Lockdown im Kopf

So sieht Deutschlands Gegenwart aus: Tagtäglich warten die Mitarbeiter des Robert-Koch-Instituts in Berlin darauf, dass das Faxgerät anspringt. Dann kommen die Infektionszahlen der rund 400 Gesundheitsämter herein, die die Basis des Corona-Geschehens liefern und damit indirekt auch die Grundlage für Pandemie-Maßnahmen, die durchaus ernstzunehmende Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte der Deutschen bedeuten: Mobilitätsbeschränkungen, Gewerbeverbote, Hygienevorschriften. Zugegeben: längst nicht alle Gesundheitsämter kommunizieren noch per Fax, aber doch so viele, dass der Informationsfluss vom Testgeschehen vor Ort bis zur Pandemiebewertung in Berlin schleppend ist. Kommunikation per Fax – noch in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Nonplusultra – kann nicht Deutschlands Zukunft sein.

Es ist genug darüber geschrieben worden, wie die Digitalisierung Deutschlands Wirtschaft im Lockdown am Leben erhält. Es geht nicht nur um Homeoffice und Lieferdienste – es geht auch um wiederbelebte Lieferketten, Online-Services als Ersatz für Behördengänge und Lernplattformen statt Schulbesuch. Aber nicht alles, um nicht zu sagen: kaum etwas, klappt davon wirklich reibungslos. Statt eines digitalen Rucks, der durch Deutschland gehen sollte, erleben wir allenfalls ein digitales Ruckeln.

Umgekehrt ist noch kaum etwas darüber geschrieben worden, wie die digitale Transformation – würde sie ernst genommen und vernünftig angepackt – nicht nur den Lockdown verkürzen würde, sondern auch die Zahl der Corona-Toten gesenkt haben könnte. Hätten wir unsere Gesundheitsämter personell und digital besser ausgestattet, würde der Schwellenwert der Inzidenzen nicht bei 50 liegen müssen, sondern vielleicht bei 100 liegen. Denn zur Begründung wird ja stets die Fähigkeit der Gesundheitsämter aufgeführt, allen Infektionen minutiös nachspüren zu können. Und wenn wir bei der digitalen Gesundheitsakte nicht so saumselig gewesen wären, müssten wir nicht knappes Krankenhauspersonal für die Wiederholung von Tests und Diagnosen einsetzen, zu denen die Informationen zwar vorliegen, aber eben leider analog und in einer Hausarztpraxis, die digital nicht vernetzt ist.

Der Inzidenzwert, ab dem ein Lockdown notwendig und wirksam wird, könnte auch höher als 50 sein, wenn die Corona-Warn-App nicht mit einem digitalen Mundschutz ausgestattet wäre. Ist es denn ein größerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte, wenn diese App persönliche Informationen und Bewegungsdaten ermitteln und zentral an eine Treuhandstelle wie zum Beispiel das Robert-Koch-Institut weiterleiten würde, als es der Lockdown mit seinen Mobilitätseinschränkungen darstellt? Aber Personenmobilität ist analog und lässt sich vermitteln, Datenmobilität hingegen ist digitales Teufelswerk. So steht es um die mentale Verfassung der Deutschen.

Hinzu kommt – und das ist womöglich der am schwersten wiegende Vorwurf an die Digital Idiots – das massive Erkenntnisdefizit, das wir nach einem kompletten Corona-Jahr immer noch zu beklagen haben. Wir wissen gar nicht genau, ob Schüler nach Schulbesuch tatsächlich die Super-Spreader sind, für die wir sie halten und womit wir Schulschließungen begründen. Aber sicher ist, dass die digitale Ausstattung praktisch aller Bildungseinrichtungen für ein Homeschooling im Lockdown ungeeignet ist.

Das Erkenntnisdefizit ist die unmittelbare Folge unseres Digitaldefizits. Wir haben einen Lockdown im Kopf. Für mehr Informationen – auch personenbezogene Informationen – müssten wir nicht unbedingt unser Gesellschaftsmodell ändern, um wie in China oder Korea mehr über unsere Wege, Kontakte und Verhaltensweisen zu erfahren. Denn während die digitale Blindheit der Corona-Warn-App immer noch damit begründet wird, eine möglichst breite Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen, gehen immer mehr Nutzer hin und vertrauen intimste Biodaten über Apps ihren Versicherungen und Fitness-Partnern an – ja, sie teilen sie sogar auf Facebook. Dümmer geht’s immer.

