Weit ab vom Schuss

In der Debatte um die Zukunft von Microsoft werden immer wieder Rufe nach dem Firmengründer Bill Gates laut, der sich doch wieder stärker in das Tagesgeschäft einmischen möge. Nur so, meinen die Rufer, könne der Konzern wieder auf einen Erfolgspfad geführt werden, an dessen Ende der Durchbruch bei Windows 8, Surface und Azure liegt.
In der Debatte um die Zukunft von SAP bedarf es keiner Rufe nach dem Firmengründer Hasso Plattner, der sich auch ohne öffentliche Aufforderung in das Tagesgeschäft einmischt und den Konzern auf einen Erfolgspfad führen möchte, an dessen Ende der Umzug ins kalifornische Silicon Valley stehen dürfte. Walldorf, so gab der Aufsichtsratschef jetzt zu Protokoll, sei doch nun wirklich ein bisschen weit ab vom Schuss.
Nach der geplant wirkenden, aber dennoch überraschenden Ankündigung des europäischen Co-Vorstandschefs Jim Hagemann Snabe, den geteilten Chefsessel zu verlassen, verlagert sich die Konzernleitung ohnehin in Richtung USA, wo der künftige alleinige Vorstandsvorsitzende Bill McDermott die Geschicke der Firma von Philadelphia (PA) aus, der Technologie- und Produktvorstand Vishal Sikka von Palo Alto (CA) aus lenken. Dort herrscht offenbar nicht jener Ungeist, der die nordbadische oder überhaupt deutsche Heimat Plattners so schwer erträglich macht: mangelnder „Wille zum Sieg“, wenig „kreative Impulse“ und überhaupt sei man hierorts bürokratisch, behäbig und ineffizient.
Nun haben mindestens 1200 deutsche Hidden Champions durchaus über die letzten Jahrzehnte hinweg bewiesen, dass man im globalen Markt erfolgreich und tonangebend sein kann. Von nichts kommt nichts in der mit Abstand stärksten Volkswirtschaft des Euroraums. Und Lernbereitschaft – von Siegern Siegen lernen – ist durchaus eine deutsche Tugend, die sich auch außerhalb der engen Grenzen eines Fußballfeldes manifestiert: Zum Beispiel in der Initiative des Bundeswirtschaftsministers, Start-up Unternehmer ins Siliziumtal zu führen, um dort Risikokapitalisten und Technologieführer zu treffen.
Die SAP ist eine globale Company und sie darf sich ihre Standortvorteile suchen, wo immer das sinnvoll erscheint. Und ihre Firmengründer dürfen auch Kritik an jenem Standort üben, der sie so groß gemacht hat, dass ihre Kritik überhaupt vernommen wird. Das auf diese Weise zu tun, ist allerdings ebenfalls eine deutsche Untugend. Ein Amerikaner würde seine Kritik in jedem Fall in die Klammer setzen: Well or wrong, my country.
Künftig wird es eher heißen: Well or wrong, my company. Wo auch immer SAP Niederlassungen gründen wird – überall wird es die Besten akquirieren müssen, um sich eine weltweite Vormachtstellung zu sichern. Dazu muss nicht die Landeskultur, sondern die Firmenkultur stimmen. Und die Partnerkultur.
Bei letzterem dürfte SAP derzeit gegenüber Microsoft die Nase vorn haben. Denn das Ecosystem rund um die SAP prosperiert – mitunter mehr als es der Konzernspitze recht ist. Bis zu 220 Milliarden Dollar könnten SAP-Partner im Jahr 2017 durch Technologie, Professional Services und Hardwareverkäufe umsetzen, schätzt das Marktforschungsunternehmen IDC. Allein die In-Memory-Datenbank bietet eine jährliche Wachstumsrate von knapp 20 Prozent für das Ecosystem.
Dazu hat SAP mit PartnerEdge jetzt ein Programm aufgesetzt, das Anbietern die Möglichkeit geben wird, neue Anwendungsentwicklung auf der Basis der SAP-Technologien und Lösungsplattformen voranzubringen. Mobile Anwendungen, Cloud-Lösungen, Datenbanken und In-Memory-Systeme sollen die Grundlage für ein völlig neues Lösungsangebot und damit neue Umsatzquellen bringen. Wir werden sehen, wie viele deutsche SAP-Partner hier ihren inneren Schweinehund überwinden werden, um doch kreative, innovative, unbürokratische Lösungen zu erstellen. Natürlich weit ab vom Schuss.

