Employee on Demand

Der alte IBM-Haudegen Nick Donofrio hat so manche Revolution angezettelt – und überlebt. Die Revitalisierung der Mainframes zum Beispiel darf ihm ebenso aufs Konto geschrieben werden wie die Power-Architektur der RS6000, als IBM das Dogma „Tu nix mit Unix“ überwand. Zusammen mit Lou Gerstner hat er Big Blue in den neunziger Jahren vor dem Kollaps, wahrscheinlich vor der Insolvenz gerettet und die Service-Epoche eingeläutet. Die Zuneigung seiner (überlebenden) Kollegen ist ihm sicher. Den Song über seine Rettungstaten in Knittelversen kann man auf Youtube hören (Sweet home, Alabama).

Doch wie es scheint, revolutioniert Nicolas M. Donofrio auch aus dem Ruhestand heraus die ehrwürdige Company – zum Beispiel als Verwaltungsrat von TopCoder, einer Plattform für Crowd Sourcing. Crowd Sourcing? – das ist Schwarmintelligenz bei Kreativaufgaben, der Arbeitsplatz plus Arbeitskraft plus Kreativität aus der Menge holt. Rund 390.000 Entwickler, die lieber freiberuflich oder im Nebenjob Code generieren, sind auf dieser Cloud- und Crowd-Plattform inzwischen angemeldet. Sie akquirieren in einem offenen Wettbewerb neu ausgeschriebene Jobs, skizzieren Zeitaufwand und Honorarvorstellungen und gehen an die Arbeit.

Cloud Computing und Social Communities beginnen, die Arbeitswelt sichtbar und nicht zuletzt: messbar zu verändern. Bis zu einem Drittel Kostenersparnis bringe das neue Ausschreibungsmodell, rechnete im Sommer letzten Jahres IBM Vice President und Global Cloud Leader (was immer das ist) Patrick Howard vor. Für eine Company, die das Ergebnis pro Aktie bis zum Jahr 2015 auf 20 Dollar hochdrücken will, ist die Frage, wie hoch die Marge in einer der zentralen Sparten des Dienstleistungsangebots gedrückt werden kann, alles andere als Peanuts. Zu diesem Zweck hatte Sam Palmisano, der zum Jahreswechsel das Heft als IBM President an Virginia Rometty übergeben hatte, bereits das Großprojekt „Liquid“ ausgerufen. Es soll nicht nur die „Liquilage“ des Unternehmens verbessern, sondern auch die Ära einer neuen, fließenden Organisation einläuten.

Radikaler könnte die Abkehr von der alten Watson-Doktrin, wonach eine starke, eingeschworene, vertriebsorientierte Mannschaft rund um den Globus Intensivbetreuung am Kunden zu leisten hat und dabei auf eine tiefgestaffelte vertikale Vollzugsmannschaft zurückgreifen konnte, nicht sein. Seit Jahren wandelt sich IBM vom vertikal integrierten Unternehmen, das die gesamte Wertschöpfung von der Grundlagenforschung bis zum fertigen Endgerät in den eigenen Firmenwänden erfüllt, in  eine horizontal vernetzten Company, die über Beziehungsketten genauso viele externe Ressourcen akquiriert, wie für die Erledigung der Aufgabe nötig sind (und auch nur solange sie für die Erledigung der Aufgabe nötig sind). Schon intern läuft unter dem Namen „Geno“ ein ähnliches Programm, das den firmeninternen Wettbewerb um Aufgaben und Ressourcen organisiert. Wofür Geno auch immer stehen mag – passender zum IBM-Portfolio wäre wohl: Employee on Demand.

Nicht zum ersten Mal wird ein solcher Wandel zunächst in Deutschland ausprobiert. Von den 20.000 Mitarbeitern hierzulande sollen Gerüchten zufolge bis zu 8000 Stellen eingespart werden. Von Entlassungen und Sozialplänen ist derzeit nichts zu hören. Vielleicht wiederholt sich die Geschichte. Als IBM Anfang der siebziger Jahre im Antitrust-Verfahren die internen und externen Honorarsätze für Programmierer und Systemanalytiker offenlegen musste, entschieden sich viele IBMer für die Selbstausbeutung und machten sich selbständig. Dietmar Hopp und Hasso Plattner, Claus Wellenreuther und Klaus Tschira gehörten zu den Abtrünnigen, die lieber in Freiheit rund um IBM Mainframes Anwendungsentwicklung betreiben wollten und dafür auf Provisionen, Gratifikationen, legendäre Weihnachtsfeiern und sonstige Vergünstigungen verzichteten…