February 18, 2023, Munich, Bavaria, Germany: German Defense Minister Boris Pistorius, center, chats with other leaders following a panel discussion on the Whole, Free, and at Peace during the Munich Security Conference at the Bayerischer Hof Hotel February 18, 2023 in Munich, Germany. Munich Germany - ZUMAp138 20230218_zaa_p138_055 Copyright: xLukasxBarth-Tuttas/Msc/LukasxBarx

…und alle Fragen offen

Vom Weltwirtschaftsgipfel in Davos im Januar bis zur Münchner Sicherheitskonferenz im Februar spannt sich ein Bogen der Ungewissheit. Wie und wann wird der Krieg in der Ukraine enden? Wie werden sich die Außenhandelsbeziehungen mit China entwickeln? Bekommen wir die Inflation in den Griff? Können wir den Energiemix neu gestalten? Werden wir den Klimawandel überleben, nachdem wir ihn offensichtlich nicht verhindern wollen oder können? Und ganz neu: Was sollen wir angesichts von leistungsfähigen KI-Chatbots wie ChatGPT noch glauben?

Weder in Davos, noch in München hat es dazu verlässliche Antworten gegeben. Es ist eher so, wie Bertolt Brecht formulierte: „Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen den Vorhang zu und alle Fragen offen.“ Das einzig Gewisse ist die Unsicherheit.

Denn wenn nun Bundeskanzler Olaf Scholz sagt, dass die Ukraine nicht verlieren darf, und Verteidigungsminister Boris Pistorius davon spricht, dass die Ukraine gewinnen müsse, offenbart das die ganze Unschärfe der westlichen Strategie. Würde die Nato ihr „Kriegsziel“, mit dem sie Putins Russland entgegentreten wollen, definieren, wäre nur dem Machthaber im Kreml gedient. Er wüsste dann, woran er mit uns ist und welche Mittel der Westen noch einzusetzen bereit ist.

Nicht anders – wenn auch nicht in einer militärischen Auseinandersetzung – läuft es im Verhältnis zu China. Dessen Hegemonialstreben vor allem im globalen Süden ist einzudämmen – aber ohne unsere Außenhandelsbeziehungen zu gefährden und den Schulterschluss der Chinesen mit Russland zu befördern. Und auch bei der Energiewende sollen die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, aber ohne Stromtrassen nach Bayern zu verlegen und im Wattenmeer LNG-Terminals zu errichten. Wir befinden uns permanent in der Situation, das eine zu wollen, ohne es zu können, und das andere zu tun, ohne es zu wollen.

Nie waren wir in unserer Handlungsfreiheit so eingeschränkt wie in diesem post-pandemischen Jahr, von dem wir hofften, alle Freiheiten zurückzugewinnen. Nicht einmal im Karneval kommen wir ohne Restriktionen aus. Da brauchen wir zusätzliche Ordnungshüter, um das närrische Treiben, das ursprünglich aus dem Protest gegen Polizei und Armee entstand, nicht in Alkoholexzesse ausarten zu lassen.

Inmitten dieser Unsicherheiten und Widersprüche braucht es Pragmatismus, der sich mit den lösbaren Problemen befasst, solange die globalen Fragen ungeklärt bleiben. Da stimmt es hoffnungsfroh, dass vor allem mittelständische Entscheider ausweislich der aktuellen Konjunkturbarometer wieder hoffnungsfroher in die Zukunft schauen und neue Absatzchancen in Südamerika und Asien erkennen. Und selbst aus den aktuellen Konflikten lassen sich positive Nachrichten generieren: Etwa 86.000 Menschen aus der Ukraine haben der Bundesagentur für Arbeit zufolge eine Beschäftigung in Deutschland. Die Zahl wird noch zunehmen, sobald die anstehenden Sprachkurse absolviert sind, denn, wie es bei der Agentur für Arbeit heißt, „der deutsche Arbeitsmarkt ist aufnahmebereit.“

Doch schon drohen neue Gefährdungen – diesmal von innen. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz warnten Datenschützer und IT-Sicherheitsexperten vor einer weiter anwachsenden Welle von Angriffen aus dem Cyberspace, die sich sowohl gegen Unternehmen als auch gegen die Infrastruktur richten. Schon mehren sich mysteriöse Systemausfälle in Stadtverwaltungen, bei der Bahn oder der Lufthansa, die sämtliche auch rein technische Ursachen haben können – oder aber einen anderen, feindlichen Ursprung haben.

Und als wäre die Bedrohung durch Trolle und Hacker, die von Schurkenstaaten ermuntert werden, ihr Unwesen auf deutschen Datenautobahnen zu treiben, nicht genug, warnen Sicherheitsexperten vor den Gefährdungen, die der IT-Sicherheit durch künstliche Intelligenz zugemutet werden könnten. So warnt der Beauftragte der Bundesregierung für die Informationstechnik, Markus Richter, dass hierzulande Investitionen in Milliardenhöhe notwendig seien, um die technische Infrastruktur vor russischen Cyberangriffen zu schützen.

Und damit nicht genug. Schon warnen Sicherheitsexperten wie der Sophos-Sicherheitsanalyst Chester Wisniewski vor Cyberattacken, die durch KI-gestützte Tools wie ChatGPT optimiert werden. Denn mithilfe des Sprachassistenten können Cyberterroristen ihre Ransom- und Phishing-Mails viel glaubhafter formulieren und damit sogar Geschäftskontakte vortäuschen. Die Zeiten, in denen allein unzureichende Grammatik und Rechtschreibung den zweifelhaften Ursprung solcher Mails, mit denen Malware in die Systeme eingeschleust werden, verrieten, sind vorbei. Gut, dass nahezu zeitgleich KI-gestützte Systeme auftauchen, die relativ zweifelsfrei einen durch Chatbots erstellten Text als solchen identifizieren können.

Aber das Misstrauen gegen alles und jeden nimmt weiter zu. Der Krieg, den Putins Russland nicht nur gegen die Ukraine führt, sondern gegenüber dem ganzen Westen, hat uns längst erreicht – durch Energiekrisen, Cyberattacken und Destabilisierung. Die Unsicherheit nimmt weiter zu – das ist sicher.

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