2023 – das Jahr, in dem wir die Rezession besiegten…

Man kann fragen wen man will: die Aussichten für das kommende Jahr sind düster. Der Bundesregierung werden zwölf Monate schwieriger Entscheidungen, zerrissen zwischen Gasgeben und Bremsen prophezeit, während die Wirtschaft kaum Wachstumsprognosen entwickelt und die Gesellschaft Zeiten großer Unsicherheit erwartet. Wie soll man auch – um nur einen Krisenherd zu nennen – in der Corona-Politik weitermachen, wenn einerseits das Gesundheitssystem schon jetzt überlastet ist, ein Krankenhaussterben für das kommende Jahr vorhergesagt wird, während gleichzeitig in China mehrere Hundert Millionen Menschen innerhalb weniger Tage an dem Virus erkranken? Nicht anders sehen die Unwägbarkeiten bei der Energiepolitik mit Höchstpreisen für Gas, in der Außenpolitik mit Blick auf die Ukraine und rechtspopulistische Nachbarstaaten oder in der Wirtschaft aus, wo alle Krisen zusammenkommen: Inflation, Energiewechsel, Fachkräftemangel, Innovationsdruck.

2022 erinnerte in vielem an das Jahr 1922, als sich Deutschland in einer tiefen Rezession, gepaart mit einer gigantischen Inflation befand und die Zukunft in Versprechungen vom rechten und linken Rand zu liegen schien. Doch 2023 wird nicht so verlaufen wie 1923, weil es das Jahr sein wird, in dem wir die Gefahr einer Rezession überwunden und die Gefahren vom politischen Rand rechtzeitig eingedämmt haben werden.

In der Tat muss man schon historische Vergleiche heranziehen, wenn man der Größe der aktuellen Herausforderung gerecht werden will. Die Finanzkrise von 2008 und die Energiekrise von 1975 werden in der aktuellen Krise, der wir noch keinen Namen gegeben haben, mit einer Kriegskrise, einer Flüchtlingskrise zu einem neuen Krisengipfel vereint. Kein Wunder also, dass aktuelle Analysen nach Vergleichswerten suchen, um die gegenwärtige Situation ins Verhältnis setzen zu können: „Die Kennzahlen von 2021 sind Vergangenheit. Damals habe es keinen Ukraine-Krieg, keine nennenswerten Zinsen und keine starke Inflation gegeben,“ relativiert denn auch Sparkassen-Vorstand Kai Hagen bei der Vorstellung der 22. „Diagnose Mittelstand“, die in diesem Jahr zusammen mit dem Sparkassen Finanzklimaindex vorgestellt wurde. So wurden auch kurzfristige Veränderungen in der wahrgenommenen und realen Wirtschaft mit aufgenommen.

Anfang des Jahres gab es noch die Hoffnung, der deutsche Mittelstand werde sich nach zwei Jahren Corona-Pandemie und den damit einhergehenden Folgen wie Lieferengpässen bei Rohstoffen und Vorprodukten wieder erholen. Doch die Situation hat sich laut Hagen mit dem russischen Angriff auf die Ukraine gedreht – und das war bereits am 24. Februar. Zehn Monate des Jahres liegen also bereits unter dem Einfluss eines kriegerischen Überfalls, mit Sanktionen, Boykotts, Lieferengpässen und Krisenwirtschaft.

„Im ersten Halbjahr 2022 wurden noch Top-Ergebnisse erzielt, aber dann zogen die Preise stark an. Seitdem ist die German Angst besonders ausgeprägt“, findet Hagen, was auch Firmenkundenleiter Hartmut Tetling in Kundengesprächen bemerkte: „Das Verhalten der Firmenkunden ist derzeit von großer Vorsicht geprägt.“ Man könnte auch sagen: von Verunsicherung.

Denn nichts lässt sich mit relativer Sicherheit für das kommende Jahr vorhersagen. Das Weihnachtsgeschäft hat bereits gezeigt, dass sich der private Konsum eingetrübt hat: sowohl in den Läden des Einzelhandels, als auch auf den Portalen der Internet-Ökonomie sind die Einkäufe nicht nur hinter den Erwartungen, sondern auch gegenüber den Vorjahreswerten zurückgeblieben. Und wenn es in der Binnennachfrage nicht so recht läuft, muss es der Außenhandel bringen. Doch wie schon in den letzten Jahren ist der Export ebenfalls in Gefahr.

