Na, geht doch!

Die Diskussion über das Klima und seine vom Menschen gemachte Veränderung ist deshalb so kompliziert, weil das, was wir tatsächlich wahrnehmen, nicht Klima, sondern schlicht Wetter ist. Und das Wetter ist schon komplex genug! Während wir gerade unter einer Kaltfront leiden, die stärker ist als die Sonneneinstrahlung, erwarten wir besseres Klima, bekommen aber schlechteres Wetter. Dabei sind die Kapriolen schon extrem genug: während es im Sommer mitunter in einem Landstrich regnet, kommt es ein Tal weiter zu Starkregen mit Bächen, die sturmflutartig über die Ufer treten und Milliardenschäden verursachen.

Nicht nur die Versicherungen interessieren sich deshalb immer mehr dafür, Wetter nicht nur global, sondern lokal vorhersagen zu können. Auch die Landwirtschaft ist mehr und mehr davon abhängig, Wetter auf den Quadratkilometer genau antizipieren zu können. Und auch die Logistik ist mehr und mehr davon abhängig, die kommende Wetterentwicklung zeitlich und räumlich möglichst genau im Blick zu haben. Die Starkregenfälle in Frankreichs Süden im vergangenen Jahr hatten verheerende Folgen. Und das Elbehochwasser in Deutschland hat 2012 sogar eine Bundestagswahl entschieden. Allein im Süden von England hat es seit 2007 jährlich mindestens eine schwerere Überschwemmung gegeben.

Deshalb kommt es nicht überraschend, das die Briten jetzt zusammen mit Microsoft den weltweit stärksten Supercomputer für Wettervorhersagen einsetzen wollen, der ab Sommer kommenden Jahres in Betrieb genommen werden soll und übrigens von Beginn an CO2-neutral operieren soll. Das Projekt, das Microsoft für 1,6 Milliarden Dollar umsetzen soll, nutzt 285.000 CPUs und weitere 10.000 Grafikprozessoren in einer Azure Cloud. Dabei wird das von Elon Musk gegründete Open AI-Konsortium, in das Microsoft insgesamt gut eine Milliarde Dollar investiert hat genutzt, um möglichst umfassende KI-gestützte Wettermodelle und Simulationsvarianten einsetzen zu können. Der Open AI-Supercomputer wurde schon auf der Microsoft Build im vergangenen Jahr vorgestellt und gehört seitdem zu den fünf stärksten Supercomputern der Welt. Dabei lässt sich das Cloud-Netzwerk künftig auch weiter ausbauen.

So geht hoch-innovative Hightech! In Deutschland existieren vom ambitionierten Daten-Cloud-Projekt Gaia-X nur Blaupausen und Diskussionspapiere, in denen gefordert wird, US-amerikanische und erst recht chinesische Internet-Spezialisten vom Konsortium auszuschließen, weil sonst die gewünschte europäische Datensouveränität nicht hergestellt werden könne. Die Briten beweisen derweil nicht nur bei der Impfstrategie und im Supercomputing unverkrampfte Hemdsärmeligkeit. Der Brexit verleiht, so scheints, Flüüügel.

Natürlich ist es allemal schöner, bei Local Heros einzukaufen und die eigene Region zu stärken. Aber Ananas wachsen nun mal nicht am Niederrhein und Hightech entsteht vor allem in den USA. Dies hat die jüngste Jahresbilanz der Boston Consulting Group noch einmal dramatisch deutlich aufgezeigt. Seit 15 Jahren bewertet BCG die innovativsten Unternehmen der Welt und kommt kontinuierlich zum gleichen Ergebnis: Mit einer einzigen Ausnahme (2019) gilt Apple als das Unternehmen mit dem größten Erneuerungspotenzial, gefolgt von Alphabet/Google und – nach rasantem Aufstieg – Amazon. Microsoft wird auf Platz vier eingestuft und Tesla ist die neue Nummer Fünf.

