Annus horribilis

Deutschland hat rund 30 Millionen Bundestrainer – das ist seit 1954 so. Und alle wissen besser als Jogi Löw, dem (noch) amtierenden tatsächlichen Bundestrainer, was zu tun ist, um „Die Mannschaft“ durch sportlichen Erfolg wieder zu einem marketingtechnisch wertigen Produkt zu machen. Ein Null-zu-Sechs gegen Spanien ist der negative Höhepunkt eines – die derzeit ausgesperrten Ultras würden sagen – „verkackten“ Jahres 2020. In etwas gehobeneren Sphären nennt man das ein „Annus horribilis“. Auf Schalke übrigens – aber aus anderen Gründen – würde man sowohl de einen als auch dem anderen Terminus zustimmen…

Deutschland hat inzwischen auch rund 50 Millionen Virologen – das ist erst seit diesem Jahr so. Und viele davon – sie selbst nennen sich „Querdenker“ – wissen es besser als die tatsächlichen amtierenden Pandemie-Experten. Ihre Namen kennt inzwischen praktisch jeder: Marylyn Addo, Klaus Cichutek, Christian Drosten, Alexander Kekulé, Jonas Schmidt-Chanit, Hendrik Streeck und natürlich Lothar Wieler vom Robert-Koch-Institut. Aber die meisten – also die, die nicht an Verschwörungstheorien glauben, sondern daran, dass eine vernunftbegabte Einsicht in die Notwendigkeit von Einschränkungen diese Virus-Epidemie in unserem Land eindämmen kann – folgen den Empfehlungen der echten Virologen. Und diese Empfehlung hieß seit März: einschränken, einschränken, einschränken. Egal, ob es sich dabei um persönliche Kontakte, um Reiseaktivitäten oder um Geschäftsprozesse entlang der Lieferkette handelt.

Sachsen zeigt nun, dass die „Quer“-Denker möglicherweise doch eher „Queer“-Denker waren – also mit Verlaub: Verrückte – und der Ausbreitung des Virus in ihrem Bundesland eher Vorschub geleistet haben. Schon schlagen selbst Mitglieder des Ethikrates vor, dass man bei einer notwendig werdenden Triage – also der Frage, wer zu heilen ist und wer zu leiden hat –die Teilnahme an den Querdenker-Demos als Kriterium ansetzen sollte. Aber schon vor Monaten haben ansonsten vernunftbegabte Menschen aus Politik und Wirtschaft gefordert, dass wir eine Triage zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und individueller Freiheit treffen müssen. Die These: Je stärker wir der Gesellschaft die individuellen Freiheiten rauben, desto größer sind die Überlebenschancen der Wirtschaft. Aber umgekehrt gilt auch die These: Je stärker wir der Wirtschaft durch Milliardenhilfen unter die Arme greifen, desto eher können wir die Armen im Lande vor dem Existenzminimum bewahren. – Soloselbständige, Künstler und die Hotellerie und Gastronomie natürlich ausgenommen. Sie sind – Überraschung, Überraschung – doch nicht so systemrelevant, wie es Künstler vielleicht geglaubt haben.

Die Subventionen allerdings gelten als systemrelevant – selbst dort, wo mit Hilfe von Kurzarbeitergeld totgeweihte Industrien an die Beatmungsgeräte angeschlossen wurden. Auch das ist offensichtlich eine Frage der Triage. Entscheidend sind nicht die Überlebenschancen – und schon gar nicht die Versäumnisse von „Que(e)rdenker-Vorständen“, die die Realität von eMobilität, eCommerce oder eNergy geleugnet haben –, sondern vielmehr die Anzahl der Arbeitsplätze, die mit diesen Industrien verbunden sind. Es geht also gar nicht um Innovation, sondern um Bestandsbewahrung.

Nicht anders entwickelte sich im zurückliegenden Jahr der Fortschritt zur digitalen Transformation. Die meisten Unternehmen verschoben die Investitionen in Digitalisierung von der strategischen Ausrichtung auf neue Geschäftsmodelle zur taktischen Ausrichtung auf das Homeoffice. Doch persönliche Meetings durch Slack, Skype oder Teams zu ersetzen, verschafft noch keinen wirtschaftlichen Vorsprung. 2020 mag vielleicht in die Annalen eingehen als das Jahr, in dem viele – gerade auch mittelständische Unternehmen – ihr digitales Erwachen erleben. Aber sie reiben sich gerade erst die Augen über das, was durch Digitalisierung möglich ist.