Wir stolpern und stottern bei der digitalen Transformation, weil wir kein digitales Gesellschaftsbewusstsein, keinen digital Mindset entwickeln wollen. Besonders gut – also wegen der Umstände leider schlecht – ließ sich das in der Adventszeit beobachten, als Hunderttausende von Einzelhandelskaufleuten um ihr Weihnachtsgeschäft bangen mussten, das in vielen Fällen über die Frage von Gewinn und Verlust im Gesamtjahr entscheidet. Da wurde ein bisschen Online-Shop hier und ein bisschen Lieferservice dort als digitaler Durchbruch gefeiert. Doch damit kann man den eCommerce-Giganten von Amazon bis Zalando nicht Paroli bieten. Worauf es ankommt, ist eine digital unterstützte Customer Experience, die das digitale Einkaufserlebnis zu etwas besonderem macht. Das gelingt nicht dadurch, dass Analoges digital nachgeahmt wird, sondern dadurch, dass neue Geschäftsmodelle erkundet werden.

Nicht anders ist es bei den Soloselbständigen und Künstlern, deren Schicksal ohne Zweifel besonders hart ist. Aber das Internet mit seinen Kommunikationsplattformen bietet ihnen grundsätzlich auch eine Performance-Plattform mit Bezahlfunktionen. Vor nicht einmal 20 Jahren haben wir das World Wide Web als eine globale Plattform gefeiert, auf der jeder die Selbstvermarktung vorantreiben kann, ohne sich an Agenten, Labels, Verlage, Sender oder Mediengiganten binden zu müssen. Jetzt scheint der Lockdown im Kopf diese Freiheiten komplett zu verschütten.

Die Liste der Branchen, in denen neue digitale Geschäftsprozesse unsere Zeit im Lockdown wirtschaftlich und gesünder gestalten könnten, ist endlos. Und die Gefahr ist groß, dass der Corona-Lockdown, wenn nicht endlos, so doch zumindest noch lange andauern wird. Es lohnt sich deshalb, digital zu denken. Wir müssen diesen Lockdown im Kopf überwinden. Das gilt für Jedermann, aber ganz besonders für die Politik, die hier die Chance, unsere Zukunft zu gestalten, völlig zu übersehen scheint. Ich werde, damit diese Mahnung Gehör findet, diesen Blogbeitrag ins Kanzleramt und in die Staatskanzleien senden – sicherheitshalber per Fax.

 

Digitales Chaos

Armin Laschet ist also gewählt – nur zu was wurde er am vergangenen Samstag eigentlich gewählt? Das Amt des Parteivorsitzenden der Christlich Demokratischen Union hat er nämlich erst fest, wenn auch die notwendige Briefwahl das virtuelle Abstimmungsergebnis bestätigt. Theoretisch allerdings könnte noch alles anders kommen.

Dieses digitale Chaos ist das Ergebnis der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, in denen sich die Digitalwirtschaft und unsere verfasste Gesellschaft weiterentwickeln. Während die Wahl per Mausklick technisch längst möglich ist, ist der Rechtsrahmen für diesen Ausdruck des Wählerwillens noch nicht gezogen: weder die Satzung der CDU, noch das Vereinsrecht lassen eine solche Abstimmung derzeit zu. Insofern war die Abstimmung am Samstag nur ein Stimmungsbild und keine Wahl.

Zwei Tage zuvor hat der Bundestag versucht, mit dem digitalen Tempo Schritt zu halten. Die Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen soll die Internet-Giganten an die Kette legen: Unternehmen dürfen nicht mehr sich selbst oder ihre eigenen Dienste bevorzugen. Sie dürfen andere Dienste, die auf Märkte zutreten wollen, nicht länger behindern, sei es durch die Datennutzung, sei es durch andere Strategien. Und sie dürfen Verbraucher nicht ohne weiteres zwingen, dass sie die Dienste dieses Unternehmens nur in Anspruch nehmen dürfen, wenn sie ihre Daten hingeben.

Deutschland sieht sich hier als Vorreiter im Versuch, bei der Rechtsprechung mit dem Digitaltempo mitzuhalten. Dabei dürfte die Novelle weitgehend wirkungslos verpuffen, da sie nur in Deutschland greift, die Internet-Giganten aber global agieren. Sollte der deutsche Vorgriff jemals als weltweiter Standard akzeptiert werden, dürften die Geschäftsmodelle von Amazon, Facebook, Google und Co. wie beim Wettlauf von Hase und Igel längst schon auf neuen Mechanismen basieren.

