In einer global angelegten Studie über die Aktivitäten der drei großen Weltmarkt-Akteure – USA, China und die Europäische Union – kommt das in Washington und Brüssel beheimatete Center for Data Innovation beim Thema Künstliche Intelligenz zu einem interessanten Vergleich. Während, so beobachteten die Politikberater, in Europa mehr breitangelegtes KI-Knowhow existiert, arbeitet die KI-Elite in den USA. Und während in Europa deutlich mehr Papier zum Thema produziert wird, seien die Patente und Pläne in den USA wesentlich substantieller.
Treffender kann man den Zustand Europas kaum beschreiben. Wir produzieren Papiere, während andere handeln. Europa verfügt laut Studie über die größte Anzahl an KI-Forschern, ist aber nicht in der Lage, daraus Kapital zu schlagen.
Ein Beispiel ist das seit letzter Woche in der Europäischen Kommission kursierende 173 Seiten starke Papier, das die kommende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dazu drängen soll, einen mit 100 Milliarden Dollar bestückten „European Future Fund“ ins Leben zu rufen. Mit ihm soll einerseits dem von US-Präsident Donald Trump angezettelten Handelskrieg begegnet werden. Andererseits soll aber auch den US-amerikanischen Internet-Giganten der Krieg erklärt werden, indem eigene Hightech-Unternehmen gezielt gefördert werden sollen.
Allerdings: während dieses Paper kursiert, schaffen genau jene Internet-Giganten in Europa weiter Fakten. Sie bieten ganz einfach jene Produkte an, die die Europäer so dringend brauchen. Das gilt für Cloud Computing mit Microsoft ebenso wie für Online-Einkäufe bei Amazon, für soziale Kontakte bei Facebook ebenso wie für schnelle Online-Auskünfte bei Google.
In diesem Sinne ist Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier ein echter Europäer. Nach seiner Anfang des Jahres veröffentlichten Industriestrategie, mit der er europäische Champions aufbauen will, legte er jetzt mit einer sogenannten Mittelstandsstrategie nach. Man muss sich allerdings erst durch eine Reihe von Sonntags-Plattitüden hindurcharbeiten, in denen die sattsam bekannten Mittelstands-Charakteristika wie „größter Arbeitgeber“, „entscheidend für Wertschöpfung und Innovation“ oder „gesellschaftliche Verantwortung der Familienunternehmen“ hervorgehoben werden. Stimmt alles – aber war auch schon vor des Ministers Amtsantritt ein alter Hut. Erst dann kommen Passagen, in denen Steuersenkungen und Investitionshilfen in Aussicht gestellt werden.
Man könnte sich darüber freuen, wenn man nicht gleichzeitig Sorge hätte, dass die richtigen Ansätze in den internen Auseinandersetzungen der Großen Koalition wieder versanden würden.
Ähnliches ist bei GAIA-X zu befürchten, jenem Konzept für ein Betriebssystem zur Verwaltung von Cloud-Servern und damit zur Schaffung „einer europäischen Dateninfrastruktur, die unter anderem auch als Grundlage für einen Datenpool für künstliche Intelligenz dienen kann“, wie es eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums formuliert.
Angesichts des schwelenden Konflikts zwischen dem US-amerikanischen Cloud-Act und der europäischen Datenschutz-Grundverordnung erscheint es auf den ersten Blick als durchaus begründet, dass „die europäische Wirtschaft dringend verlässliche Datensouveränität und breite Datenverfügbarkeit“ benötigt. Nach dem Cloud-Act könnten im Falle eines Falles US-Behörden US-amerikanische Cloud-Provider zur Herausgabe von sensiblen Daten zwingen, auch wenn diese gar nicht auf Servern in den Vereinigten Staaten abgelegt sind. Die DSGVO aber verbietet genau diese Herausgabe.
Aber auch GAIA-X ist eben vorerst nur ein Papier, bei dem die Zweifel begründet sind, dass dabei jemals mehr herauskommen wird als Worte. Tatsächlich können die Unternehmen mit ihren Digitalstrategien nicht darauf warten, dass diesen Worten Taten folgen. Sie müssen heute in ihre Cloud-Infrastrukturen investieren. Und dabei bleiben ihnen neben deutschen Anbietern wie der Deutschen Telekom oder United Internet nur die beiden Marktführer Amazon und Microsoft.
Und Microsoft hat in diesen Tagen wieder einmal gezeigt, dass Taten wichtiger sind als Worte. Mit jeweils zwei Rechenzentrums-Regionen in Deutschland und der Schweiz hat Microsoft seine globale Data Center-Präsenz auf 56 ausgebaut. Die „Regionen“ Berlin und Frankfurt, Zürich und Genf sind massiv verteilte Rechenzentren, deren Standorte geheim sind. Hier bietet Microsoft Kunden wie der Deutschen Telekom, SAP, UBS und der City of Zug, die ganze Azure-Produktpalette an – von Infrastruktur as a Service über Edge Computing, Internet of Things, Entwicklungsumgebungen, Migrationspfade und nicht zuletzt KI-Services. Im kommenden Jahr sollen die Produktivitätssuite Office 365 und die ERP/CRM-Suite Dynamics 365 folgen.
Es steht zu befürchten, dass dann GAIA-X noch nicht einmal ein Logo hat, geschweige denn einen Umsetzungsplan. Die Ironie will es, dass der deutsche Mittelstand dann froh sein kann, wenigstens Anbieter wie Microsoft zu haben. Die deutschen und Schweizer Data Center-Regions lösen zwar den Konflikt zwischen dem Cloud-Act und der DSGVO nicht auf, stellen aber sicher, dass die Unternehmensdaten im Land bleiben. Microsofts Wort drauf!
Wir sollten mehr Pragmatismus wagen. Statt – wie in der europäischen Kommission diskutiert – den US-amerikanischen Anbietern den Kampf anzusagen, sollten wir sie stärker einbinden. Im Alleingang wäre Europa im Wettlauf mit den USA und China nur ein – Papiertiger.