Dass man in all diesen negativen Kennzeichen doch etwas Positives sehen kann, zeigt der Mittelstandschef von Microsoft Deutschland, Oliver Gürtler, in seinem Podcast zum Jahreswechsel auf (https://www.linkedin.com/pulse/durchstarten-f%25C3%25BCr-2023-oliver-g%25C3%25BCrtler/?trackingId=8q%2BriJqTRTadELGNBeqasA%3D%3D). Er sieht den Mittelstand trotz der Fußangeln, die ihn derzeit behindern, auf einem guten Weg in die digitale Transformation. Und darin, da stimme ich mit ihm überein, liegt der entscheidende Unterschied zu allen historischen Vergleichen: die Handlungsoptionen, die jedem einzelnen durch die Digitalisierung gegeben werden, sind wirkmächtig genug, um sich aus einer düsteren Stimmung in zukunftsgewandtem Optimismus zu erheben.

Wenn wir diesen Optimismus in die Tat umsetzen, Investitionen in Innovationen vorantreiben,neue Arbeits- und Beschäftigungsmodelle etablieren und zugleich zu fossilen Brennstoffen alternative Energiequellen eröffnen, könnte wirklich 2023 das Jahr werden, in dem wir die Rezession überwunden haben werden. Ich freue mich schon jetzt auf diesen – positiven – Jahresrückblick auf das Jahr 2023. 2022 dagegen ist als annus horribilis abgehakt.

Zum Abschluss kommt mir Sigmund Graff in den Sinn, der einmal anmerkte: „Nichts ist so aufrichtig wie der gegenseitige Zuruf: glückliches, neues Jahr! Denn der Wünschende schließt sich immer mit ein – es ist wie der Wunsch nach schönem Wetter“. Dennoch mach ich’s und wünsche Euch, uns allen ein glückliches schönes Jahr und schönes Wetter …..

Deutschland bleibt offline

Es gab Jahre, in denen der Dialog zwischen Politik und Wirtschaft rund um den Digital-Gipfel viel Beachtung in der Öffentlichkeit erfuhr. Dann kamen Corona, Krieg und Energiekrise. Und nun – ein Jahr nach dem Amtsantritt der Ampel-Koalition – ist der Digital-Gipfel kaum eine Schlagzeile wert. Es gibt wichtigeres, sagen die einen und kümmern sich um ihre Strom- und Gasrechnung. Es gibt nichts wichtigeres, sagen die anderen, weil praktisch alle gegenwärtigen Krisen ein digitales Lösungselement verlangen: im Gesundheitswesen, bei der öffentlichen Verwaltung, im Energiemanagement, bei der Verkehrsplanung und nicht zuletzt beim Wiederaufbau unserer maroden Infrastruktur auf Schiene und Straße und im nach wie vor hinterherhinkenden 5G-Ausbau.

Der diesjährige Digital-Gipfel glich seinen Vorgängern durch das perpetuierlich wiederholte Versprechen, nun werde alles besser in Deutschland. Ein Digital-Gipfel aber, auf dem die Erfolge und das Erreichte gefeiert werden könnten, wird wohl auch im kommenden Jahr ausbleiben, weil auch weiterhin digitale Großprojekte auf die lange Bank geschoben werden. Sie werden zwar in Angriff genommen, aber irgendwie versandet alles im täglichen Einerlei. Da unterscheidet sich die Politik leider nicht von der Wirtschaft. Das dürfte ein Grund dafür sein, warum die Digital-Gipfel immer so friedlich verlaufen. Alle sitzen im Glashaus und verkneifen sich das Steinewerfen.

