230313 Meseberg

Ist das Kabarett oder Kabinett?

33 ungelöste Probleme oder zumindest nicht aufgelöste Meinungsverschiedenheiten haben die Mitglieder der Ampel-Koalition aus ihrer Klausurtagung auf Schloss Meseberg wieder mit zurück nach Berlin gebracht. Nun ging es im brandenburgischen Barockschloss eher um die ganz großen Linien, die den Deutschen mehr Zuversicht und eine lebenswerte Zukunft schaffen sollten, doch strauchelten die „Ampelmusen“ immer wieder über Themen der Tagespolitik – und nicht zuletzt stolperten sie in allbekannte parteipolitische Grabenkämpfe.

So zeigt beispielsweise die Diskussion um E-Fuels und das in der Europäischen Union geplante Aus für Verbrennermotoren ab 2035, wie sehr die Koalition mitunter um des Kaisers Bart zu streiten scheint. Nicht einmal in den noch im fossilen Zeitalter steckenden Teilen der Automobilindustrie ist der E-Sprit unumstritten, weil auf dem Weg vom Wasser und Kohlenstoffdioxyd zum synthetischen Kraftstoff mehrere verlustreiche Umwandlungsstufen durchlaufen werden müssen, die bei jeder Ökobilanz durchfallen müssten. Ist es Hobby oder Lobby, was da nach mehr Esprit für den E-Sprit ruft?

Tatsächlich: Manchmal sind Kabarett und Kabinett wirklich kaum zu unterscheiden. Wenn jetzt der beschleunigte Ausbau von Autobahnen gefordert wird anstatt die bestehenden forciert zu sanieren, klingt die Begründung, der Güterverkehr auf der Straße werde Gutachten zufolge überdimensional zunehmen, fast wie ein Offenbarungseid. Ist es nicht Aufgabe einer Bundesregierung, die Dinge zu lenken und zu leiten und möglicherweise stattdessen die Schiene zu ertüchtigen, damit eben nicht mehr Güterverkehr auf die Straße kommt? Ein Teufelskreis! Wäre es Kabarett und nicht Kabinett, müsste man den laut Zeugnis des Bundeskanzlers „sehr, sehr guten Verkehrsminister“ Volker Wissing fragen, ob er denn genügend Verkehrsschilder für die neuen Autobahnkilometer zur Verfügung hat – wo die doch schon bei einem angedachten Tempolimit 130 fehlten.

Immerhin ein Lenkungsversuch – wenn auch ein absurder – wäre es gewesen, den Neubau von Gas- und Stromheizungen ab 2024 zu verbieten. Man muss sich das perspektivisch vorstellen: Das Ende des Verbrenners im Auto bis 2035 gilt als verfrüht, das Aus für fossile Verbrenner im Haus ab 2024 nicht? Gut, dass wir unsere gute, alte Bürokratie haben, die so einen Schnellschuss sicherlich verhindern würde.

Vor 40 Jahren hat der damalige polnische Präsident Lech Walesa nach seinem Besuch in Deutschland, bei dem es um schnelle Hilfe für das gerade aus dem sowjetischen Joch entlassene Polen ging, die Ergebnisse so zusammengefasst: „Überall wurde mir als erstes gesagt: langsam, langsam.“ Jetzt beschwört Bundesfinanzminister Christian Lindner das „LNG-Tempo“. Gemeint ist dabei das unbürokratische und ein wenig durchregierte Genehmigungsverfahren für die Liquid Natural Gas-Häfen, das sogar Umweltschützer verstummen ließ. Allerdings: Lindner beschwört hier ein Tempo, das sein Kabinettskollege Robert Habeck vorgelegt hat.

Er selbst verschiebt nun erst einmal die Vorlage des Haushaltsentwurfs, weil der aus den Ministerien angemeldete Mehrbedarf angesichts von steigenden Zinsen nicht zu finanzieren sei. Aber bräuchten wir nicht gerade jetzt einen Doppel-Wumms fürs Digitale, für mehr Nachhaltigkeit, für die Rückholung von Produktion und eine energiesichere Zukunft. Und nicht zuletzt: Wir brauchen, ob wir wollen oder nicht, mehr Geld für die Produktion von Munition, für die Ertüchtigung der Bundeswehr und die Beschaffung von funktionierendem Gerät. Doch wäre es richtig, dem Verteidigungsminister die zusätzlich geforderten zehn Milliarden Euro zu gewähren, bevor er sicherstellt, dass er sie über sein bräsiges Bundeswehrbeschaffungsamt überhaupt ausgeben kann? Es klingt zynisch, aber es wäre ein leichtes, diesen zusätzlichen Betrag in den Etat zu schreiben – wissend, dass er im kommenden Jahr doch niemals ausgegeben werden kann.

Nicht anders steht es für den Bundesgesundheitsminister, der soeben die elektronische Patientenakte wie einen Springteufel aus der Geschichte der verpassten digitalen Chancen hervorzaubert. Diese seit 20 Jahren fällige und heute überfällige Innovation krankt am Unwillen der beteiligten Instanzen im Gesundheitswesen. Schon rufen wieder die alten Zauderer und Zweifler nach mehr Datenschutz, der – offensichtlich ist auch das zynisch – über dem Patientenschutz zu stehen scheint. Und kaum wird eine Reform des Krankenhauswesens skizziert, die weg von den Fallpauschalen führen soll, aus denen nur falsche Anreize für Operationen und Therapien gesetzt wurden, gehen die ersten schon vors Bundesverfassungsgericht, um die Rechtmäßigkeit dieser Idee überprüfen zu lassen.

Wo sind wir nur hingekommen? Während wir in Meseberg und Anderswo streiten, ziehen andere Länder an Deutschland vorbei. Schon zeigen Studien, dass viele ausländische Fachkräfte den Umzug nach Deutschland gar nicht in Erwägung ziehen, weil es hierzulande so bürokratisch und xenophob zugeht. Schon überlegen Unternehmen, die eigentlich gerne ihre Produktion nach Deutschland zurückgeholt hätten, ob sie angesichts der US-amerikanischen Gesetzgebung zur Inflationsbekämpfung nicht doch lieber eine Fertigung in den Vereinigten Staaten aufziehen. Und gleichzeitig reisen zwei grüne Bundesminister nach Brasilien, um dort für die Ansiedlung deutscher Betriebe zu werben.

Wir leben in einer Zeit, in der Sachdebatten klingen wie ihre eigene Satire. Ist das noch Kabinett oder schon Kabarett? Dabei ist das überhaupt nicht zum Lachen. Man möchte sagen: Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.

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