Und es gibt dringenderes zu regeln: Der Hacker-Angriff auf Tausende von Firmen-Infrastrukturen und Behörden-Rechenzentren, in denen die von Solarwinds verbreitete Software für Netzwerk-Management eingesetzt wird, hat im vergangenen Dezember gezeigt, wie vulnerabel die Weltwirtschaft im Zuge der Digitalisierung unserer Geschäftsprozesse geworden ist. Allein in den Vereinigten Staaten soll innerhalb von nur einem Jahr ein wirtschaftlicher Schaden von Tausend Milliarden Dollar entstanden sein – und darin sind noch nicht einmal die Angriffe und Übergriffe eingepreist, die unentdeckt blieben. Neben Datenklau sind es vor allem die auf Lösegeldforderungen ausgelegten Ransom-Angriffe, die der Wirtschaft großen Schaden zufügen.

Auch Microsoft mit seinem weltumspannenden Netz an Cloud-Rechenzentren war vom Solarwinds-Hack betroffen. Der Konzern hat innerhalb kürzester Zeit den Angriff abwehren können, ohne dass größerer Schaden entstanden ist. Inzwischen kursieren allerdings Nachrichten, dass Windows-Quellcode abgegriffen und mit anderen Daten aus anderen Angriffen zu einem sechsstelligen Pauschalpreis angeboten worden sein soll. Sicherheitsexperten halten dies allerdings für eine „Nebelkerze“, denn die Hacker-Organisation, die hinter diesem Angriff stecken soll, operiert nicht aus kommerziellen Motiven. Hier geht es um Machenschaften, wie wir sie aus Spionagefilmen zu kennen glauben. Dahinter stecken staatliche Organisationen.

Wir brauchen dringend Maßnahmen gegen Cybercrime. Die eigene IT vom Internet zu trennen oder aus der Cloud in den Hochsicherheitskeller zurückzubeordern, stellt dabei überhaupt keine Problemlösung dar. Der Schaden, der der Wirtschaft dadurch entstünde, dass sie isoliert und desintegriert vor sich hin operiert, wäre um ein Vielfaches größer als der tatsächliche Schaden durch Cybercrime. Aber auch Schulterzucken ist keine Lösung. Wir brauchen eine internationale Zusammenarbeit der staatlichen Behörden, der Sicherheitsagenturen und der Wirtschaft, um diese pandemische Seuche in den Griff zu bekommen. Sie ist bedrohlicher als die Corona-Pandemie und sie wird – wenn nichts geschieht – mehr Todesopfer fordern als das Corona-Virus.

Microsofts Präsident Brad Smith hat schon vor einem Jahr beklagt, dass die Regierungen in ihrer Gesetzgebung nicht schnell genug hinter der Entwicklung bei der Digitalisierung unserer Gesellschaft hinterher kommen. Jetzt, als Keynote-Speaker auf der virtuellen Consumer Electronics Show (CES 21) und mit der Erfahrung der eigenen Anfälligkeit, verstärkte er diesen Appell noch: Es ist an der Zeit, dass wir so etwas wie eine UN-Organisation gegen Cybercrime und Cyberwar gründen, in der alle wohlmeinenden Staaten und NGOs zusammenarbeiten.

Denn das wahre digitale Chaos besteht dort, wo die Daten korrumpiert werden können. Wenn wir uns nicht mehr auf unsere Informationsbasis verlassen können, müssen wir in die Kreidezeit zurück – und nur noch Handgeschriebenes akzeptieren. Wo Fakten und Fakes nicht mehr voneinander zu unterscheiden sind, wo sensible Daten nicht mehr vor dem Zugriff Dritter sicher sind und wo geistiges Eigentum nicht mehr geschützt und geschätzt werden kann, herrscht Anarchie.

Cybersecurity ist deshalb das alles bestimmende Thema der Zwanziger Jahre dieses Jahrhunderts. Es steht Schulter an Schulter mit den Herausforderungen im Klimawandel, der Gerechtigkeitsdebatte und der globalen Migrationsbewegung. Im Vergleich dazu sind die Neufassung des Vereinsrechts und des Kartellrechts – Peanuts.

