Seit einem Dreivierteljahr scheinen wir nur noch ein Thema zu kennen: Künstliche Intelligenz im Allgemeinen und Generative AI im Besonderen. Losgetreten wurde alles im vergangenen November, als OpenAI den Sprachassistenten ChatGPT im Web verfügbar machte und damit dreierlei bewirkte: Erstens: Jedermann erhielt die Möglichkeit, ChatGPT und damit Generative AI, für sich auszuprobieren. Zweitens: Der Wettlauf der Tech-Giganten – allen voran Microsoft und Google – um die beste Position im KI-Geschäft wurde eröffnet. Drittens: Eine breite Debatte über Nutz‘ und Frommen von Künstlicher Intelligenz beherrscht seitdem den gesellschaftlichen Diskurs.
Dabei spaltete der Erfahrungsschatz schnell zwei Lager auf – bestehend aus denjenigen, die sich als „Intelligenzija“ von KI herausgefordert sahen, und jenen, die in einer KI-Unterstützung eine Erlösung von alltäglicher Routinearbeit vor allem mit Blick auf hohe Bürokratieaufwände gesehen haben. Beide Lager nahmen ChatGPT ins Kreuzverhör und führten dessen Leistungen und Fehlleistungen genüsslich vor.
Die Debatte zeigt Wirkung. Eine überraschend große Mehrheit der mittelständischen Entscheider steht jüngsten Studien zufolge einem Einsatz von KI positiv gegenüber. Auch wenn rund 16 Prozent durchaus Skepsis äußern, wollen sie die Nutzungsmöglichkeiten evaluieren. Das ist untypisch für den Mittelstand, der doch sonst stets zögerlich an neue Technologien herangeht und bei der Digitalisierung in den vergangenen zehn Jahren durchaus eine Verweigerungshaltung angenommen hat.
Doch diesmal ist alles anders: Microsoft und Google haben die mühsame Integrationsarbeit für ihre Kunden längst in Angriff genommen und KI-Funktionen in ihre bestehenden Lösungen eingebaut. Wer sie nutzen will, muss also nur noch ein Upgrade bezahlen – und schon geht es los. Außerdem kommen zusätzliche KI-Leistungen „irgendwie aus der Cloud“ und verlangen also keine hohen Vorab-Investitionen in Hardware. Und schließlich haben die Tech-Giganten ihren Sprachmodellen einen Großteil der im Internet frei verfügbaren Daten in Form von Texten und Bildern zugrunde gelegt, sodass für den Ersteinsatz kein aufwändiger Daten-Input nötig ist. AI – ready to use.
Das lockt den Mittelstand, der stets risikoavers investiert und ansonsten deshalb vor hohen Kosten bei ungewissen Risiken zurückschreckt. Dass beispielsweise ChatGPT in Form eines Copiloten in Microsoft-Produkten Mails formuliert, Meeting-Minutes zusammenfasst oder Standard-Formulare selbständig ausfüllt, ist verlockend. Denn die Mehrzahl der Belegschaft klagt ohnehin über Überlastung durch nervige Routine. Doch wer KI nur zum Sparen nutzt, könnte zwei unerwünschte Effekte heraufbeschwören: Die Gefahr besteht immerhin, dass sich Manager durch diese Art der Nutzung selbst überflüssig machen. Zusätzlich ist eine Bürokratie zu befürchten, in denen KI die Nachrichten der einen Seite formuliert und versendet, die von der KI der anderen Seite gelesen und beantwortet wird. Das wäre eine Kommunikation, die an den Menschen vorbeigeht, weil ihnen die Befassung mit Alltagsthemen zu anstrengend wird.
Die noch größere Gefahr besteht im alten Software-Grundsatz, wonach schlechte Daten, auf denen Anwendungen beruhen, auch zu schlechten, wenn nicht gar falschen, Ergebnissen führen. Wer heute ChatGPT in der populären Version benutzt, greift auf einen Textkörper zurück, der zur Zeit einige Jahre hinter der Aktualität herhinkt. Die Erkenntnisse, die sich daraus ergeben, sind nur für Unbelesene wirklich neu. Denn der KI-Output kann nichts anderes als wiederkäuen, was bereits irgendwo von irgendjemand formuliert wurde. Wer neue Erkenntnisse erwartet, muss an die Datenbasis heran.
Beim KI-Einsatz muss also ein echter Mehrwert her. Der entsteht in der Regel aus dem wertvollen Datenschatz, über den jedes Unternehmen verfügt. Ihn zu heben und der KI sinnvoll zur Verfügung zu stellen, ist kein Projekt aus der Cloud-Steckdose, sondern harte Kärrnerarbeit. Wer die scheut, bekommt nie einen Added Value. Dann gilt: Garbage In führt zu Garbage Out.