2022 gab es 24,3 Millionen kleine und mittlere Unternehmen in der Europäischen Union. Das sind 99,8 Prozent aller in den 27 EU-Mitgliedsstaaten gemeldeten Unternehmen. Sie beschäftigten 84,9 Millionen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, was etwas weniger als zwei Drittel aller in der EU Beschäftigten entspricht. Zusammen genommen erwirtschafteten sie im vergangenen Jahr 3946 Milliarden Euro und damit gut die Hälfte – nämlich 51,8 Prozent – des Bruttoinlandsprodukts der Europäischen Union.
„Mittelstand“ ist also kein rein deutsches Phänomen – auch wenn er hierzulande am stärksten ausgeprägt ist. Immerhin jedes neunte mittelständische Unternehmen in der EU hat seinen Sitz in Deutschland. Und nicht nur die Durchschnittsgröße des deutschen Mittelstands überragt den EU-Durchschnitt, sondern auch der Beitrag deutscher Unternehmen – darunter rund 1500 sogenannte Hidden Champions – zum Bruttoinlandsprodukt ist deutlich größer als im Rest der Europäischen Union.
Aber diese Zahlen bedeuten auch: die andere Hälfte des europäischen Bruttoinlandsprodukts wird von lediglich 500.000 Unternehmen generiert. Wirtschaftspolitik muss immer abwägen, ob sie vor allem die Starken stärkt oder die mittleren hervorhebt. Mittelstandsförderung verlangt einen deutlich höheren Aufwand an Geld, Zeit und Bürokratie. Mit zehn Milliarden Euro kann man zwar ein Unternehmen wie Intel nach Magdeburg locken, aber den europäischen Mittelstand mit einer Zahlung von einmalig 411 Euro nicht wirklich entlasten. Das wäre praktisch wirkungslos.
Aber ohne ihre mittelständischen Zulieferer wären die globalen Konzerne aufgeschmissen. Ihre Profitabilität würde deutlich sinken, müssten sie die gesamte Wertschöpfungskette selbst abbilden. Ohne die Kaufkraft des bürgerlichen Mittelstands würde die Nachfrage einbrechen. Und nicht zuletzt: 84,9 Millionen Beschäftigte sind auch Wähler!
In dieser Güterabwägung hat die Europäische Kommission jetzt das Entlastungspaket für kleine und mittlere Unternehmen auf den Weg gebracht. Jenseits von gedeckelten Energiepreisen, Steuersenkungen und Handelserleichterungen, für die es weder in Deutschland noch in der Europäischen Union die finanziellen Mittel und den politischen Willen zu geben scheint, soll das Entlastungspaket unter anderem Verfahren und Berichtspflichten so vereinfachen, dass ihr Aufwand um 25 Prozent gesenkt werden kann. Angesichts der bisherigen Erfahrung mit Entbürokratisierung kann wohl kaum damit gerechnet werden, dass dieses Ziel vor 2030 erreicht wird.
Schneller könnten da Maßnahmen greifen, die es kleinen Unternehmen besser möglich machen sollen, ihre Potenziale auszuschöpfen und zu wachsen. Dazu zählt vor allem ein verbesserter Zugang zu Finanzierung und Arbeitskräften. Wie das konkret aussehen soll, ist aber noch unklar. Mehr Liquidität soll darüber hinaus eine Verordnung über Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr bringen, die zu einer Verkürzung der Zahlungsbedingungen zwischen Unternehmen führen soll. Zusätzlich ist eine Richtlinie zur Steuervereinfachung mit dem Ziel geplant, dass Unternehmen bei grenzüberschreitenden Aktivitäten hauptsächlich das besser bekannte Steuerrecht der Muttergesellschaft anwenden dürfen.
Es klingt alles so, als wollte das Bürokratiemonster Europäische Union Bürokratie mit Bürokratie austreiben. Keine der genannten Maßnahmen hilft kurzfristig. Die drängenden Probleme aber bestehen jetzt. Es ist kein Wunder, dass sich der Mittelstand von der Politik nicht mehr ernst genommen fühlt. Anreize für Investitionen in Digitalisierung der Geschäftsprozesse, in nachhaltige Wertschöpfungsketten oder in Wachstumsinvestitionen könnten mit weniger Bürokratie und damit auch schneller umgesetzt werden. Aber es ist unverändert die verkehrte Welt der Europäischen Union: die Maus kreisste und gebar einen Berg.