 

Hört auf den Klassensprecher

Er sei nicht der „Boss der Bosse“, sondern eher der Klassensprecher der deutschen Industrie, sagt Siegfried Russwurm ganz bescheiden an seinem ersten Arbeitstag als neuer Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie im Gespräch mit dem Publizisten Gabor Steingart. Schließlich könne er ja nun in dieser Position, in der er zum Jahreswechsel Dieter Kempf abgelöst hat, nicht hunderttausenden Unternehmen sagen, „so, jetzt gehen wir alle links ´rum – oder rechts ´rum.“

Dass er das nicht kann, gehört zum freiheitlichen Selbstverständnis unserer Gesellschaft. Dass es aber – manchmal – durchaus wünschenswert wäre, wenn es doch so wäre, kann man nicht verhehlen. Denn, so bedauert der nunmehrige BDI-Vizepräsident Kempf, in Sachen Digitalisierung hätten wir einiges verschlafen. Das gilt freilich nicht nur für die deutsche Industrie im Allgemeinen und den deutschen Mittelstand im Besonderen. Es gilt leider Gottes auch – oder sogar erst recht – für die öffentliche Verwaltung. Dabei verspricht die nun schon seit Jahrzehnten mehr Entbürokratisierung, mehr eGovernment und eine Verschlankung der Behördenprozesse. Doch das Gegenteil ist der Fall.

Kempf kann es nicht fassen, dass die Gesundheitsämter ihre Corona-Daten immer noch per Fax ans Robert-Koch-Institut weiterleiten. Dabei predigen wir doch seit mindestens drei Jahrzehnten, dass ein Medienbruch – Datenverarbeitung zu Papier, Papier zu Datenverarbeitung – erstens zu Zeitverzug, zweitens zu Fehlern und drittens zu einem Erkenntnisdefizit führt. Mit Verlaub: verschlafen ist da noch gestrunzt.

Kempf kann es auch nicht fassen, dass die Corona-Warn-App nicht mehr ist als genau das: eine Warn-App. Statt die Daten zu nutzen, um eine Rückverfolgung von Infektionswegen zu ermöglichen, kann sie lediglich vage über mögliche Kontakte mit unbekannten oder anonymisierten Personen informieren. Es wäre –da kämpfen Kempf und ich und viele andere im BDI seit langem erfolglos gegen Verwaltungs-Windmühlen – eine enorme Effizienzsteigerung, wenn zumindest die Gesundheitsämter durch die Warn-App mehr Klarheit über das Infektionsgeschehen erlangen könnten.

Aber, so bedauert Kempf – und so bedauere auch ich mit vielen anderen im BDI – der deutsche Datenschutz ist ein Verhinderer, die europäische Datenschutz-Grundverordnung vielleicht sogar eine Sackgasse. Es muss doch möglich sein, internationale Standards über das Format, die Nutzung und die Verbreitung von personenbezogenen Daten zu erlangen, die eine vernünftige und die persönliche Würde eines Menschen respektierende Nutzung von Daten zu ermöglichen, ohne gleich als totalitärer Staat abgestempelt zu werden. „Datensouveränität“ nennt Kempf das – und es besteht die leise Hoffnung, dass mit dem europäischen Cloud-Projekt Gaia-X tatsächlich so etwas erreicht werden könnte.

„Digitalisierung ist nichts, was man aussitzen kann“, warnt deshalb der Neue, Siegfried Russwurm, der verspricht, weiter dafür zu „trommeln“. Es sei „keine Mode, die vorbeigeht, sondern eine fundamentale Änderung“. Dass das immer noch gesagt werden muss, wirft einen dunklen Schatten auf die Innovationsbereitschaft der deutschen Wirtschaft. Das zu ändern war und ist eine schwierige Aufgabe, die der neue BDI-Präsident vom alten übernimmt. Beide sind nun ein Gespann, das die dem BDI angehörenden Branchenverbände und deren Unternehmen in eine neue Welt ziehen muss. Siegfried Russwurm fasst das nonchalant zusammen: „In Sachen der Digitalisierung waren die deutschen Unternehmen nicht unbedingt die Gewinner.“

Das muss sich ändern. Dieter Kempf ist seit dem 1. Januar satzungsgemäß Russwurms Vize. Beiden ist zu danken für ihr Engagement in Sachen Digitalisierung. Russwurms Appell an „seine Kollegen“ in den Unternehmen ist vielversprechend: Alles fängt mit dem Kundennutzen an, sagt er. Das gilt für Autos ebenso wie für Küchengeräte. Hört auf euren Klassensprecher!

Eingeimpft – ausgeimpft

Kaum geht es los, ist es auch schon wieder vorbei. Nachdem bundesweit Turnhallen, Mehrzweckhallen oder Messehallen zu riesigen Impfzentren umfunktioniert wurden, stockt jetzt der Nachschub am begehrten Vakzin der deutschen Pharma-Firma Biontech. Und dass nicht etwa deshalb, weil plötzlich ein unerwarteter Ansturm der Bevölkerung auf die Impfzentren losgebrochen wäre, sondern weil die bereitgestellten Impfdosen nicht einmal für die ersten Zielgruppen ausgereicht haben. Ältere Menschen und Pflegende müssen jetzt bis Mitte Januar warten, bis der Nachschub rollt. „Alles verläuft planmäßig“, sagt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn dazu.

