Kaum ein Industriesegment ist so abhängig von großen (und korrekten) Datenmengen wie die pharmazeutische Industrie. Ehe aus 10.000 Molekülen der entscheidende Kandidat für einen Wirkstoff, ehe aus vielversprechenden Wirkstoffen die erhoffte Wirkung nachgewiesen wird, ehe zur Wirkung auch die Nebenwirkungen überprüft werden und schließlich die optimale Wirkdauer und Darreichungsform ermittelt werden vergehen Jahrzehnte, in denen Pentabyte-große Datenmengen produziert werden.
Aber auch wenn Wirkstoffe in die Jahre kommen und ihr Patentschutz ausläuft, entstehen zusätzliche Datenmengen. Dann nämlich, wenn in sogenannten Bioäquivalenzstudien nachgewiesen werden muss, dass die Nachahmerpräparate (Generika) sich genau so verhalten wie die Originale. Diese Studien werden (unter anderem aus Kostengründen) immer häufiger ins Ausland vergeben, wo auf die Erstellung von Studien spezialisierte Unternehmen ein globales Geschäft aufziehen. Eines dieser Unternehmen, die im indischen Hyderabad angesiedelte HVK Bio, ist jetzt der französischen Behörde für Arzneimittelsicherheit (ANSM) bei Stichproben-Untersuchungen der eingereichten Studien aufgefallen: Mehr als 100 Zulassungen, hieß es zunächst, müssen überprüft werden, weil sich Hinweise auf systematische Fälschungen ergeben hatten. Inzwischen wird von rund 1000 Zulassungen weltweit gesprochen, die einer zweiten Überprüfung unterzogen werden sollen. Mögliche Konsequenz: Mehrere Hundert Medikamente weltweit könnten vom Markt genommen werden.
Der Skandal, den man schon jetzt als veritabel einstufen kann, wirft ein Schlaglicht auf die Herausforderungen, denen sich die Pharma-Industrie weltweit gegenüber sieht. Nicht alles, aber beinahe, betrifft dabei den Umgang mit Informationen, haben jetzt die Marktforscher von Pharma IQ herausgefunden. Das gilt vor allem für die Sicherheit vor Fälschungen und die Sicherung der Qualität. 2015 könnte bei Arzneimittelherstellern das Jahr werden, in dem die Informationstechnik beinahe wichtiger wird als die Chemie…
Zum Beispiel Serialisierung: Im kommenden Jahr wird die EU Verordnungen veröffentlichen, mit denen ein erhöhter Schutz vor Fälschungen erreicht werden soll. Eine Maßnahme ist die Vergabe von Seriennummern nicht nur für komplette Chargen, sondern für jede einzelne verkaufsfähige Einheit. Das klingt zunächst trivial, ist aber deshalb eine besondere Herausforderung an die IT, weil nicht nur die einzelne Packung, sondern alle nachfolgenden Verpackungsstufen, also etwa Karton und Palette, serialisiert werden müssen.
Zum Beispiel Datensicherheit: Noch geht im Pharma-Sektor kaum etwas in die Cloud. Aber je intensiver sich Arzneimittelhersteller mit Patienten, Ärzten, Apotheken, dem Großhandel und Versorgungszentren zu einer integrierten Healthcare-Infrastruktur vernetzen, umso entscheidender werden Sicherheitsstrategien, die neben dem Schutz von Know-how, vor allem personenbezogene Daten und anonymisierte Massendaten betreffen.
Zum Beispiel Transparenz: Der Skandal um möglicherweise gefälschte Bioäquivalenzstudien macht deutlich, dass bei klinischen und sonstigen Pharmastudien mehr Transparenz und Nachprüfbarkeit gefordert sind. Doch gleichzeitig muss auch hier der Schutz von firmeneigenem Know-how gewahrt bleiben. Transparenz ohne ungeschützte Offenheit wird vor allem die Informationswirtschaft im Pharma-Sektor herausfordern.
Zum Beispiel soziale Medien: Für viele Branchen haben sich soziale Medien als ideales Werkzeug entpuppt, mit dem Marketingkampagnen aufgesetzt und Kunden-Feedback eingeholt werden können. Und obwohl gesundheitsrelevante Begriffe zu den Wortfeldern gehören, die am häufigsten gegoogelt werden, ist die Pharma-Branche bislang von sozialen Medien weitgehend unberührt geblieben. Das wird sich 2015 ändern, wenn die von der Food and Drug Administration (FDA) veröffentlichten Richtlinien zur Kommunikation mit den sozialen Medien erste konkrete Umsetzungen erfahren.
Zum Beispiel Mobilität: Allein in Europa sind eine halbe Millionen Jobs mit Pharma-Bezug überwiegend mobil ausgelegt – und damit nur schwer mit Computer-Systemen zu erreichen, da mobile Geräte nicht oder noch nicht die hohen Sicherheitsanforderungen der Arzneimittelindustrie erfüllen. Doch allein im kommenden Jahr sollen nach Branchenuntersuchungen die Ausgaben fürs Mobile Computing im Gesundheitswesen um 25 Prozent steigen – und Pharmareferenten, Großhändler, Logistiker, Wissenschaftler in externen Labors vernetzen.
Ohne chemische Qualität ist in der Pharma-Industrie alles nichts. Aber ohne Datenqualität ist alles noch weniger.