Der Teilen-Beschleuniger

Dies ist die Woche, in der so um die 50.000 Menschen in Deutschland – und vielleicht das Vierfache weltweit -, am großen Rad drehen. Sie sind auf der Zielgerade, um ihre CeBIT-Präsentationen fertigzustellen – Programmierer, Vertriebschefs, Marketiers, Messebauer. Warum machen wir das? Warum setzen wir uns in einer Zeit, in der wir jeden jederzeit erreichen können, in der wir in eigenen Communities kontinuierlich Feedback über unsere Angebote erhalten, diesem Stress aus? Warum reisen wir alle in eine mittelgroße deutsche Landeshauptstadt mit (vor allem im März) eingefrorenem Flair, um Kunden, Lieferanten und Wettbewerber zu treffen, die wir auch an jedem anderen (schöneren) Ort auf dieser Welt treffen könnten?

Warum? Weil die CeBIT auch in einer Zeit der sozialen Medien, des mobilen Internets, der Industrie 4.0 die Leitmesse der Informationstechnik ist. Weil wir hier die entscheidende Leistung eines Marktplatzes nutzen: Teilen und Mitteilen, Austauschen und Tauschen. Mit dem diesjährigen Motto „Shareconomy“ hat sich die CeBIT selbst zum Thema gemacht. Shareconomy handelt vom Teilen: Gedanken, Dienste, Produkte, Innovationen – und genau das findet auf der CeBIT statt. Die Welt in einer Nussschale.

Es stimmt natürlich: Die Zeiten sind vorbei, in denen zur CeBIT die ganz großen Neuheiten, die Verkaufsschlager für das junge Jahr, die Trendsetter der Informationswirtschaft präsentiert wurden. Vor 25 Jahren zum Beispiel stand Network Computing im Mittelpunkt, vor zwei Jahrzehnten war es der Pentium Prozessor, der die CeBIT-Gänger begeisterte. Am diesjährigen Messekracher haben alle Anteil – es sind die Communities, in denen Geschäftsmodelle geteilt, Ideen diskutiert und Produkte arbeitsteilig hergestellt werden. Shareconomy – die Lehre vom geilen Teilen.

Nicht die Diashow (wie früher) steht im Mittelpunkt der CeBIT, sondern der Dialog – zwischen Anbietern und Anwendern, zwischen Industrien, deren Produktwelten sich aufeinander zu bewegen. Am Automobil, das mit seiner Umwelt kommuniziert, wird das Element der Konvergenz ebenso deutlich wie am Haus, das seine Energieversorgung steuert, oder bei dem Produkt, das seinen Weg zum Bestimmungsort selbst kennt und mitteilt.

Anders als die CES in Las Vegas (die aber den deutlich attraktiveren Standort für sich reklamieren kann), ist die CeBIT immer eine Industriemesse – ein Treffpunkt für die Realwirtschaft. Während die CES die Welt aus der Sicht des Konsumenten wahrnimmt, sucht die CeBIT den Unternehmer, den Selbständigen, den Entscheider. Das wird auch die Abgrenzung zur Funkausstellung in Berlin bleiben, wo Informationswirtschaft und Telekommunikation mit Sendebewußtsein präsentiert wird. Als Spiegelbild der Wirtschaft hat die CeBIT hingegen allen Grund zum Selbstbewusstsein.

Aber nochmal: Müssen wir da immer noch hin? Ja, denn nirgendwo sonst kann man seine Ideen so effektiv zu Markte tragen, sie jener Kritik aussetzen, aus der sich die nächsten Innovationsschritte ergeben. Gewiss ist die CeBIT keine Verkaufsmesse mehr, auf der die Auftragsbücher fürs ganze Jahr gefüllt werden. Wichtiger ist es, die Notizbücher zu füllen.

Teilen und Mitteilen – das ist das Mantra der CeBIT. Und es ist gut, dass sie dieses Mantra sogar zum Messemotto erhoben hat: Shareconomy.

 

Was geschieht in Berlin, wenn in Indien ein Sack Reis umfällt?

„Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment“, haben wir 68 gereimt. Heute bin ich beinahe 68 und gehöre gewiss zum Establishment – also laut Definition zu einer wirtschaftlich, politisch und gesellschaftlich einflussreichen Milieugruppierung. Dazuzugehören ist kein Einzelschicksal, sondern der Lauf der Dinge. Als Kölner sagt man dazu auch „jeder hätt sin Schmölzchen“.

Etabliert zu sein, ist durchaus ein erstrebenswertes Ziel, das allerdings die nicht geringe Gefahr birgt, vor lauter Arriviertheit nachher nicht mehr innovativ zu sein, oder gar repräsentativ. Insofern hat sich seit 68 nicht viel geändert – Establishment ist von innen betrachtet angenehm, von außen eher unbequem. Und dann auch schnell obsolet.

Verbände und Vereine – vor allem aber Interessensverbände, vulgo: Lobbys – stehen in der Gefahr, im Etabliertsein zu erstarren und dadurch die eigene Gründungsidee ad absurdum zu führen. Dies bekam in der vergangenen Woche die vermeintlich junge IT-Industrie in Indien zu spüren, als sich im dortigen IT-Verband, der National Association of Software and Services Companies (Nasscom) so etwas wie eine Palastrevolution ereignete. Als Teilnehmer der Nasscom-Jahreskonferenz und des „Indian Leadership Forums 2013“ war ich Augen- und Ohrenzeuge, wie sich auf den Gängen im Kongresszentrum in Mumbai der Shitstorm gegen das Establishment formierte.

Indiens IT-Industrie steht heute für 100 Milliarden US-Dollar Jahresumsatz. In zwölf Jahren soll sich diese Zahl auf 225 Milliarden Dollar mehr als verdoppelt haben. Die Frage, die hier auf den Gängen in Mumbai diskutiert wurde, ist schlicht die: Ist eine Organisation wie ein Anbieterverband mit seiner hierarchischen Entscheidungsstruktur überhaupt noch relevant für eine agile Industrie, die aus Abertausenden von kleinen und mittelständischen Unternehmen gespeist wird? Die jungen Start-ups engagieren sich in Weblösungen, die eher Graswurzelbewegungen beflügeln, suchen schnell internationalen Erfolg und pflegen mindestens so gute Kontakte ins Silicon Valley wie das Nasscom-Establishment.

30 dieser agilen Mitglieder haben sich jetzt in einer Alternativorganisation iSprit – Indian Software Product Industry Round Table – zusammengeschlossen. Sie bemängeln, dass Software-Produkte und Beratungsleistungen rund um Business Process Optimization zu kurz kommen. Der Nasscom, so klagen sie, wird weiterhin dominiert von den großen, auf Body-Leasing spezialisierten IT-Services-Companies. Der Schub aber zu einem 225-Milliarden-Dollar-Markt werde nicht durch die etablierten, sondern durch die agilen Companies geschaffen.

Zusätzlich wird der Nasscom durch – sagen wir mal: vordemokratische – Besonderheiten geprägt. Abgestimmt wird nach Umsatz-Gewichtung – also sozusagen in einem Dreiklassenwahlrecht. Und: Ausscheidende Präsidenten sitzen in einem Altvorderen-Beirat, über den sie erhebliches Beharrungsvermögen gegenüber dynamischen Entwicklungen zeitigen. Beides, so hat jetzt eine Kommission vorgeschlagen, gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.

Im Bitkom, dem deutschen Pendant als IT-Interessensverband, hat jedes Mitglied unabhängig von seiner Größe eine Stimme. Dies mag die Global Player von Zeit zu Zeit frustrieren, weil sie sich einer Stimmenmehrheit gegenübersehen, die jedoch nicht zugleich die Umsatzmehrheit darstellt. Tatsächlich sichert dies aber, dass dynamische, agile Bewegungen von Start-ups schnell Gehör finden können. Damit ist das Bitkom-Präsidium stets gehalten, seine Politik an neuen Entwicklungen zu orientieren. Tut es das nicht, kann die agile Mittelstandsmehrheit seine Repräsentanten abstrafen.

Aber reicht das in einer sich immer mehr zu einer Graswurzel-Branche entwickelnden IT-Industrie? Nicht nur werden die Großen größer, die Kleinen werden auch immer mehr – und agiler. Vielleicht interessiert es in Berlin doch, wenn in Indien ein alter Sack Reis umfällt.