Ganz so planmäßig sieht es allerdings gar nicht aus. Überrascht wird aus den Impfzentren gemeldet, dass man eigentlich früher mit mehr Nachschub gerechnet habe. Und immer mehr Menschen fragen sich, wann und wie sie eigentlich erfahren werden, ob sie jetzt „dran“ sind. Jedes Bundesland hat da inzwischen seine eigenen Regeln. Natürlich ist die Organisation der Impfkampagne in einem Stadtstaat wie Hamburg anders als in einem Flächenland wie Bayern. Aber die Straßenverkehrsordnung gilt ja auch im ganzen Bundesgebiet…

Die Uneinheitlichkeit, ja Uneinigkeit hat im Föderalismus System. Ob das so bleiben muss, darf man angesichts des Wirrwarrs im Gesundheitswesen und im Bildungswesen inzwischen getrost mal in Frage stellen. Aber sie feiert weiter fröhliche Urstände: am Samstagnachmittag gab es eine Konferenzschalte zwischen Bundeskanzleramt und den 16 Staatskanzleien, in der die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Kanzlerin am darauffolgenden Dienstag besprochen wurden. Doch schon in den Sonntagszeitungen wurde durchgestochen und interpretiert, was möglicherweise zwei Tage später erst beschlossen werden sollte. Publizität und Offenheit sind ja ganz schön – aber wenn jeder was anderes sagt, klingt es bestenfalls nach vorweggenommenem Wahlkampf.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder weiß beispielsweise schon jetzt, dass der Lockdown über den 10. Januar hinaus verlängert wird – um mindestens drei Wochen. Wer bietet mehr? Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher wiederum will erst einmal von der Bundesregierung eine klare wissenschaftlich begründete Darlegung hören, ob und, wenn ja, warum auch Kitas und Schulen geschlossen bleiben sollen. Einigkeit gibt es allerdings unter den Ministerpräidenten und Ministerpräsidentinnen in einem Punkt: Die Bundesregierung ist schuld, dass wir zu wenig Impfstoff haben.

Nein, antwortet das Kanzleramt, Schuld hat die EU-Kommission (übrigens unter deutschem Vorsitz), die es versäumt hat, genügend Vakzin bei Biontech zu bestellen. Und während der deutschen Ratspräsidentschaft wurde strikt an der Maßgabe festgehalten, dass alle 27 Mitgliedsländer gleich behandelt werden sollen: gleicher Zeitpunkt und – relativ zur Bevölkerungszahl – gleicher Impfstoffanteil. Wo in Deutschland Föderalismus groß geschrieben wird, da wird in Brüssel das Europa der gleichen Geschwindigkeit hochgehalten. Und an beidem halten wir unbeirrt fest.

Jetzt immerhin soll beim von Astra Zeneca herausgegebenen Impfstoff europaweit richtig zugelangt werden, während das Vakzin von Biontech mit Hochdruck, aber in einem sehr komplexen Prozess hergestellt und ausgeliefert wird. Doch wann und wo jemand wie ich, der schon vom Alter her zur „Risikogruppe Eins“ gehört, einen Impftermin erhält, steht weiter in den europäischen Sternen. Mein Hausarzt zuckt nur mit den Schultern. Und beim örtlichen Gesundheitsamt geht zwischen den Jahren keiner ans Telefon. Dort muss man schließlich noch den Positiv-Fällen hinterhertelefonieren, weil die Corona-App ja aus Datenschutzgründen darüber keine weiteren Auskünfte geben darf.

Mit einer millionenschweren Kampagne unter dem Hashtag #Ärmelhoch hat die Bundesregierung uns in den vergangenen Wochen das Impfen eingeimpft. Doch schon hat´s sich wieder ausgeimpft. Das irritiert und wirkt sich inzwischen auch auf die Impfbereitschaft der Bevölkerung aus. Nur noch 69 Prozent der repräsentativ Befragten wollen sich impfen lassen – wenn sie denn mal drankommen. Das dürfte kaum zur Herdenimmunität ausreichen.

Erfolgreiches Krisenmanagement sieht irgendwie anders aus. Man könnte darüber lachen, wenn´s nicht so traurig wäre. Aber das Lachen wird ohnehin noch lange keiner zu sehen bekommen: der Mundschutz wird uns bis weit in den Sommer treu bleiben – bundesweit.