Das Menetekel vom innovationsfeindlichen Mittelstand grassiert in Deutschland, seit es den Mittelstand gibt. Erneut gezählt (mene) und gewogen (tekel) haben jetzt ZEW und infas im Auftrag der KfW, um in einer repräsentativen Befragung den Fortschritt der digitalen Transformation bei Unternehmen mit mindestens fünf Mitarbeitern und höchstens 500 Millionen Euro Umsatz zu ermitteln. Das entspricht etwa einer Million Unternehmen in Deutschland. Danach wird nur jeder fünfte Mittelständler als nicht zu leicht empfunden. Sie nehmen die Digitalisierung ernst und investieren in neue Prozesse und Produkte. Nach den Hochrechnungen des Forschungsprojekts ist dagegen ein Drittel des deutschen Mittelstands als digitaler Nachzügler noch kaum aus den Startlöchern gekommen. Zwischen diesen beiden Gruppen befindet sich rund die Hälfte der KMUs, die zwar in Digitalisierungsprojekte investieren, aber nur in homöopathisch kleinen Schritten Fortschritte verzeichnen.
Die Bestandsaufnahme zeigt wieder einmal, wie sehr Zukunftsforscher, Technologie-Evangelisten und ihre Publizisten mit der Präsentation einer digitalen Gesellschaft der Realität im Mittelstand vorauseilen. Müssen sie auch, denn der Mittelstand braucht offensichtlich diese Dauerberieselung an Mahnungen und Meinungen, um sich aus der selbstgefälligen Wohlfühlzone zu bewegen. Das legt auch die KfW-Studie nahe, der zufolge 59 Prozent der Befragten die Kosten der digitalen Transformation als (zu) hoch einschätzen. Bei durchschnittlich 10.000 Euro jährlich, die nach den Ermittlungen der Forschungsgruppe pro Mittelständler in die Digitalisierung gesteckt werden, kann das nur bedeuten: Tatsächlich sind es nicht die realen Kosten, die zu hoch sind, sondern der erwartete Nutzen, der als zu niedrig angesehen wird.
Dabei ist die Bandbreite enorm: große Familienunternehmen investieren bis zu vier Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung, typisch sind rund drei Prozent. Digitalisierungsbudgets von 200.000 Euro bis zu einer Million Euro werden durchaus auch bei Mittelständlern ausgelobt, wenn dahinter Rationalisierungspotentiale im Sinne von Industrie 4.0 stecken. Dennoch bleibt der Fokus der Digitalisierungsprojekte auf Detailverbesserungen ausgelegt, mit denen bestehende Geschäftsprozesse und Geschäftsmodelle optimiert werden. Die Disruption, also die Umwälzung bestehender Gewohnheiten, bleibt dagegen die Ausnahme. Der Königsweg im Mittelstand heißt Evolution.
Neben geringer Phantasie und Nutzenerwartung mag die unverändert schwierige Finanzierung der digitalen Innovation ein Haupthinderungsgrund sein. Drei von vier Projekten werden aus dem laufenden Cashflow der Unternehmen finanziert. Projektleasing wird mit großem Abstand an zweiter Stelle genannt. Die Aufnahme von Krediten kommt hingegen nur bei fünf Prozent der Aktivitäten zum Zuge. Damit offenbart sich ein bekanntes Grundproblem bei Innovationsprojekten im deutschen Mittelstand: Die Finanzierung von personalintensiven Transformationsprojekten trifft auf nur wenig Gegenliebe und Risikobereitschaft bei den Kreditinstituten, da der Anteil an Sachinvestitionen gering ist. Zum Vergleich: Beim Durchschnitt der traditionellen Sachinvestitionen sind die Kreditgeber in 20 Prozent der Fälle der dabei.
Das ist mit Blick auf Konjunktur und Zinspolitik insgesamt unverständlich. Der Mittelstand ist es freilich gewohnt, dass ihm die finanziellen Mittel nicht beliebig zufließen. Das hat ihn in seinem Innovationsverhalten längst konditioniert. Die digitale Transformation in kleinen Schritten ist insofern auch eine direkte Folge des Kreditvergabeprozesses. Die wahren Innovationsbremsen sitzen folglich in den Banken, die bevorzugt dann das Risiko eingehen, wenn Sachinvestitionen winken. Die digitale Transformation hat ihren Ursprung aber in Denkprozessen und Prozessanalysen. Wenn der Mittelstand mehr Mut zur Innovation schöpfen soll, dann müssen die Banken mehr Mut zur Investition aufbringen. Gezählt, gewogen und für zu risikoscheu empfunden – das gilt für Banken mehr noch als für den Mittelstand.