Wir hätten das Jahr 2020 aus einem Annus horribilis in ein echtes Annus digitabilis wandeln können, wenn wir die Horror-Investitionen statt in den Erhalt von Arbeitsplätzen und Gemeinplätzen in echte Erneuerungen gesteckt hätten. Die Automobilindustrie hat vorgemacht, wie sie sich ihre Versäumnisse in der Krise durch staatliche Fördermaßnahmen nachträglich hat verzuckern lassen. Eine echte Innovationspolitik sieht freilich anders aus. Sie fördert künstliche Intelligenz, Robotics, das Internet der Dinge und viele andere Zukunftsthemen wie beispielsweis Quantencomputing nicht mit ein paar läppischen Milliarden über Jahre gestreckt, sondern über Soforthilfemaßnahmen mit der Bazooka, wie es Finanzminister Olaf Scholz gesagt hat. Da das nicht geschehen konnte, ist für mich das Jahr 2020 wirklich ein Annus horribilis.

Liebe BonnBlog-Gemeinde, ich wünsche Ihnen und Ihren Lieben, uns zusammen dessen ungeachtet Optimismus für das Morgen und die Hoffnung auf eine erfolgreiche, gesunde und friedvolle Zukunft im Jahre 2021.

Bei der Digitalisierung nur das Nötigste

An diesem Blog ist alles digital. Er wurde auf dem Smartphone mit Hilfe einer Spracherkennungssoftware diktiert. Für die Entfehlerung und Formatierung des Textes habe ich vom Laptop aus auf die Datei in der Cloud zugegriffen. Dort wurde auch die Audiodatei abgelegt, nachdem ich den Text – wiederum mit dem Smartphone – eingesprochen habe. Auch hier wurden kleinere Korrekturen am Laptop mit einem speziellen Editor vorgenommen. Zusammen mit einer Grafik – aus dem Web – wurde schließlich alles online gestellt. Den Link dazu habe ich in den sozialen Medien verbreitet und Ihnen persönlich per Mail zukommen lassen. Auch das Geschäftsmodell ist digital motiviert – es geht darum, im Aufmerksamkeitswettbewerb Punkte zu sammeln. Also wirklich alles digital.

Aber bin ich deswegen schon ein Digital Leader? Nach Auffassung des von der Deutschen Telekom bei techconsult in Auftrag gegebenen „Digitalisierungsindex Mittelstand 2020/2021“ bin ich tatsächlich ein digitaler Vorreiter, der dank des hohen Digitalisierungsgrades besonders gut auf die Corona-Pandemie vorbereitet ist. Doch streng genommen handelt es sich bei meinem digitalen Geschäftsprozess eher um eine „minimal invasive Innovation“. Zum Einsatz kommen lauter Commodities, die kaum einen echten und vor allem nachhaltigen Wettbewerbsvorteil bringen.

Aber genau das sollten Digitalisierungsanstrengungen eigentlich bewirken: Wettbewerbsvorteile. Zwar loben die Telekom-Autoren, dass der Indexwert über den Grad der Digitalisierung im Mittelstand um zwei Punkte gegenüber dem Vorjahr zugelegt hat. Aber mit 58 von 100 möglichen Punkten ist das Glas doch eher nur halb voll. Oder halb leer: denn dieser Wert aus dem Mittelfeld zeigt, dass der deutsche Mittelstand bei der digitalen Transformation weiterhin nur Mittelmaß ist.

Ja, von Transformation, also von Veränderung, kann kaum ernsthaft die Rede sein. Nur eine Minderheit der befragten Unternehmen verbindet mit der eigenen Digitalisierungsstrategie auch das Nachdenken über neue Geschäftsmodelle oder neue Marktmechanismen. Und wo dies geschehen ist, waren die veränderten Rahmenbedingungen der Hygienemaßnahmen gegen Corona der ausschlaggebende Anreiz. Deutlichstes Indiz dafür ist, dass 55 Prozent der Unternehmen Home-Offices für ihre Mitarbeiter ermöglicht haben.

Aber auch ein Home-Office macht noch keinen Digital Leader. Es ermöglicht vielleicht die Fortführung der Geschäftstätigkeit unter Corona-Bedingungen. Eine echte Innovation, eine buchstäbliche Erneuerung, ist damit nicht verbunden. Nur 37 Prozent wollen unter dem Eindruck der Corona-Krise ihre digitalen Prozesse stärker vorantreiben. Da ist es kein Wunder, dass in den dienstleistungsorientierten Branchen die Unternehmen mit dem höchsten digitalen Durchdringungsgrad zu finden sind. Dabei, so stellen die Studienautoren fest, hat sich gerade die Logistikbranche zum Digital Leader gemausert. Sie hat der Untersuchung zufolge am heftigsten auf den Anpassungsdruck reagiert. Aber auf der anderen Seite haben freischaffende Dienstleister am wenigsten für ihre digitale Selbstverwirklichung getan – obwohl gerade hier Online-Aktivitäten das Überleben sichern könnten. Auch überraschend – und ebenso unverständlich – ist die Tatsache, dass der Handel sich laut Studie im vergangenen Jahr digital kaum weiterentwickelt hat.

