Das Wettbewerbsrecht ist auch nicht immer leicht zu verstehen. Wenn ein Anbieter seine Produkte günstiger herstellt, auf Margen verzichtet oder den Preis ganz einfach als Markteintrittsargument nutzen will, dann ist das gut für den Verbraucher, weil das den Wettbewerb belebt. Wenn derselbe Anbieter aber nach einer erfolgreichen Kampagne eine gewisse marktbeherrschende Stellung eingenommen hat, dann ist das schlecht für den Verbraucher, weil es inzwischen schlecht für den Wettbewerb ist. Um es mit der WDR-Maus zu sagen: „Klingt komisch, ist aber so.“
Wenn man also – nur um ein Beispiel zu nennen – ein Quasi-Monopol auf Erdgas besäße und würde mit äußerst günstigen Preisen, garniert mit unschlagbaren Infrastrukturangeboten, allmählich ganz Europa dafür gewinnen, dann ist das gut für den Verbraucher. Geraten die europäischen Staaten dadurch aber nach und nach in die Abhängigkeit, dann ist das nicht nur schlecht für den Wettbewerb, sondern insbesondere für den Weltfrieden – erst recht, wenn man das Ganze dann noch als Druckmittel missbraucht.
Jetzt mal angenommen, Gas wäre nicht Gas, sondern Software. Und die Infrastruktur bestünde nicht aus Pipelines und Raffinerien, sondern aus schnellen Internet-Verbindungen und Service-Rechenzentren. Dann könnte das Gleiche gelten – nur ohne das Druckmittel und den Weltfrieden. Und in genau dieser Position ist nach den Klagen der Wettbewerber Microsoft in Europa. Die eigenen Apps aus dem Microsoft 365-Angebot sind auf der eigenen Azure-Plattform günstiger als aus einer Cloud eines Wettbewerbers. Die Lizenzbedingungen für die von Dritten gehosteten Office-Apps von Word bis PowerPoint, so signalisiert man aus Brüssel Richtung Redmond, könnten eine Wettbewerbsverzerrung darstellen, wenn nicht gar einen Wettbewerbsverstoß.
Die politischen Vertreter von 447 Millionen Verbrauchern sollte man besser nicht ungehört lassen. Flugs reiste deshalb Microsofts Präsident (und nebenbei oberster Justitiar) Brad Smith zur EU-Kommission, die sich die Positionen der Cloud-Wettbewerber zu Eigen gemacht hatte, um die Vorwürfe auszuräumen. Vor Journalisten fasste er seine Auffassung so zusammen: „Auch wenn nicht alle Vorwürfe berechtigt sind, so sind es doch einige. Deshalb leiten wir so schnell wie möglich Veränderungen ein, um ihnen zu begegnen.“
Gesagt, getan: In Brüssel legte er fünf Prinzipien vor, nach denen Microsoft künftig in Europa handeln wolle. Dazu gehört das Bekenntnis zu europäischen Werten, nicht zuletzt beim Datenschutz und eben auch beim Wettbewerbsrecht. Microsoft will mit seinen Cloud-Plattformen den Erfolg europäischer Software-Entwickler ebenso unterstützen wie die Zusammenarbeit mit Cloud-Mitbewerbern ausbauen. Allerdings: Die Hauptwettbewerber Google und Amazon Web Services sind von den überarbeiteten Lizenzbedingungen ausdrücklich ausgenommen.
Denn tatsächlich könnte man darüber streiten, ob Microsoft inzwischen eine marktbeherrschende Position im europäischen Markt für Private Clouds und damit für Software as a Service, Platform as a Service oder gar Infrastructure as a Service innehat. Nach den von der Financial Times jüngst veröffentlichten Zahlen belegt Microsoft mit seinen Cloud-Angeboten einen unangefochtenen zweiten Platz weltweit – allerdings mit deutlichen Zugewinnen im Jahresvergleich. Amazon Web Services stagniert dagegen mit rund einem Drittel Marktanteil seit Jahren, behauptet aber damit weiterhin souverän den ersten Platz. Zusammen mit dem Drittplatzierten Google beherrscht das Cloud-Dreigestirn zwei Drittel des Marktes. IBM, Alibaba oder SAP folgen unter „ferner liefen“.
Natürlich ist es nicht wünschenswert, wenn sich die Cloud-Landschaft zu einer geschlossenen Wolkendecke entwickelt. Anwender wünschen die Vielfalt und propagieren seit langem eine Multi- oder Hybrid-Cloud-Infrastruktur, in der für unterschiedlichste Anwendungen und Geschäftsmodelle unterschiedliche Services aus der Cloud in Anspruch genommen werden. Ob meine Cloud, deine Cloud und Private Cloud entscheidet immer noch der Kunde – und dabei ist der Preis nur einer und vielleicht noch nicht einmal der ausschlaggebende Faktor. Sicherheit, Verfügbarkeit, zusätzliche Services wie KI oder das Internet der Dinge sind ebenso entscheidend.
Auch Souveränität ist ein wichtiger – für viele sogar der wichtige – Aspekt bei der Cloud-Wahl. Deshalb wurde zum Beispiel Gaia-X ins Leben gerufen, die europäische souveräne Cloud, die als politische Kopfgeburt naturgemäß nur schwer in die Gänge kommt. Die Deutsche Telekom gehört unverändert zu den aktivsten Gaia-iXen. Aber am Ende entscheidet nicht der politische Wille, sondern der Markt. Oder der Wettbewerb. Auch – wenn man dann zum Erhalt der Marktkräfte und der Wettbewerbsfähigkeit von Zeit zu Zeit die Politik anrufen muss. Auch das klingt komisch, ist aber so.