Nie sollst du mich befragen…

Müssen wir künftig eine andere Richtung wählen, wenn wir uns gen SAP verneigen? Was sich in den vergangenen Tagen in der Chefetage des (noch) größten deutschen Softwarekonzerns tut, hat etwas von einer Wagner-Oper, wo Heroen um das Ewige, Gute ringen und am Ende – scheitern. Wie zum Beispiel Cloud-Vorstand Lars Dalgaard und Personalvorstand Luisa Delgado, die letzte Woche von der SAP-Opernbühne abtraten.

Wo allerdings der grüne Hügel für das Festspielhaus demnächst errichtet wird, scheint äußerst fraglich. In Walldorf jedenfalls herrscht Götterdämmerung, während sich im amerikanischen Palo Alto die neuen Gralshüter zusammenfinden.

Sicher ist bislang nur, dass aus der SAP AG ab kommendem Jahr eine SAP SE werden soll, eine Gesellschaft nach europäischem Recht. Doch zu welchem Behufe – außer zum Steuersparen? „Nie sollst du mich befragen“, singen die Wagnerianer bei der SAP und könnten im Lohengrin-Libretto tunlichst fortfahren: „Ob Ost, ob West – das gelte allen gleich.“

DIE Chefetage gibt es bei SAP, das mit weiter abnehmender Genauigkeit „der Walldorfer Softwarekonzern“ genannt wird, seit der vergangenen Woche ohnehin nicht mehr. Co-Vorstandschef Jim Hagemann Snabe sitzt meistens in Kopenhagen, sein Kollege Bill McDermott in den USA. Dort – in Palo Alto – haben auch der neue Entwicklungsvorstand Vishal Sikka und Aufsichtsratschef Hasso Plattner ihr Domizil. Und die künftige Kommunikationschefin Victoria Clarke wird auch eher aus einer der US-amerikanischen Niederlassungen der SAP die Marketing- und Kommunikations-Geschicke des Konzerns führen. In Walldorf sitzen hingegen die Urgesteine Gerhard Oswald (jetzt federführend für das Hana-Geschäft zuständig) und Finanzvorstand Werner Brandt, der bis zu seiner Pensionierung im kommenden Jahr nun auch die Personalangelegenheiten regelt.

Das alles sind erdrutschartige Veränderungen, die auch auf der Hauptversammlung des Konzerns am Dienstag dieser Woche interessieren. Denn nicht nur die Frage, wo das Unternehmen künftig sitzt, sondern auch die Zweifel darüber, wo das Unternehmen heute steht, beschäftigen die Aktionäre. Zwar zeigte das aktuelle Quartal wieder deutlich nach oben, riss aber mit ausgewiesenen 520 Millionen €uro Gewinn die Erwartungen der Analysten. In der Folge sank der Aktienkurs um fünf Prozent. Dennoch meinen die meisten Broker, das Kurspotenzial des Konzerns sei bei weitem noch nicht ausgeschöpft – zugetraut werden der SAP bis zu 80 Euro pro Aktie. Und dennoch herrscht Unsicherheit.

Für Besorgnis sorgt dabei auch, dass der Umsatz sich mehr und mehr um Cloud-Produkte und Hana rankt, während das traditionelle Geschäft mit Unternehmenssoftware und Unternehmensberatung zurückgehe – allerdings auf höchstem Niveau. An der neuen Diversität hat SAP hart gearbeitet- und heftig investiert: rund 17 Milliarden Euro wurden allein für Aufkäufe (Business Objects 2007, Sybase 2010, SuccessFactors 2011, Ariba 2012) aus der Hand gegeben. Die Konsequenzen zeigen sich nicht nur in einem gigantischen Integrationsprojekt, in dem unterschiedlichste Firmenphilosophien, Führungsstrukturen und Produktbereiche zu einer neuen, weltumspannenden Einheit zusammengefasst werden sollen. Auch der Umbau des Vertriebs, der auf neue, schnell drehende Produkte und Saleszyklen getrimmt wird, sorgt für zusätzliche Reibungen. Dies gilt auch für die neuen Salesregionen:  Nach der Zusammenlegung der beiden „Americas“ und dem starken Wachstum in Asien erscheint Europa wie ein abgehängter Kontinent.

Dalgaard und Delgado scheiterten offensichtlich in diesem Umbauprojekt: Vor allem die Talfahrt des ehemaligen „SuccessFactors“ Dalgaard war von vielen herbeigesehnt worden. Seit Monaten ließ der von Hasso Plattner schon mal zum neuen starken Mann erhobene Dalgaard kein gutes Haar an der Cloud-Strategie der SAP („Alles Mist“). Jetzt freilich heißt Plattners Favorit Vishal Sikka. Das muss nicht unbedingt ein gutes Omen sein: Auch Shai Agassi hatte schon mal diesen Ehrentitel. Frei nach Lohengrin sollte man ausrufen: „Nie sollst du mich befördern.“