Dabei operieren mittelständische Unternehmen ohnehin auf niedrigem digitalem Niveau. Zwar urteilen die Studienautoren wohlwollend, dass „zahlreiche Unternehmen die zurückliegenden Monate genutzt haben, um digitale Vorhaben kurzfristig voranzutreiben.“ Doch wenn sie genauer hinschauen, müssen die Studienautoren relativieren: „Im Fokus stehen mobile Endgeräte, Kollaborations- sowie Video- oder Webkonferenzlösungen.“ Ansonsten, so heißt es weiter, „wurde die Investitionsbereitschaft für nach wie vor als wichtig erachtete digitale Lösungen wie künstliche Intelligenz, Blockchain, Augmented und Virtual Reality oder generell in digitale Innovationskultur und Change Management vermehrt zurückgestellt.“

Es ist das alte Lied: Erst hatte der Mittelstand keine Zeit für Digitalisierung, weil Hochkonjunktur herrschte. Dann wollte man das Geld angesichts einbrechender Märkte zusammenhalten. Und schließlich wurde wegen Corona nur das Nötigste eingeleitet. Inzwischen fehlen wieder Zeit und Geld. Aus einer solchen Motivationslage können keine Digital Leader entstehen.

 

Erzähl keinen vom Weihnachtsmann…

Wer mit den Mythen des christlichen Abendlandes vertraut ist, weiß, dass der Weihnachtsmann eigentlich mit dem Nikolaus identisch ist. Aber anders als der Nachfolger des Bischofs von Myra entstammt die Gestalt des „Saint Nick“ keiner uralten Heiligenlegende, sondern dem Gedicht „A visit from St. Nicholas“, eher bekannt unter seiner ersten Textzeile „´twas the night before Christmas“, in dem der Wichtel mit rotweißem Fellmantel und drolliger Schnapsnase 1823 erstmals beschrieben wurde. Der Mann auf dem Rentierschlitten reklamiert also inzwischen zwei Megaevents des Jahres für sich, die eigentlich einmal gemeinfreies Gut, also Open Source waren: Nikolaustag und Weihnachten – und das unter zwei unterschiedlichen Markennamen.

Das ist kartellrechtlich im Grund schon durchaus bedenklich, denn das Christkind – das ja eigentlich Jesus ist, aber immer von einem Mädchen dargestellt wird – muss sich inzwischen dieser Marktmacht beugen. Ältere Rechte schützen halt nicht vor schlechtem Marketing. Nicht das Christkind fährt den mächtigen Coca-Cola-Truck, sondern der Weihnachtsmann, beziehungsweise Saint Nick.

Hinzu kommt ein Verstoß gegen das Datenschutzrecht. Denn der Nikolaus hat in seinem Buch alle guten und bösen Taten der Menschenkinder verzeichnet – und rechnet aufgrund dieser Datenbasis am Nikolaustag mit der Menschheit ab. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass die Menschen ihre Verfehlungen nicht nur selbst zu Protokoll geben. Vielmehr wird die Datenbasis auch über Dritte gesammelt – Engel und Wichtel zum Beispiel, die zum Weltkonzern „Heaven Corp.“ gehören, aber nicht explizit als solche auftreten. Das rechtfertigt neben der datenschutzrechtlichen Würdigung auch die Einleitung eines weiteren Kartellverfahrens wegen Marktmissbrauchs.

Auch bei Theodor Storm ist bereits diese bedenkliche Verquickung unterschiedlicher Konzernteile nachzulesen: da erkundigt sich das Christkind bei Knecht Ruprecht über von Dritten erhobene, eigentlich geschützte personenbezogene Daten, die dann auch munter, wenn auch anonymisiert ausgeplaudert werden. Ebenfalls bedenklich ist die Tatsache, dass die Betroffenen weder die Möglichkeit zur Dateneinsicht haben, noch ein Recht auf Löschung durchsetzen können. Sie müssen diesem Datendeal zwangsweise zustimmen, wenn sie in den Genuss des ansonsten kostenfreien Weihnachts-Services kommen wollen.