Dabei gäbe es genug zu klagen. Etwa über die Tatsache, dass nach fünf Jahren Onlinezugangsgesetz immer noch kein einziger durchgängig digitalisierter Geschäftsprozess in der öffentlichen Verwaltung zu vermelden ist. Es geht dabei noch nicht einmal um Mammutaufgaben wie die Verknüpfung von Steuernummer und IBAN, mit der heute eine Energiekostenerstattung ohne großen Bürokratieaufwand möglich wäre und dabei sogar noch zielgruppengenau erfolgen könnte, statt mit der Gießkanne Bedürftige und Wohlhabende gleichermaßen zu beglücken. Weil ein solcher Abgleich Bundesfinanzminister Christian Lindner zufolge mindestens 18 Monate dauern würde, wird er erst gar nicht in Angriff genommen.

Nein, die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes scheitert schon an den einfachsten Aufgaben – wie zum Beispiel die Weiterverarbeitung von Online-Formularen, die zwar vom Bürger in schlecht gemachten Webseiten ausgefüllt und nach meist mehrmaligem Versuch auch abgeschickt werden, die dann aber in den Amtsstuben per Mailanhang händisch an den zuständigen Sachbearbeiter weitergeleitet werden, der sie dann wiederum ausdruckt, um in Ruhe bearbeiten zu können. Fürs Archivieren wird dann wieder eingescannt und versendet. Nicht die Bürger sind hierbei offline, sondern die öffentliche Verwaltung verharrt im 20. Jahrhundert.

Dass Nachbarn wie zum Beispiel Dänemark längst die „digitale Identität“ umgesetzt haben, mit der sich die Dänen nicht nur online ausweisen können, sondern auch im Umgang mit den Behörden schon mal das ewige Wiederkäuen der eigenen Kopf- und Adressdaten einsparen, klingt aus deutscher Perspektive geradezu wie Science Fiction. Dass im Baltikum die Anmeldung eines Gewerbes wenige Stunden benötigt, weshalb es sinnvoller ist, ein Startup lieber in Tallinn als in Berlin zu gründen, klingt hierzulande geradezu utopisch.

Jetzt soll also ein Digital-Wumms bei der Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes helfen. Die Worte hört man wohl, allein, es fehlt der Glaube. Nicht anders ist die Erwartungshaltung beim jetzt angekündigten Digitalinstitut, das der Gesellschaft in unterschiedlichen Sektoren eine bessere Teilhabe an wichtigen Daten und den darauf fußenden Erkenntnissen bescheren soll. Das Dateninstitut wird – ganz ähnlich wie die Daten-Cloud Gaia-X – das Ziel haben, durchgängige Datenzugriffe zu ermöglichen, so dass etwa Informationen aus dem Gesundheitswesen auch in der Krankenversicherung genutzt werden könnten. Bundesverkehrsminister Volker Wissing feiert dazu ein Beispiel aus Berlin/Brandenburg, wonach ein Brandenburger nach der Vereinbarung eines Arzttermins in Berlin gleich die entsprechenden Verbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln erhält.  In noch nicht ganz konkreten Fallbeispielen, die das Gründungspapier des Dateninstituts auflistet, geht es um den Zugang, das Teilen und die Standardisierung von Daten zum Beispiel bei Mobilitätsangeboten, beim Energieverbrauch und bei der Long Covid-Forschung.

Tatsächlich? Man sieht quasi schon vor dem geistigen Auge, wie die Vertreter der letzten analogen Generation sich vor den Rechenzentren anketten und ihre Hände auf der Datenautobahn festkleben! Denn die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes krankt ja nicht allein an einer unfähigen Verwaltung, sondern auch an dem tiefsitzenden Misstrauen der Bürger gegen den mutmaßlich allwissenden Staat. Deutschland bleibt offline – weil wir es so wollen!

So wird Deutschland Europameister

52 Prozent der Fußballspieler in den aktuellen Bundesligakadern haben einen Migrationshintergrund – rund die Hälfte von ihnen gelten als internationale Verstärkung, als Ausländer, als Legionäre, als Gastarbeiter. Vor einem Vierteljahrhundert hatte lediglich jeder vierte Spieler ausländische Wurzeln – und in der Saison 2008/09 waren es sogar 56 Prozent der Spieler. Seitdem dümpelt der Anteil stets oberhalb der 50 Prozent. Die Deutsche Fußballliga und die sie tragenden Vereine haben ihren Fachkräftemangel also aktiv durch Spielertransfers aus dem Ausland und durch besondere Nachwuchsförderung gerade unter türkischen und nordafrikanischen Zuwanderern behoben.