Die ersten fünf Positionen werden also von US-amerikanischen Unternehmen gehalten. Das ist selbst dann beeindruckend, wenn man der Boston Consulting Group eine „America First“-Attitüde unterstellen will. Aber es sind andere Zahlen, die das abgehängte Europa dokumentieren. Während die USA die ersten fünf Plätze besetzt, kann Deutschland überhaupt nur fünf Unternehmen unter den ersten 50 Ranglistenplätzen aufweisen: Siemens (11), Bosch (30), Adidas (34), SAP (40) und Bayer (50). Die deutschen Flaggschiff-Unternehmen Volkswagen, BMW und Daimler sind hingegen unter „ferner liefen“ abgeschmiert. Aber ebenso schlimm ist, dass es überhaupt nur zehn europäische Unternehmen unter die ersten 50 geschafft haben – und davon immerhin die Hälfte aus Deutschland.

Die Wahrheit ist, dass weder die „digitale Souveränität“ noch eine andere Hightech-Weltmarktführerschaft für Europa in greifbarer Nähe ist – weder in der Elektromobilität, noch beim KI-Einsatz oder im Batteriebau. Die jetzt angestrebte Vorreiterrolle bei Wasserstoff-Antrieben geht schon aus geografischen Gründen nur in Kooperation mit sonnenverwöhnten Staaten wie – in diesem Fall – Saudi-Arabien. Warum also immer wieder diese Warnungen vor Kooperationen mit den Internet-Giganten?

Dass die fünf Weltranglistenführer in Europa Steuern vermeiden, liegt an den Schlupflöchern, die ihnen gewährt werden. Dass sie unter besonderer Datenschutz-Gesetzgebung im eigenen Land liegen ist misslich, greift aber nur in seltenen Sonderfällen tatsächlich deutsche Persönlichkeitsrechte an. Dass die Fünf aber in ihren Ökosystemen mehrere Hunderttausend Arbeitsplätze in Europa schaffen, wird in der Debatte völlig vergessen.

Warum also nicht auch eine deutsche KI-Initiative mit Microsoft oder Google? Auch in Deutschland gibt es einen Bedarf an präzisen Wettervorhersagen, von Verbesserungen im Gesundheitswesen oder in der öffentlichen Hand ganz zu schweigen. Die Briten zeigen schließlich: Es geht doch!

Archaische Zustände

Es ist, als würde man aus seiner eigenen Echokammer befreit, in dem die fortdauernden Rufe nach mehr Intelligenz, mehr Innovation und mehr Investition keine andere Antwort als das eigene Echo erzeugen. Jetzt hat der wissenschaftliche Beirat im Bundeswirtschaftsministerium reichlich unverblümt ausgesprochen, was Wirtschaftsverbände, Wirtschaftsweise und Wirtschaftsjournalisten schon seit langem anprangern – nur nicht so drastisch: „Deutschland leistet sich in der öffentlichen Verwaltung Strukturen, Prozesse und Denkweisen, die teilweise archaisch anmuten“, heißt es in dem Gutachten, das seit letzter Woche Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier vorliegt. Es komme zu „verschiedenen Formen von Organisationsversagen“.

Nicht ganz so drastisch, aber immerhin doch unmissverständlich werden auch die Wirtschaftsunternehmen in Deutschland abgestraft. Ohne es direkt zu formulieren, kommen die Gutachter zu der Schlussfolgerung, dass die Pandemie zumindest unter dem Aspekt der digitalen Transformation durchaus etwas Segensreiches mit sich bringe: „Für die digitale Transformation bedeutete die Pandemie in wichtigen Bereichen eine erzwungene Beschleunigung, die allerdings ohne Vorbereitung ablaufen musste. Gleichzeitig hat die Krise in einigen Bereichen, in denen technologische und organisatorische Potenziale für Produktivitätsgewinne und Innovation systematisch unterschätzt worden waren, schnelle Anpassungen und Erkenntnisgewinne erbracht.“