Nicht anders verhält es sich bei Facebook und den Konzernteilen WhatsApp und Instagram, weshalb jetzt nahezu alle US-Bundesstaaten und die Antitrust-Behörde eine erste Klageschrift aufgesetzt haben. Auch in Deutschland regen sich die Markthüter, weil sie in der Tatsache, dass Nutzer für die zum Facebook-Konzern gehörende VR-Brille Oculus einen Facebook-Account benötigen, einen klaren Missbrauch der Marktmacht sehen. Und ganz ähnlich sind auch die Vorwürfe gegen Amazon gelagert, wo ebenfalls aus unterschiedlichen Konzernteilen und Produktangeboten Daten gesammelt und zu einem umfassenden Userprofil zusammengesetzt werden. Ob die Verfahren gegen beide tatsächlich zu einer Zerschlagung der Konzerne führen werden, darf getrost bezweifelt werden. Und auch der Versuch, die Datenbeziehungen zwischen Facebook, Instagram und WhatsApp zu kappen, dürfte kaum von Erfolg gekrönt sein. Allenfalls nutzt Facebook künftig einen Umweg, um die Daten in seinem großen Buch zu sammeln.

Es ist die Crux der vertikal integrierten Konzerne, wie wir sie seit Nelson Rockefellers Standard Oil kennen. Die Integration ganzer Prozessketten von der Ölexploration bis zur Tankstelle, von der Barrel-Produktion bis zur Herstellung von Öllämpchen war lange Zeit segensreich und brachte die junge Petrochemie überhaupt erst zur vollen Blüte. Auch bei Facebook und Amazon waren (und sind) die Synergieeffekte einer vertikalen Integration zunächst einmal vorteilhaft. Es ist nun Mal einfacher, sich mit seinem Facebook-Account bei Drittanbietern anzumelden. Solange dies freiwillig geschieht, ist dagegen auch nichts einzuwenden.

Man kann es durchaus als Grundgesetz des Kapitalismus ansehen, dass sich komplette Wertschöpfungsketten innerhalb eines vertikal integrierten Konzerns schneller bilden und dadurch neuen Geschäftsmodellen zum Durchbruch verhelfen. Aber diese Konzerne neigen irgendwann dazu, den innovativen Wettbewerb wegzubeißen oder wegzukaufen. So konnte IBM mit ihrem Mainframe-Monopol lange Zeit die Entwicklung anderer IT-Infrastrukturen verhindern. Microsoft benachteiligte im eigenen Betriebssystem die Webbrowser von Konkurrenten. Amazon stellt die Produktangebote seiner eigenen Kunden schlechter als die eigenen Konkurrenzprodukte – so jedenfalls der anhängige Kartellvorwurf.

IBM und Microsoft konnten – anders als Standard Oil – die Zerschlagung ihrer Konzerne verhindern, weil sie Strafzahlungen akzeptierten und vage Zugeständnisse machten. Es ist nicht zu erwarten, dass es jetzt bei Facebook und Amazon anders laufen wird. Wer an die Macht der Kartellbehörden glaubt, glaubt wohl auch noch an den Weihnachtsmann.

 

Ach, du Heiliger Sankt Nimmerlein

„Ich brauche ja die App nicht zum Sankt-Nimmerleins-Tag, sondern ich brauche sie sofort.“ Im Gespräch mit der Publizistin und Wissenschaftlerin Miriam Meckel verteidigte die Bundeskanzlerin und Wissenschaftlerin Angela Merkel auf dem virtuellen Digitalgipfel 2020 die Vorgehensweise bei der Entwicklung der Corona-App. Man habe dabei den dezentralen und freiwilligen Ansatz gewählt, um möglichst schnell möglichst breite Akzeptanz zu gewinnen. Es würde ja nichts geholfen haben, wenn man – wie in Frankreich – eine anspruchsvollere Lösung entwickelt hätte, die aber erst nach langer politischer Debatte um die Akzeptanz am Sankt-Nimmerleins-Tag 2023 zum breiten Einsatz gekommen wäre. Und außerdem habe man der Industrie durchaus vorgeführt, was mit Bluetooth möglich ist. Innovativ und agil – das sind nicht unbedingt die beiden Eigenschaften, die man mit der Technologiepolitik dieser Bundesregierung verbindet.