Dabei wird in den seltensten Fällen danach gefragt, wie gut die Deutschkenntnisse der Zugänge sind, wenn sie nur auf ihrem Fachgebiet – dem Tore Schießen oder Verhindern – Weltklasse sind. Im Übrigen zeigt sich in Interviews immer wieder, dass auch unter den Spielern mit deutschen Wurzeln die Deutschkenntnisse meist nicht viel her machen. Und dennoch erhalten viele von ihnen nicht nur einen deutschen Spielerpass, sondern auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Denn wir wollen nicht noch einmal in der Vorrunde einer Weltmeisterschaft ausscheiden. Deshalb müssen auch hier neue Fachkräfte aus dem Ausland her. Der Deutsche Fußballbund rechnet damit, dass 2030 die Hälfte der deutschen Nationalmannschaft aus Spielern bestehen wird, die ausländische Wurzeln haben. Spielernamen wie „Thomas Müller“ werden seltener, dafür jubeln wir Kickern namens Serge Gnabry zu.

Warum sollte in der metallverarbeitenden Industrie oder in der IT-Branche – um nur zwei der notleidenden Branchen zu nennen – nicht das gleiche Prinzip funktionieren, das in der Bundesliga zu einem so großen Erfolg geführt hat? So scheint es jedenfalls die Bundesregierung zu sehen, die jetzt neue Eckpunkte für ein Einwanderungsgesetz, mit dem ausländische Spezialisten nach Deutschland eingeladen werden können, vorgestellt hat. In drei Bereichen sollen die Hürden für Menschen, die Arbeit und Ausbildung in Deutschland suchen, gesenkt werden.

Da ist erstens die Novellierung des bestehenden Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, in dem die Gehaltsschwellen gesenkt und die Wahl des Arbeitsplatzes flexibler gestaltet werden sollen, indem auch Quereinsteigern die Möglichkeit gegeben werden soll, sich auf Jobangebote zu bewerben. Bisher war es nur möglich, im Rahmen des eigenen Ausbildungsprofils Stellen zu suchen. Da ist zweitens das neue Einwanderungsgesetz, wonach Menschen, die bereits einen Arbeitsvertrag haben, leichter nach Deutschland kommen können sollen. Und da ist drittens die Berücksichtigung von Potenzialen, wonach anhand eines Punktesystems analog zu Kanada oder Neuseeland Menschen die Chance gegeben werden soll, eine Arbeit oder einen Ausbildungsplatz in Deutschland zu suchen.

In der Tat gibt es ein erhebliches Potenzial von internationalen Fachkräften, die sich für Deutschland interessieren. Sie sind überwiegend hochqualifiziert und stark motiviert, die Anforderungen zu erfüllen, wie eine Online-Befragung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ergibt. Für sie gibt es schon heute – wie im Fußball – regelrechte Transfermärkte, auf denen Agenturen aktiv sind. Die wissen auch um die Hürden in den deutschen Ausländerbehörden, die kommunal organisiert sind, und in denen es je nach Bundesland durchaus noch nach Gutsherrenart zugeht. Hier hat sich noch nicht unbedingt rumgesprochen, dass Deutschland längst ein Einwanderungsland ist und auf den Zuzug von Arbeitskräften – langfristig wohl übrigens nicht nur auf den Zuzug von Fachkräften – angewiesen ist.

Denn die Not ist groß. Allein in der Informationstechnik fehlen rund 100.000 Fachkräfte. Wäre das Potenzial an Spezialisten größer, würden aller Wahrscheinlichkeit auch mehr Jobs in diesem Bereich angeboten werden. Denn künftig ist praktisch kein Geschäftsprozess denkbar, der nicht von Software, künstlicher Intelligenz, vom Internet der Dinge oder der Plattform-Ökonomie beeinflusst, ja sogar definiert würde. Und nur mit einer solchen Offensive könnte der Wirtschaftsstandort Deutschland seinen fortgesetzten Niedergang, der sich schleichend aber stetig vollzieht, noch stoppen und umkehren. Derzeit ist Deutschland in der europäischen Rangliste der Digitalpioniere auf einem Abstiegsplatz.