Er war noch niemals im Silicon Valley

Zwischen Deutschland und Kalifornien liegen neun Stunden Zeitunterschied. Zwischen Deutschland und dem Silicon Valley sind es noch einmal 18 Monate mehr – die Zeit, die nach Moores Gesetz verstreicht, um mit der jeweils nächsten Chipgeneration die Computerleistung zu verdoppeln. Diesen Zeitsprung konnte ich jetzt als einer von vier deutschen IT-Experten in Begleitung des Bundeswirtschaftsministers Philipp Rösler absolvieren.

Es war gewiss nicht meine erste Reise in das Tal der aus Silizium gewonnenen Ideen – aber es war die erste Reise eines deutschen Bundeswirtschaftsministers in die Brutstätte des IT-Zeitalters. Und das, nachdem das Tal, das weltweit führende Computerkonzerne und jährlich eine Vielzahl von Neugründungen hervorbringt, bereits mehr als 60 Jahre internationale Erfolgsgeschichte schreibt. 20 deutsche Wirtschaftsminister haben das Epizentrum der Computerrevolution prominent ignoriert.

Allein zum Staunen hatten sich Philipp Rösler und seine Delegation nicht im kleinen Luftwaffen-Airbus 319 auf den 24-Stunden-Tripp nach San Francisco, Palo Alto, Cupertino und Mountain View begeben. Vielmehr ging es dem Wirtschaftsminister darum, Deutschland näher an den Ideen-Inkubator heranzubringen. Deshalb beteiligt sich die Bundesregierung am Aufbau des German Silicon Valley Accelerators, einem Wachstumslabor, das jährlich 16 Startups aus Deutschland nach Kalifornien bringen soll, um „Investoren zu finden und dort Fuß zu fassen.“

Aber wichtiger noch ist, dass es endlich gelingt, die Business-Stimmung aus dem Valley nach Good-Old-Germany zu bringen. Deshalb wirbt der Bundesminister auch an der Stanford-University für den Standort Deutschland und die Gründerszene hierzulande. Immerhin 9000 Startups gibt’s pro Jahr in Deutschland – und 16 davon schicken wir künftig pro Jahr mit Hilfe des Accelerators ins Silicon Valley. Das sind nicht einmal zwei Promille! Na, wenn das mal kein Wettbewerbsdruck ist.

Aber wir haben ja zum Trost die SAP, jenes deutsche, nein europäische Vorzeigeunternehmen, das als einziges in die Königsklasse der IT-Adepten aufgestiegen ist. Und auch im SAP-Lab machte Philipp Rösler mit seiner Delegation Halt, um – wieder einmal – die Vorzüge der Inmemory-Datenbank Hana und die inzwischen radikal umgebauten Cloud-Strategien der Walldorfer zu hören. Es ist doch irgendwie bezeichnend, dass darin die OnDemand-Entwicklungen aus deutscher Feder ad Acta gelegt werden, während die Riege des aus dem Silicon Valley zugekauften Unternehmens Success Factor um Lars Dalgaard die künftige Marschroute bestimmt.

Aber es gibt keinen Grund, im Silicon Valley in Sack und Asche zu gehen. Wir haben ja den Maschinenbau und den Automobilbau, um den sich mit „Industrie 4.0“ die deutsche ITK-Wirtschaft der Zukunft ranken wird. In der Tat wäre es aberwitzig, hierzulande in einen weiteren SmartPhone-Produzenten zu investieren oder ein Start-up mit der nächsten Suchmaschine zu gründen. (Es sei denn, wir machten das mit Hana…) Ein deutsches Apple, also zum Beispiel ein baden-württembergisches Äpple, wird seine Geschäftsidee nicht aus Nachahmerprodukten generieren, sondern aus der konsequenten Weiterentwicklung deutscher Ingenieurkunst. Das ist das Mantra der Röslerschen Wirtschaftsförderung: Deutschland, derzeit noch auf Platz sechs der weltweiten IT-Rangliste, soll bis zum Ende des Jahrzehnts „auf dem Treppchen stehen“ – mindestens Platz drei also!

Was passierte sonst noch während des Kurztripp? Ach ja, Papst Benedikt schwinden die Kräfte. Am 28. Februar hat Deutschland ein weiteres internationales Schwergewicht verloren. War der Papst eigentlich schon im Silicon Valley?