Denn, so die Gutachter weiter, „die Pandemie hat überall dort Defizite aufgezeigt, wo deutsche Institutionen – Verwaltungen, Unternehmen, Schulen, Hochschulen, Gerichte – ihren längst erkannten und ausführlich diskutierten Aufgaben zur Digitalisierung der Abläufe über lange Zeit nicht nachgekommen sind.“ Und um die Klatsche zu komplettieren: „In der Pandemie haben diese Schwächen eine wirksame Antwort der Politik auf die Krise und die Begrenzung des ökonomischen Schadens massiv behindert.“

Nicht nur der ökonomische Schaden hätte bei einem forcierten Marsch in die Digitalisierung, wie er seit der Jahrtausendwende erst fällig und dann mehr und mehr überfällig wurde, geringer ausfallen können. Auch der Schaden im sozialen Umfeld und vor allem im Gesundheitswesen – dort, wo wir unsägliches Leid durch inzwischen 80.000 Todesopfer zu beklagen haben – hätte geringer ausfallen können. Es geht ja nicht einmal nur um die inzwischen sprichwörtliche Kommunikation per Fax, die die Übermittlung der Daten aus den Gesundheitsämtern an das Robert-Koch-Institut behindert. Aber schon da sind die Auswirkungen frappierend: Weil Mitarbeiter im Gesundheitsamt sich in die Osterfreizeit zurückgezogen haben, sind die Zahlen noch Wochen später nicht verlässlich. Nicht auszudenken, das Pflegepersonal auf den Intensivstationen unserer Krankenhäuser hätte die gleiche Arbeitsauffassung!

Die archaischen Zustände sind auch die Hauptursache für unzureichendes Datenmaterial, auf deren Basis Bund und Länder die Corona-Maßnahmen beschließen. Nirgends wird dies deutlicher als bei der Frage, wie und vor allem wo sich Aerosole ausbreiten und wie und wo sich Menschen anstecken. Dass draußen die Luft reiner ist, weiß man eigentlich auch so – sonst würde ja Lüften nichts nützen. Aber ob nun Ausgangsperren die Ansteckungsgefahr im häuslichen Umfeld mindern, ob Schulen geöffnet bleiben sollten oder Geimpfte Sonderregelungen in Anspruch nehmen dürften, entscheiden wir nicht auf der Basis eines belastbaren Datenmaterials, das nicht erhoben werden kann oder darf, sondern nach Gutdünken. Daumenregeln ersetzen Algorithmen.

Und was rät der wissenschaftliche Beirat dem Bundeswirtschaftsminister und allen saumseligen Institutionen? Zusammengefasst könnte man interpretieren: Der Hund muss einfach nur zum digitalen Jagen getragen werden, wenn er nicht von selbst laufen will. Mehr finanzielle Anreize, einfach endlich die Digitalpakte zu nutzen und auszunutzen, die schon auf dem Weg sind, lautet die Empfehlung. Dass im Bildungswesen die bereitgestellten Mittel bislang nur zu einem Bruchteil abgegriffen wurden, während Lehrer immer noch auf die Bereitstellung eines Computers warten, ist schon an sich ein bildungspolitischer Skandal. Dass sie aber eigene Rechner ebenso wenig nutzen dürfen wie Schüler die private Email-Adresse, weil Landesdatenschutzbeauftragte unverhältnismäßig hohe Hürden mit der Begründung errichten, die Privatsphäre der Schutzbefohlenen achten zu müssen, ist nicht mehr nachzuvollziehen. Das Recht auf Bildung steht offensichtlich dahinter zurück.

Auch in die zum Jahreswechsel in der EU verabschiedeten finanziellen Digitalpakete setzt der wissenschaftliche Beirat große Hoffnungen und schließt dabei die Augen vor der Tatsache, dass ja gerade die archaischen Zustände in den Behörden und das multiple Organisationsversagen Hauptgrund dafür sind, dass die Fördertöpfe unerreicht und ungenutzt herumstehen. Es ist ein Teufelskreis: die öffentliche Hand verhindert durch ihre mangelnde Effizienz die Weiterentwicklung ihrer eigenen Infrastruktur. Willkommen in der eigenen Echokammer.