Das sind aber durchaus die Erfolgsgeheimnisse der Startups: Code a little, test a little. Von Teilprojekt zu Teilprojekt, also von Sprint zu Sprint folgen im agilen Projekt Entwicklung, Abstimmung und Zustimmung, ehe der nächste Entwicklungsschritt in Angriff genommen wird. Ähnlich agil will die Bundesregierung jetzt auch beim Datenschutz und dem Schutz der Privatsphäre vorgehen, scheint es: Die Frage der Abwägung von technologischem Fortschritt auf der einen und dem Schutz der Daten auf der anderen Seite müsse kulturell immer wieder neu ausgehandelt werden, so Merkel. Also von Kultur-Sprint zu Kultur-Sprint. Klar sei aber, dass dieser Prozess nun schnell gehen müsse, um zum Beispiel bei den Zielen beim Klimawandel nicht weiter hinterherzuhinken.

Oder zum Beispiel im Gesundheitswesen, in der Smart City, bei der Verbrechensbekämpfung, der Terrorabwehr, dem Kampf gegen Cyber Crime oder ganz allgemein bei den Zielen der Plattform-Ökonomie, dem Cloud Computing, dem Internet der Dinge und bei Anwendungen der künstlichen Intelligenz, möchte man hinzufügen. Denn Deutschland hinkt inzwischen überall hinterher.

Im Spannungsfeld zwischen digitaler Freizügigkeit und Datensparsamkeit wird in Deutschland im Zweifel immer für den Datenschutz entschieden, den wir nicht als Schutz der Daten, sondern eher als Schutz vor den Daten definieren. Im Wettbewerb mit den IT-Hochburgen in China und den USA ziehen wir dadurch immer wieder die Bremse an. Das hat einen sicheren wirtschaftlichen Nachteil zur Folge, während der gesellschaftliche Vorteil durchaus nicht als gesichert gelten muss.

Es ist das Dreigestirn aus überbordendem Datenschutz, Zögerlichkeit in der digitalen Transformation und Klein-Klein bei der Technologieförderung, das Deutschland lahmlegt. Das zeigt sich beim Cloud Computing, bei der Förderung von künstlicher Intelligenz und jetzt auch bei der neuesten Königsdisziplin der Informationstechnik, dem Quantencomputing. Hier will die Bundesregierung zwei Milliarden Euro in ihr Konjunkturprogramm einstellen. Wofür? „Wir entwickeln gemeinsam mit Fraunhofer eine Strategie, wie wir auch selber Quantencomputer bauen können“, erklärte die Kanzlerin.

Zwei Milliarden, das klingt nach viel Geld, ist es aber nicht. Zum Vergleich: allein für die Lufthansa und damit für ein Geschäftsmodell von gestern wurden 5,7 Milliarden Euro an stillen Einlagen eingeplant. Das aktuelle Hilfspaket für die Automobilindustrie umfasst drei Milliarden Euro und soll einer Branche klimafreundliche Investitionen schmackhaft machen, die in ihrer SUV-Laune das Drei-Liter-Auto völlig aus den Augen verloren hatte und jetzt versäumten Elektromobilitätszielen nachhechelt.

Wenn wir uns schon bei Investitionen in die Vergangenheit nicht lumpen lassen, warum klotzen wir dann nicht bei Investitionen in die Zukunft? Denn auch im internationalen Vergleich klingen zwei Milliarden Euro für eine „Strategie, wie man einen Quantencomputer baut“, nicht besonders beeindruckend. IBM und Google, zwei der Pioniere beim Rechnen mit Qubits, haben allein schon mehr investiert. Beide haben auch mehr in Cloud Computing und KI investiert als die Bundesregierung für diese Zukunftsthemen bereitstellt. Und in China ist allein ein Campus für Quantencomputing für zehn Milliarden Dollar in die Welt gesetzt worden. Deutschland wird mit der nächsten halbgaren Hightech-Initiative nicht den Abstand zu den führenden Quantentechnologen verringern, sondern lediglich das Anwachsen des Rückstands verlangsamen.

Wie wenig die Kanzlerin auf der Höhe der Debatte ist, zeigt der billige Wortwitz, die Investition in Quantencomputing sei ein Quantensprung. Das haben in der Tat schon andere – und das Jahre vor uns – erkannt. So meldet sich zum Beispiel das US-Unternehmen Honeywell zu Wort, das in den letzten Jahren eher durch Gerätesteuerung und Klimatechnik bekannt geworden ist, und meldet nach vier Jahren Forschungsarbeit die Entwicklung eines Quantenchips. Das wäre – wenn es denn stimmt – ein Quantensprung. Wir warten wahrscheinlich auch beim Quantencomputing auf den Sankt-Nimmerleins-Tag.