Zink plus Vitamin C

Wer im Biologieunterricht aufgepasst (oder später die Gesundheitstipps in den Illustrierten verfolgt) hat, weiß, dass Zink wichtig fürs Wachstum ist. An rund 300 Stoffwechselfunktionen ist das Spurenelement beteiligt.

 Zink hat in Deutschland einen Namen – einen Familiennamen: Grillo. Es ist eines der Vorzeigeunternehmen des deutschen Mittelstands, familiengeführt, traditionsbewusst, sozial engagiert und dabei innovativ und wachstumsorientiert. Dass mit Ulrich Grillo jetzt wieder ein Vertreter eines Familienunternehmens den Bundesverband der Deutschen Industrie als Präsident anführt (wie zuvor bereits Jürgen Thumann), ist ein gutes Signal für die mittelständisch geprägte Unternehmerschaft. Wobei hiermit ausdrücklich kein nachträgliches Misstrauensvotum gegen den ehemaligen Hochtief-Vorstandsvorsitzenden Hans-Peter Keitel, der das Amt des BDI-Präsidenten seit 2008 innehatte, ausgesprochen sein soll.

 Hans-Peter Keitel, der nicht noch einmal für eine weitere Amtszeit kandidieren wollte, übergibt das Präsidentenamt nicht nur in einem Bundestagswahljahr an seinen 53jährigen Nachfolger, sondern auch in einer Zeit der großen, bevorstehenden Paradigmenwechsel. Die Energiewende beispielsweise ist beschlossene Sache – aber umgesetzt ist sie nicht einmal in Ansätzen. Die Haushaltskonsolidierung ist eine in Angriff genommene Aufgabe – aber die Anstrengungen bleiben im Dschungel von Euro-Rettung und Schuldenkrise stecken.

 Dabei setzt Ulrich Grillo bei seinen Antrittsbesuchen – auch innerhalb der 38 zum BDI zusammengefassten Branchenverbänden – richtige Stichworte, wenn er das schöne Wort von der „Zukunft der Industrie“ und der „Industrie der Zukunft“ verwendet. Längst haben wir für den Werte- und Wirkungswandel in der Industrie das Anhängsel „4.0“ gefunden, als handele es sich um ein irgendwie zusammengefasstes neues Release eines bewährten Produkts. Aber „Industrie 4.0“ ereignet sich nicht irgendwann zu einem Stichtag mit Update-Funktion auf Knopfdruck, sondern entwickelt sich allmählich. Von innen heraus, nicht von oben herab.

 Von innen heraus – das bedeutet zum Beispiel eine aus der Mischung aus Innovationskraft und Beharrungsvermögen heraus entstehende „zerstörerische Kreativität“, die – es wurde mal wieder langsam Zeit, das in Erinnerung zu rufen – den Mittelstand im Schumpeterschen Sinne auszeichnet. Dieser Mechanismus braucht keine Effizienzrichtlinie der EU „von oben herab“, um Energiesparmaßnahmen einzuleiten. Da reicht, so sagte es Ulrich Grillo der FAZ, schon die gesunde Gewinnorientierung der Unternehmen.

 „Industrie 4.0“ wird sich in vielen Einzelschritten ereignen. Der neue Präsident hat dabei zu erkennen gegeben, wie sehr ihm bewusst ist, dass der Informationswirtschaft hier eine ganz entscheidende Rolle als Enabler und Querschnittstechnologie zukommt. Mehr Prozessorientierung, mehr Effizienzstreben, mehr Nachhaltigkeit und weiterhin hohe Innovationskraft bilden das Antriebssystem dorthin. Sie sind das Gerüst der Sozialen Marktwirtschaft, das mit Ulrich Grillo einen eloquenten, einen vertrauten und einen vertrauenswürdigen Repräsentanten hat.

 Informationstechnik und Telekommunikation sind sozusagen „Zink plus Vitamin C“, das den Stoffwechselprozess in der Industrie befördert. Und wenn – wie beim werbewirksamen Nebenprodukt „Grillo-fit“ – Zink mit Vitamin C gereicht wird, steht eine gesunde Wirtschaft ins Haus.