Haben Sie schon mal versucht, mit Ihrem SUV den Rasen in Ihrem Vorgarten zu mähen? Oder mit einem Löffel den Bart zu schneiden? Geht nicht – weiß man auch vorher. Die Briten haben dafür eine treffende Redewendung: Horses for Courses. Will sagen: Man spannt ein Rennpferd auch nicht vor den Pflug. Und Menschen mit unterschiedlichen Begabungen sind für unterschiedliche Aufgaben unterschiedlich gut qualifiziert. Was für Menschen gilt, gilt erst recht für Maschinen – es sei denn, dahinter wird künstliche Intelligenz vermutet.
Seit Monaten vergeuden die KI-Komiker ihre und unsere Zeit, indem sie versuchen, den KI-gestützten Sprachassistenten ChatGPT hinters Licht zu führen, ihn (oder es) Dinge sagen zu lassen, die sich nicht gehören, oder Aufgaben erledigen zu lassen, die von den Schöpfern bei OpenAI und Microsoft gar nicht vorgesehen waren. Niemand würde ein SUV wegen der Fahrspuren im Rasen für generell untauglich erklären. Aber hierzulande gilt es als höher begabte KI-Kritik, wenn der Chat erfolgreich in die Irre geführt wird. Haben wir wirklich so wenig Selbstvertrauen, dass wir uns von einer Technologie, die noch in den Kinderschuhen steckt und dennoch Beachtliches leistet, derart herausfordern lassen? Es scheint, das Volk der Dichter und Denker ist nicht mehr ganz dicht.
Immerhin sorgen die KI-Komiker dafür, dass der Hype-Cycle aus Euphorie, Ernüchterung und Akzeptanz so schnell durchlaufen wird wie noch nie bei der Einführung einer neuen Technologie. Immerhin hat der Sprachassistent den bisherigen Top-Cyclisten, Netflix, abgelöst, nachdem eine Million User innerhalb von wenigen Tagen erreicht wurden.
Aber wenigstens nähern sich die KI-Komiker der neuen Technologie an – auch wenn dies auf dem Niveau von Telefonstreichen geschieht, wie wir sie von Paul Panzer kennen. Schlimmer sind die, die tief ins KI-Koma fallen und den unfassbaren Technologiedurchbruch, den wir gerade durchleben, einfach verschlafen oder leugnen. Sie sind hauptverantwortlich dafür, dass Deutschland schon wieder einen Digitalisierungsschub versäumt. Wir haben ja noch nicht einmal die Datenbasen, auf denen eine künstliche Intelligenz ihre Erkenntnisse fußen könnte.
Vielleicht sollte hier noch einmal deutlich gemacht werden, dass die German Angst vor Artificial Intelligence auf einem Übersetzungsfehler und damit auf falscher Perzeption beruht. „Intelligence“ ist nämlich keineswegs korrekt mit „Intelligenz“ gleichzusetzen, sondern mit „Erkenntnis“. Die US-amerikanische Central Intelligence Agency ist ja schließlich auch nicht die Denkschmiede der USA, sondern ein Erkennungsdienst. Aber dieser Irrtum ist offensichtlich nicht mehr auszurotten. Dafür bedürfte es allerdings auch menschlicher Intelligenz.
Wäre ChatGPT intelligent, würde der Chat den Inhalt der Dialoge bewerten. Das geschieht aber nicht – es sieht für uns nur so aus, weil wir dazu neigen, hinter jeder Kreation eine Kreatur zu erkennen. Deshalb sehen wir Tiere oder Landkarten in Wolkenformationen oder deuten Abstraktes dinglich. Vielmehr mutmaßt das Large Language Model hinter ChatGPT auf der Basis von Terabytes an Texten, welche Worte und Sätze gut zusammenpassen. Ganz ähnlich wie ein Rechtschreibprogramm auf unserem Smartphone, dass auch nur aufgrund unseres bisherigen Sprachverhaltens mutmaßt, welches Wort gemeint sein könnte. Was die KI daraus macht, ist menschengemacht, also eine Kreation, keine Kreatur.
Wie tief diese German Angst vor Artificial Intelligence sitzt, konnte man jetzt wieder bei der Vorstellung des Copiloten für Microsoft 365 beobachten. Microsofts CEO Satya Nadella hat am vergangenen Donnerstag angekündigt, dass der auf ChatGPT-4 basierende Sprachassistent nach der Suchmaschine Bing und dem Browser Edge nun auch in die Office-Anwendungen integriert wird. Der Nutzen besteht zum Beispiel darin, dass die KI automatisch aus einigen Stichworten eine gut formulierte Mitarbeiter-Mail entwirft oder eine Zusammenfassung eines Meetings formuliert. Außerdem könnte die Kalenderfunktion mit Hilfe von KI sämtliche Termine zu einem Thema zusammenfassen, bei der Reiseplanung helfen oder automatisch Erinnerungen datieren.
Nur wenige Minuten nach dieser Ankündigung musste sich ein Mitarbeiter von Microsoft Deutschland vor die Mikrofone stellen und versichern, dass dies alles selbstverständlich konform mit der europäischen Datenschutz-Grundverordnung geschieht, die Privatsphäre also gesichert ist. Und natürlich flammte auch gleich wieder die Debatte hoch, welche Auswirkungen das alles auf unser Bildungssystem, unser Gesundheitswesen oder gar auf die Medien haben könnte.
ChatGPT kann keinen neuen Gedanken produzieren. Die sinnvoll klingenden Sätze stützen sich lediglich auf bereits Gedachtes und Niedergeschriebenes. Und hier endete die Wissensbasis bislang im September 2021. Alles Neuere war ChatGPT unbekannt. Mit ChatGPT-4 ist das nun wieder aktualisiert – wie natürlich auch aktuelle Kalendereinträge, wenn man dem Sprachassistenten den Zugriff darauf gewährt. Wenn wir uns jetzt darauf beschränken, angesichts dieses technischen Fortschritts immer nur die alten Bedenken der German Angst zu wiederholen, verhalten wir uns nicht anders als der Sprachassistent. Mit Intelligenz hat beides nichts zu tun.