Sich dabei ganz auf Zuwanderung zu verlassen, wäre so falsch wie der alleinige Rückgriff auf russisches Gas oder Wasserstoff aus der Namib. Deshalb werden Aus- und Weiterbildungsinitiativen immer wichtiger, die auch den gering Qualifzierten oder den Fehlqualifizierten die Chance eröffnen, in heimischen Zukunftsberufen am wirtschaftlichen Wachstum teilzuhaben. Vorbildlich ist da die Bundesweite Digitalkompetenz-Initiative von Microsoft und dem Netzwerk SchuleWirtschaft, die wiederum von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) und dem Institut der deutschen Wirtschaft getragen wird. Sie soll digitale Qualifikationen für 250.000 Lehrkräfte und künftige Berufsstartende ermöglichen. Unter der Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit können so junge Menschen die Fähigkeiten erwerben, die sie für ein erfolgreiches Berufsleben benötigen. Gleichzeitig soll ein Beitrag geleistet werden, mehr Fachkräfte mit Digital-Expertise auszubilden.

Denn nur so können wir unser Bildungssystem stärker auf die Anforderungen einer digitalen Gesellschaft trimmen und gleichzeitig Menschen, die durch ihre Fach- und Branchenkompetenz wichtige Leistungsträger in ihren Unternehmen sind, mit zusätzlichen digitalen Qualifikationen ausstatten. Das, so klagen die deutschen Mittelständler, sei ohnehin das größte Manko bei der Umsetzung einer Digitalstrategie.

Dann wäre auch die Hoffnung gegeben, dass Deutschland bis 2024 den Titel des Europameisters zurückholen kann. Wenn schon nicht im Fußball, dann wenigstens bei der digitalen Transformation…

 

Wenn der Zweck die Mittel heiligt

Nur mal angenommen, Sie fahren einen Wagen der Luxusklasse, der mit zahlreichen Extras ausgestattet ist, wie zum Beispiel einem autonomen Parkassistenten. Dann stellen Sie das Fahrzeug nur noch vor der Parklücke ab, aktivieren per Knopfdruck oder Smartphone den Assistenten und steigen schon mal aus. Der Wagen ruckelt sich ganz von alleine – quer oder längs – in die Lücke. Toll!

Nur, dass der Parkassistent bei diesem Vorgang weiß, wo Sie parken, wie lange das Fahrzeug dort steht und wann Sie wieder losfahren. Das gilt auch für so manches Topmodell der Navigationssysteme, das die Route mitschreibt und deshalb ein automatisches Tracking Ihrer Spritztouren leistet. Bei Tesla beispielsweise funktioniert das Navi praktisch nicht ohne Abonnement, das also von einer zentralen Stelle irgendwo in der Cloud freigeschaltet werden muss. Bei Mercedes kann man einen Beschleunigungs-Booster per Abo dazukaufen – und irgendeine Instanz weiß danach, wann Sie mal wieder den Porsche an der Ampel stehen gelassen haben.

Alles schöne Spielzeuge für die „großen Jungs und Mädchen“! Aber alle diese teuren Spielzeuge sind zugleich große Datenschleudern, von denen der Service-Provider interessante Erkenntnisse über das Fahrverhalten ziehen kann. Beim Parkassistenten ist es beispielsweise sinnvoll, die Fahrdaten mitzuschreiben, um die Steuerungssoftware zu optimieren. Beim Navi lernt das System allmählich, bislang nicht kartierte Nebenwege in den digitalen Atlas aufzunehmen. Aber ob und inwieweit dabei schützenswerte personenbezogene Daten mitgeschrieben und weiterverarbeitet werden, wird kaum diskutiert.

Und nun nur noch angenommen, das Kraftfahrzeugbundesamt würde diese Fahrzeugmodelle, in denen der Einbau solcher Assistenten möglich ist, vom Markt nehmen, weil nicht geklärt ist, welche bei diesen Diensten anfallenden Daten vom Service-Anbieter gesammelt und ausgewertet werden und ob er dies als „Auftragsverarbeiter“ oder als „Verantwortlicher“ tut. Nach Artikel 5, Absatz 2 der Datenschutzgrundverordnung müssten Audi, Mercedes, BMW oder Tesla als „Verantwortliche“ jederzeit Rechenschaft darüber ablegen können, welche Verarbeitungen im Einzelnen stattfinden.