Heinz-Paul Bonn bloggt seit mehr als zwei Jahrzehnten zu Themen der Digitalwirtschaft. Mit HPBonn.Consulting berät er Unternehmen und Persönlichkeiten aus der Szene. Mehr erfahren Sie hier.

Das gefährlichste Virus ist die Trägheit

Der Cloud-Spezialist SalesForce hat tief in die Seele seiner kleinen und mittelgroßen Kunden geschaut und dazu in einer groß angelegten zweistufigen Befragung im März und August des vergangenen Jahres gut 2300 Unternehmer rund um den Globus befragt – jeweils rund ein Drittel davon in Nordamerika und Westeuropa. Die – zumindest für mich erschreckende – Erkenntnis daraus lautet: Der Mittelstand wiegt sich in scheinbarer Sicherheit und denkt nur sehr zögerlich über Veränderungen nach. Die positive Nachricht dahinter aber ist: Wer seine Geschäftsmodelle überdenkt, mit digitalen Methoden neu ausrichtet und dabei das gesamte Liefernetzwerk und die Kunden im Blick behält, kann schneller und konsequenter auf Marktveränderungen reagieren als diejenigen, die weiter am Altbekannten festhalten.

Wie gering nach wie vor der Wille zum Wandel ist, zeigt sich an den Top-Prioritäten angesichts der Ansteckungsgefahren durch das Corona-Virus. Statt vor allem das eigene Geschäft digital neu auszurichten und alternative Geschäftsmodelle wie Click-and-Collect oder Click-and-Meet auszuprobieren, investieren mittelständische Unternehmer lieber in Hygienemaßnahmen wie Abstandsregelungen oder Desinfektion und bauen Ladenlokale, Bürogebäude oder Fabrikationshallen um. Nur 48 Prozent nennen kontaktlose Services wie digitale Bestellmöglichkeiten, neue Formen der Kundenservices oder der Mitarbeiterkommunikation als eine der Maßnahmen unter vielen, mit denen dem Corona-Lockdown begegnet wird.

Dabei zeigt sich eine spannende Lernkurve zwischen der Erstbefragung vor einem Jahr und der Folgebefragung: denn im August fanden 53 Prozent der Mittelständler, dass es wichtig wäre, neuartige Angebote auf den Markt zu bringen, während es im März noch 13 Prozent weniger so sahen. Aber auch hier liegen neue digitale Geschäftsprozesse im Hintertreffen: Nur 39 Prozent der Befragten fanden im August, dass es wichtig wäre, den Kunden eine vernetzte Customer Experience zu bieten – etwa dadurch, dass bei Kundenreklamationen alle fallbezogenen Informationen sofort zur Verfügung stehen und nicht vom Kunden pausenlos wiederholt werden müssen. Nur ein Drittel der Mittelständler sah das im März 2020 so.

Die Corona-Krise hat den Mittelstand aber offensichtlich eines gelehrt: es reicht nicht, nur in die Neukundengewinnung zu investieren – die Bindung bestehender Kunden gewinnt demgegenüber an Stellenwert. Dies gilt nicht nur für den Konsumgüterbereich, sondern auch für Investitionsgüter, wobei sich Technologieanbieter noch am stärksten auf Wachstumsstrategien durch Neukundengewinnung konzentrieren.

Zwar sieht sich rund die Hälfte der Befragten durch die Corona-Maßnahmen in der Existenz gefährdet – doch die überwiegende Zahl der Unternehmer setzt eher auf ein „Weiter so“ als auf disruptive Erneuerung. Die optimistische Grundeinstellung trübt sich allerdings im März-August-Vergleich ein. Nachdem zunächst 80 Prozent die Zukunft ihres Unternehmens positiv sahen, waren es in der Zweitbefragung nur noch 72 Prozent  – ein Rückgang um zehn Prozent also.

