Digitalisierung ist wie Bildung: Beides ist im Prinzip zu begrüßen und die Vorteile sind auch hinlänglich bekannt: aber der Weg dorthin ist so beschwerlich! Und schlimmer noch: es gibt kein definiertes Ziel, weil es immer weiter geht. Ich digitalisiere, also bin ich.
Und es gibt noch eine Parallele zwischen Bildung und Digitalisierung: Wenn es bei den „lieben Kleinen“ in der Schule nicht so läuft, kommen die Helikopter-Eltern wie aus dem Nichts auf die Zuständigen herab, fordern mehr Engagement und ein besser koordiniertes Vorgehen. Und bei den „lieben kleinen Nullen und Einsen“ im Bundesministerium für Digitales und Verkehr scheint es tatsächlich nicht besonders gut zu laufen. Die analogen Themen wie Tankrabatt, Tempolimit, Neun-Euro-Ticket, Bahnchaos, Sylt-Urlaub, Flughafenchaos, Verbrennerverbot und marode Brücken fressen nun mal die ganze Aufmerksamkeit. Da bleibt nicht mehr viel für das hochbegabte Digitale.
Nachdem vom Behördenvorsteher Volker Wissing nach 250 Tagen im Amt noch nicht viel Substanzielles zum Thema gekommen ist, melden jetzt Kanzleramt und die Ministerien für Inneres, Wirtschaft und Finanzen in einem fünfseitigen Papier ihre Teilhabe an – und zwar nicht nur an der Entscheidungskompetenz (vulgo: Macht), sondern auch am für 2023 vorgesehenen Digitalbudget in Milliardenhöhe (vulgo: Machtmittel). Koordiniert wird das Ganze künftig aus dem Kanzleramt, wofür der Scholz-Vertraute Wolfgang Schmidt, der schon die Digitalisierung der Bundesbehörden koordinieren soll, federführend sein wird. Zunächst aber soll das Wissing-Ministerium bis Ende Juli eine Digitalstrategie vorlegen. Dann kommen die Helikopter-Ministerien dazu und beratschlagen erst einmal.
Das war´s dann wohl mit dem Quasi-Digitalministerium im „Wissing-Ressort für Datenautobahnen und Autobahnen“. Die Konstellation war der Forderung von Wirtschaft und Verbänden nach einem eigenständigen Digitalministerium recht nahe gekommen, nachdem in der Regierung Merkel IV zuletzt sechs Fachministerien Zugriff auf „das Digitale“ hatten und das Kanzleramt koordinieren sollte. Mit mäßigem Erfolg, wie sich allein am rohrkrepierenden Megaprojekt „Betriebskonsolidierung Bund“ (BKB) zeigte. Das 2015 beschlossene Digitalprojekt, das IT-Arbeitsplätze in rund 200 Bundesbehörden technologisch und logisch vereinheitlichen sollte, hat die neue Bundesregierung nahezu unerledigt geerbt. Das Projekt war seinerzeit mit – wie naiv kann man sein! – einer Milliarde Euro veranschlagt worden. Jetzt sind es schon 2,5 Milliarden Euro mehr.
Ob die fünf Ministerien nun besser performen als seinerzeit die sieben, kann man nur hoffen und dem Wirtschaftsstandort Deutschland wünschen. Das Problem liegt darin, dass praktisch in jeder Teilinitiative – angefangen von der Modernisierung der Bundeswehr und der Ertüchtigung der Polizei über die Energiewende und die CO2-Reduzierung bis zur Elektromobilität und die Verbesserung unserer Bildungseinrichtungen alles irgendwie digital ist. Wenn´s das Ressort „Digitales und Verkehr“ nicht hebt, wie sollten es dann ein IT-Rat und eine Konsolidierungskommission im Kanzleramt (vorgeschlagenes Kürzel: KoKa) schaffen?
Es muss allerdings verwundern, dass ausgerechnet das Gesundheitsministerium nicht am gemeinsamen Strang ziehen soll. Denn ausgerechnet die evidenzbasierte Pandemie-Politik wäre eine direkte Determinante des vorhandenen Datenmaterials und das wiederum – trivial genug – eine direkte Folge der Erfassung von Patientendaten und der Auswertung klinischer Studien, die ja der Bundesgesundheitsminister nicht allein in Nachtstunden mit seinen Harvard-Kollegen leisten kann. Und: eben erst haben Studien wieder einmal gezeigt, welches Milliardenpotenzial an Einsparungsmöglichkeiten in der Digitalisierung des Gesundheitswesens schlummert. Hoffentlich schlummert es dort nicht weiter. Sonst kommen die Helikopter-Eltern und verlangen bessere Gesundheitsvorsorge für ihre Kinder. Und die zahllosen Fitness-Apps melden sich bei den angeschlossenen Krankenkassen und fordern mehr Transparenz bei den Fitnessdaten der Helikopter-Kinder.
Ein digitaler Teufelskreis. Denn das schlimmste an dieser fatalen Hängepartie ist, dass Deutschland seine Zukunft verspielt. Es ist ja alles gut gemeint, wenn jetzt die Helikopter-Ministerien ihre Verantwortung reklamieren. Aber nun nicht wieder endlos diskutieren und Strategiepapiere schreiben. Die beste Digitalstrategie ist immer noch: Einfach mal machen!