Ziemlich genau so sieht das Dilemma aus, das die deutschen Datenschützer bei Microsoft verursachen, nachdem sie auf ihrer 104. Datenschutzkonferenz erneut und diesmal mit ziemlicher Vehemenz den Gebrauch des Online-Services Microsoft 365, zu dem neben Windows auch Office und die Collaboration Software Teams gehört, für Behörden und öffentliche Bildungseinrichtungen mehr oder minder untersagt haben. Für die Datenschutzbeauftragten ist auch nach den Nachbesserungen in den Standardvertragsklauseln und des Datenschutznachtrags in Form eines Berichts an die eigentlich verantwortliche EU-Datenschutzbehörde in Irland nicht ausreichend geklärt, ob und wenn ja in welchem Umfang Microsoft personenbezogene Daten abgreift. Microsoft bestreitet, inhaltliche Daten unrechtmäßig zu lesen.

Die Datenschützer argumentieren also mit der Datenschutzgrundverordnung und den Konsequenzen aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs, dem sogenannten Schems II-Urteil, nachdem US-amerikanische Cloud-Anbieter gegen die DSGVO verstoßen, weil sie auch mit ihren europäischen Daten Centern nicht vor dem Zugriff von US-Behörden geschützt sind, wenn diese zur Aufklärung einer Straftat im begründeten Verdachtsfall in Europa gespeicherte personenbezogene Daten einsehen wollen. Sie argumentieren also nicht, dass erwiesen ist, dass diese Lücken in Microsoft 365 existieren. Sie gründen ihr Verbot lediglich damit, dass Microsoft ihrer Ansicht nach den Verdacht nicht ausreichend ausgeräumt habe.

Die Datenschützer kehren also die Unschuldsvermutung um: Es ist keineswegs erwiesen, dass Microsoft 365 gegen die Datenschutzgrundverordnung verstößt. Es ist lediglich möglich. Sie gehen sogar so weit, jeder deutschen Organisation – egal ob in der öffentlichen Hand oder in der privaten Wirtschaft – zu unterstellen, dass sie beim standardmäßigen Betrieb von Microsoft 365 gegen die  DSGVO verstoßen. Auch hier also ein Generalverdacht, der dem Brauch der Unschuldsvermutung widerspricht. Vor keinem deutschen Gericht käme ein Staatsanwalt mit dieser dünnen Faktenlage durch. Aber die Datenschützer befinden sich hier offensichtlich selbst außerhalb des Rechtssystems, möchte man meinen.

Dabei geht es gar nicht um die Software oder den Cloud-Service selbst. Ein Stresstest wurde nie gestartet. Es geht lediglich um das begleitende Paperwork. Seit zwei Jahren ändert Microsoft kontinuierlich Standardvertragsklauseln und Datenschutzerklärungen. Doch nach Ansicht der Datenschützer liefern die Dokumente nicht die notwendige Transparenz, um zu erkennen, welche Daten von Microsoft „für eigene Zwecke verwendet werden können“. Es lasse sich an einigen Stellen nicht einschätzen, welche Informationen und Diagnosewerte noch erhoben und an Microsoft übertragen werden, heißt es. Damit lasse sich auch nicht prüfen, ob alle Schritte im Sinne der DSGVO rechtmäßig sind, schreiben die Datenschützer.

Es gibt in der Tat Diagnosewerte, die Microsoft nutzt, um sie zur Analyse von möglichen Bedrohungen aus dem Cyberraum zu nutzen und dadurch die eigenen Sicherheitsmaßnahmen zu schärfen. Das ist nach Ansicht der Datenschützer bereits ein Verstoß gegen die DSGVO. Damit wäre Datenschutz auch Täterschutz. Oder sollte doch hier der Zweck nicht die Mittel heiligen können. Im Automobil wäre das wünschenswert. Im  Cloud Computing aber doch wohl auch.