Diese positive Grundeinstellung – um nicht zu sagen: dieser Realitätsverlust – versperrt denn auch offensichtlich den Blick auf die Chancen der digitalen Transformation. Weniger als die Hälfte der Entscheider glaubt, dass der Technologieeinsatz „förderlich für die Aufrechterhaltung des Betriebs“ sein könnte. Noch weniger – nämlich nur vier von zehn Unternehmern – glauben, dass sich die Mitarbeiterproduktivität durch Technologien erhöhen lässt. Die geringe Technologiebegeisterung hat Gründe. Als wichtigste Kriterien für die Beurteilung von Technologien nannten die Befragten Benutzerfreundlichkeit, Vertrauenswürdigkeit der Anbieter und den Preis. Erst danach kam ein erster nutzenorientierter Aspekt mit dem Einfluss auf die „Customer Experience“.

Nun mag die SalesForce-Studie in einem Punkt verzerrt sein. Der klare Spezialist für Customer Relationsship Management legt den Schwerpunkt der Befragung natürlich auf kundenorientierte Geschäftsprozesse. Dennoch zeigt sich, dass sich der Mittelstand offensichtlich in einer scheinbaren Sicherheit wähnt, die dazu verleitet, die Krise einfach nur auszusitzen statt auszunutzen. Doch geistige Trägheit ist vielleicht noch gefährlicher als das Virus – und wahrscheinlich auch langlebiger.

Hier zeigt sich, wie groß der Beratungsaufwand noch ist, der betrieben werden muss, um mittelständische Entscheider dazu zu bewegen, ihr Geschäftsmodell von Grund auf neu zu denken und digital zu erneuern. Doch auch das Consulting liegt in Zeiten des Corona-Lockdowns danieder. Auch das hat seine Ursache im unangebrachten Optimismus: Auch die mittelständischen Software-Unternehmer und Unternehmensberater haben sich noch nicht aufraffen können, ihr eigenes Geschäftsmodell und die Art, wie sie mit Kunden umgehen, zu überdenken. Das aber tut dringend not. Corona wird uns erhalten bleiben wie jedes andere Grippe-Virus auch – und wie auch die geistige Trägheit. Leider!

Heinz-Paul Bonn bloggt seit mehr als zwei Jahrzehnten zu Themen der Digitalwirtschaft. Mit HPBonn.Consulting berät er Unternehmen und Persönlichkeiten aus der Szene. Mehr erfahren Sie hier.

 

Software ist die weiche Stelle

Die Nachricht schreckte die Aktionäre: Teamviewer, der deutsche Spezialist für Fernwartung und Remote Access, hat eine Marketingkooperation mit dem englischen Fußballverein Manchester United geschlossen und will auch in der Formel 1 mitmischen. „Größenwahnsinnig“ oder zumindest „großspurig“ dachten die Aktionäre und schickten die Aktie ins Minus. Doch der Coup dürfte wohldurchdacht sein, denn in Zeiten von Lockdowns und Reiseverboten ist die Software, mit der nicht nur Computer im Homeoffice gewartet werden können, sondern auch ganze IT-Landschaften beim Kunden, gefragt wie nie. Um jetzt im lukrativen anglo-amerikanischen Raum wahrgenommen zu werden, muss man schon etwas dicker auftragen.

Ein solches Gebaren ist in der mittelständisch geprägten deutschen Softwareszene unüblich, in der nach SAP und SAG erstmal lange nichts kommt. Das Ergebnis der letzten Konsolidierungswelle vor der Corona-Krise, nämlich der Zusammenschluss aus Step Ahead, Godesys und Informing, ist mit weniger als 300 Mitarbeitern immer noch im mittelständischen Mittelfeld. Und ohne langjährige Partnerschaften mit den Technologieführern wie SAP, Microsoft, Salesforce oder Oracle wären die deutschen Anbieter kaum überlebensfähig. Ihnen fehlt die Marktbedeutung, um ein eigenes Technologie-Ökosystem zu etablieren.

