Die Telefone sollen nicht stillgestanden haben bei den Anbietern einer „souveränen“ Cloud, also bei der SAP und beim Bertelsmann-Dienstleister Arvato. Beide hatten Ende der letzten Woche endlich eine Lösung für das seit langem schwelende Cloud-Problem der öffentlichen Hand gefunden und angekündigt. Danach wollen Arvato und SAP eine gemeinsame Tochter gründen, die den Besitz und den Betrieb einer „souveränen“ Cloud übernehmen soll. Dies soll es Behörden und Ämtern in Bund, Land und Kommunen erlauben, auch sicherheitsrelevante Daten und personenbezogene Informationen in der Cloud zu speichern, ohne dass Dritte sich einen Zugriff auf diesen Datenschatz erstreiten oder erschleichen könnten.
Technisch umgesetzt werden soll das Ganze auf der Azure-Plattform von Microsoft und mit dem Softwarepaket Microsoft 365, das neben Windows und der Office-Suite auch die Collaboration Software Teams sowie Datenbanken und wichtige Security-Features umfasst. Zusätzliche Cloud-Services wie zum Beispiel KI-gestützte Übersetzungstools oder Analysewerkzeuge könnten dann jederzeit ebenfalls hinzugebucht werden. Doch Microsoft wird nur als Lieferant aktiv, ohne eigene Rechenzentren zur Verfügung zu stellen. Besitz und Betrieb wird dann ausschließlich in der SAP/Arvato-Tochter liegen. Das ist die Grundvoraussetzung für die geforderte Souveränität.
Die ist auch nötig, seit dem unsäglichen US Cloud-Act, der es US-Behörden im Verdachtsfall erlaubt, die Herausgabe von personenbezogenen Daten auch dann von US-Anbietern zu fordern, wenn sie nominell gar nicht im Besitz der Daten sind, weil sie prinzipiell ja ihren Kunden gehören, und sich das Rechenzentrum außerhalb des US-Territoriums befindet, also zum Beispiel in Deutschland. Angerufen durch den österreichischen Daten-Aktivisten Schremp hat der Europäische Gerichtshof in zwei Urteilen die Unvereinbarkeit des US Cloud Acts mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung erklärt und damit die USA nicht mehr als „sicheren Datenhafen“ eingestuft. Spätestens seitdem grassiert das Dilemma.
Microsoft hatte schon zuvor mit einer Cloud, die in die Treuhänderschaft der Deutschen Telekom gegeben wurde, versucht, dieses rechtliche Problem zu umgeben. Das Cloud-Angebot fand aber – wohl aus Gründen der hohen Kosten und der geringen Flexibilität – nur wenig Anklang bei deutschen Kunden. Und die Datenschutzbeauftragten der Länder und des Bundes hatten nach und nach ohnehin erklärt, dass Microsoft oder andere US-amerikanische Cloud-Anbieter für Dienste an der öffentlichen Hand nicht in Frage kommen dürften.
Das ist nun anders. Denn das Bundesamt für Datensicherheit in der Informationstechnik (BSI) hat jetzt dem von SAP, Arvato und Microsoft gefundenen Konstrukt grundsätzlich zugestimmt. Das dürfte Signalwirkung nicht nur für die Behörden haben, sondern auch für mittelständische Anwender hierzulande, die um den Schutz ihrer Daten vor US-amerikanischem Zugriff bangten. Kein Wunder also, dass unmittelbar nach der Ankündigung die Telefone heiß liefen.
„SAP und Arvato Systems haben heute Pläne bekanntgegeben, in eine souveräne Cloud-Plattform für die deutsche Verwaltung zu investieren. Das ist ein wichtiger Meilenstein, der die digitale Transformation in Deutschland auf Basis von Cloud-Technologien beschleunigen kann.“ So kommentierte Microsofts Deutschland-Chefin Marianne Janik die jetzt gefundene Lösung. Allerdings dürfte Microsoft an dem jetzt gefundenen „Modus vivendi“ gar nicht so unbeteiligt gewesen sein, wie es jetzt den Anschein haben soll. Denn schon im Juni vergangenen Jahres entstand eine vergleichbare Lösung in Frankreich. Dort haben Capgemini und Orange die „souveräne“ Cloud übernommen. Und auch dort ist Microsoft der Lösungs-Lieferant.
Schon erklärten Google und Amazon Web Services, in Frankreich ein ähnliches Konstrukt schaffen zu wollen. Damit könnte ein echtes Konjunkturprogramm für Europa entstehen. Denn das Signal aus Frankreich und Deutschland könnte auch in anderen EU-Ländern, die mit der Unvereinbarkeit von DSGVO und Cloud Act leben müssen, gehört werden. Damit könnte sich die „souveräne“ Cloud vervielfachen und zugleich ein gesunder Wettbewerb entstehen, der nicht nur über den Preis, sondern auch über den Grad der Souveränität entschieden wird.
Das könnte zugleich auch den zögerlichen deutschen Mittelsand dazu veranlassen, die eigene Informationstechnik vermehrt in die Cloud zu verlagern. Und der Innovationsstau der öffentlichen Hand würde sich – so die Hoffnung – auflösen. Denn die Ampel-Koalition hat sich eine regelrechte Digitalisierungsoffensive für die öffentliche Hand auf die Fahnen geschrieben. Aber eigentlich hätte das Ganze mit gemeinfreien Lösungen aus der Open Source Community entstehen sollen. Doch inzwischen hat sich wohl die Erkenntnis breit gemacht, dass auf diese Weise zwar individuelle Lösungen entstünden, der Prozess aber Jahre dauern würde. Die Open Source Community sieht sich denn auch als klaren Verlierer der jetzt getroffenen Lösung. Gewinner aber könnten die Europäer sein, die durch das Konstrukt, das in allen EU-Ländern kopiert werden dürfte, nicht nur eine „eigene“ Cloud zur Verfügung hätten, sondern endlich auch eine Plattform für Gaia-X, die als Daten-Cloud die europäischen Unternehmen ins Erdzeitalter des „Infozäns“ befördern soll.