datenschutzgründen darüber keine weiteren Auskünfte geben darf.
Mit einer millionenschweren Kampagne unter dem Hashtag #Ärmelhoch hat die Bundesregierung uns in den vergangenen Wochen das Impfen eingeimpft. Doch schon hat´s sich wieder ausgeimpft. Das irritiert und wirkt sich inzwischen auch auf die Impfbereitschaft der Bevölkerung aus. Nur noch 69 Prozent der repräsentativ Befragten wollen sich impfen lassen – wenn sie denn mal drankommen. Das dürfte kaum zur Herdenimmunität ausreichen.
Erfolgreiches Krisenmanagement sieht irgendwie anders aus. Man könnte darüber lachen, wenn´s nicht so traurig wäre. Aber das Lachen wird ohnehin noch lange keiner zu sehen bekommen: der Mundschutz wird uns bis weit in den Sommer treu bleiben – bundesweit.