Die Corona-Krise trifft sie darüber hinaus an mehreren Stellen besonders hart: Während die Mehrzahl der Anbieter von Unternehmenslösungen erst allmählich damit begonnen hatte, vom guten alten Lizenzgeschäft auf Abonnements im Cloud Computing umzuschwenken, brach im vergangenen Jahr bei vielen der Umsatz gleich aus zwei Gründen ein: Erstens bedeutet der Schwenk vom Verkauf zur Vermietung zunächst einmal weniger Umsatz, bis die Abonnentenzahlen so weit zunehmen, dass die laufenden Einnahmen wieder steigen. Zweitens aber ist das vom Volumen her viel wichtigere Beratungsgeschäft, das vor allem im direkten Kundenkontakt erfolgt, praktisch zum Erliegen gekommen. Kundenmeetings finden nicht mehr bei der berühmten Tasse Kaffee statt, sondern im beiderseitigen Homeoffice. Da kommt eine Fernwartungssoftware wie Teamviewer gerade recht.

Dabei ist gerade jetzt das Beratungsgeschäft so wichtig wie nie. Praktisch alle Unternehmen haben sich in der Corona-Krise neu ausrichten müssen, mussten etwas mehr Digitalisierung wagen und ihre Geschäftsprozesse umstellen. Wie sehr dabei auch das Gefährdungspotenzial zunimmt, haben die jüngsten Hacks bewiesen. Es hat den Anschein, dass vor allem die Lösungen der großen Technologieanbieter wie zuletzt bei Microsoft von den Hackern ins Visier genommen werden. Noch kurz vor Ostern musste Microsoft seine Cloud-Services runterfahren, weil ein mutmaßlicher „Distributed Denial of Service“-Angriff auf die Domain Name Server des Unternehmens gefahren worden war. Kurz zuvor hatte Microsoft übrigens sein Bounty-Programm ausgeweitet, mit dem ethische Hacker aufgefordert werden, gezielt nach Systemlücken in den Cloud-Lösungen zu suchen. Nach dem rapiden Wachstum des vergangenen Jahres wurde auch die Collaboration-Software Teams in dieses Reward-Programm aufgenommen.

Software ist und bleibt die weiche Stelle im digitalen Rückgrat der Weltwirtschaft. Da muss auch die Systemfrage gestellt werden, ob die zahllosen kleinen und mittelständischen Softwarehersteller nicht auch selbst ein Sicherheitsrisiko darstellen, weil sie mitunter gar nicht die personellen und intellektuellen Ressourcen haben, um ihre Lösungen von allen Seiten auf mögliche Sicherheitsmängel zu überprüfen. Deshalb wird die Abhängigkeit von den Ökosystemen der großen Technologieanbieter weiter wachsen, denn nur sie haben die Ressourcen, die eigenen Infrastrukturangebote auch technisch ausreichend abzusichern.

Doch auch umgekehrt nimmt die Abhängigkeit der Technologiegiganten von ihren kleinen und mittelständischen Softwarepartnern weiter zu. Microsofts CEO Satya Nadella beklagte jetzt in einem Blog, dass die Bereitstellung von Updates und Patches die erkannten Sicherheitslücken noch lange nicht behebt. Denn Patches müssen auch aufgespielt werden, was – schlimm genug – von vielen Anwendern nicht oder nur zögerlich geleistet wird. Solange noch die Mehrheit der Anwender auf eigene IT-Shops setzt, sind es vor allem die Softwarehäuser vor Ort, die mit Beratung und Betreuung für mehr Sicherheit sorgen können. Das geht übrigens ganz gut mit Teamviewer oder ähnlichen Lösungen, solange der Lockdown den Besuch verbietet.

Mittelständische Softwareberater sind wie Hausärzte, die selbst am besten wissen, wo ihren Patienten, respektive Klienten der IT-Schuh drückt. Deshalb gilt in dieser Corona-Zeit nicht nur „impfen, impfen, impfen“, sondern auch „patchen, patchen, patchen“. Denn so wie wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben, werden wir uns auch darauf einzustellen haben, dass Software nun mal die weiche Stelle in unserem Rückgrat ist.

Heinz-Paul Bonn bloggt seit mehr als zwei Jahrzehnten zu Themen der Digitalwirtschaft. Mit HPBonn.Consulting berät er Unternehmen und Persönlichkeiten aus der Szene. Mehr erfahren Sie hier.