Wie groß ist Microsoft?

 

Letzte Woche erreichte Microsoft als drittes Unternehmen der Welt eine Marktkapitalisierung von mehr als einer Billion Dollar. Es war die Anerkennung der Anleger für Quartalszahlen, die mit 30,6 Milliarden Dollar Umsatz über den Erwartungen der Analysten lagen. Zwar rutschte Microsoft binnen Stunden wieder unter diese Marke – aber das Signal bleibt: Das Vertrauen in die Microsoft-Aktie ist ungetrübt.

In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahres hatten schon Apple und Amazon die Billion-Dollar-Marke genommen – und ebenso kurzfristig wieder verloren. Alle drei verdienen ihr Geld inzwischen hauptsächlich mit Services aus der Cloud. Und alle drei sind US-amerikanische Unternehmen. Eine europäische Company ist Lichtjahre von dieser Marke entfernt.

Doch wie groß Microsofts Business mit der Cloud tatsächlich ist, lässt sich aus den Zahlen nicht unbedingt im Detail ablesen. Denn unter der Produktsparte Commercial Cloud finden sich alle Cloud-Angebote – von Office365 über Dynamics 365 bis zur Geschäftskunden-Plattform Azure. Zwar wurde das Wachstum des Azure-Anteils am gesamten cloud-basierten Quartalsumsatz von rund neun Milliarden Dollar mit 73 Prozent im Jahresvergleich angegeben. Aber was heißt das schon, wenn man die Basis nicht kennt. Tatsächlich dürften die Umsätze mit Office 365 und Dynamics365 deutlich höher liegen als der Azure-Beitrag.

Cloud ist Cloud, könnte man sagen. Aber die Größe des Azure-Portfolios ist nicht nur etwas für Knöpfchen-Sortierer. Es geht auch um die Frage, wie groß das Standing im Cloud-Markt ist, der nicht nur hart umkämpft ist, sondern auch ein immer größeres individuelles Auftragsvolumen aufweist. Projekt mit WalMart, BMW, Volkswagen und vielen anderen sind auf Jahre angelegt und weisen zugleich auf zukunftsorientierte Geschäftsmodelle hin. Projekte auf der Azure-Plattform sind also Game Changer. Zuletzt hat Microsoft bei der milliardenschweren Ausschreibung des US-amerikanischen Verteidigungsministeriums gepunktet.

Microsoft ist mit Azure im Cloud Business klarer Zweiter hinter Amazons Web Services, wächst aber offensichtlich schneller als die Nummer Eins. Hinzu kommt, dass praktisch alle Produktsparten positiv zum Ergebnis beitragen. Selbst die Surface-Tablets steuern Quartal für Quartal einen Umsatz von mehr als einer Milliarde zum Gesamtergebnis bei. Die im Oktober abgeschlossene Akquisition von LinkedIn scheint ebenfalls gelungen zu sein, während die Übernahme der Entwicklungsplattform GitHub noch nicht im Detail ausgewiesen wurde.

Eines jedenfalls machen die Quartalsergebnisse alle drei Monate immer wieder aufs Neue deutlich: Die von CEO Satya Nadella vorangetriebene Umstrukturierung der ehemaligen Windows-Only-Company ist noch immer im vollen Gange und weist erhebliche Erfolge auf. Die Substanz ist dabei so gut, dass die 1.000.000.000.000-Dollar-Grenze wohl nicht wieder aus den Augen verloren wird. Mit jedem neuen Großauftrag rund um Azure verzücken die Redmonder ihre Anleger und heizen die Marktkapitalisierung an.

Dabei ist es bemerkenswert, dass Microsoft gleichzeitig erhebliche Investitionen in gemeinnützige Projekte tätigt. Letzte Woche wurde dazu die Zusammenarbeit mit der Clooney Foundation for Justice angekündigt, die weltweit gegen Justizwillkür vorgeht. Oliver Gürtler, bei Microsoft Deutschland für das Azure-Geschäft verantwortlich, fasst das in seinem aktuellen Blog nobel zusammen: „Größe verpflichtet“.

Doch wie groß Microsoft im Cloud Business tatsächlich ist, wüssten wir ja doch allzu gerne. Meine Prognose: Sobald die Zahlen auf Augenhöhe mit denen von Amazon Web Services sind, werden wir es erfahren.

 

Notre Game

Als die Bilder von der brennenden Kirche Notre Dame in Paris über die Bildschirme flackerten, hätte man am liebsten den Reset-Knopf gedrückt. Zu unfassbar, unglaublich, unwiederbringlich war das. Doch statt des Restarts kam leider „Game Over“ für das 800 Jahre alte Wahrzeichen der französischen Hauptstadt. Und doch lodert ein Funken Hoffnung: Der völlig zerstörte Dachstuhl, der eingebrochene Holzturm, der ausgebrannte Innenraum – das alles soll binnen fünf Jahren wieder hergestellt sein.

Dass dabei auch die historisierenden Konstruktionsdaten aus dem Ubisoft-Game „Assassin´s Creed“ zu Rate gezogen werden, wie es viele inzwischen vorschlagen, ist äußerst fraglich. Denn die interaktive 3D-Version von Notre Dame wurde eher nach den künstlerischen Aspekten eines Video-Games gestaltet, denn nach den architektonischen Gesichtspunkten eines Sakralbaus. Aber es ist mehr als nur eine Geste, wenn Ubisoft jetzt für eine Woche den Download des Spiels freischaltete, damit jeder sich ein Bild von der Erhabenheit des Kirchenschiffs machen kann. Dass die damit verbundene Großspende auch werbeträchtig vermarktet wurde, ist wohl weder beim Wiederaufbau, noch bei den Stiftungen zur Grundsteinlegung vor 800 Jahren verwerflich gewesen.

Aber dass uns mit einem Videospiel derzeit die realitätsnächste Möglichkeit bleibt, dieses Weltkulturerbe der Superlative zu besichtigen, ist 30 Jahre nach der Vorstellung des ersten Gameboys durch Nintendo am 21. April 1989, auch ein Spiegel unserer jüngsten Technikgeschichte. Das Block-Sortierspiel Tetris, mit dem alles begann, ist Lichtjahre von der filigranen Architektur von Notre Dame entfernt. Und doch führt ein direkter Spielzug von der mobilen Zweiknopf-Konsole zu den komplexen Strukturen einer gotischen Kirche.

Der erste Gameboy verkaufte sich 120 Millionen Mal. Sein Nachfolger schaffte es sogar auf 150 Millionen Stück. Die mobile Spielkonsole von heute allerdings ist das Smartphone, auf dem die Nachfolger von Tetris und Super Mario mehr als zwei Milliarden Nutzern weltweit dabei helfen, die Freizeit zu verdaddeln. Was lange Zeit von Pädagogen und Soziologen als der Anfang vom Untergang des Abendlandes verunglimpft wurde, dient in seinen Grundzügen heute auch der Mitarbeiter-Qualifizierung und Kunden-Bindung.

„Gamification“ – also die Einbindung von spieltypischen Elementen wie Highscore, Fortschrittsbalken, virtuelle Güter und Punkte für besondere Skills – führen zu signifikanten Verbesserungen bei Lernerfolg, Qualität und Loyalität. Moderne Anforderungen an Mitarbeiter wie Team-Orientierung (im HR-denglisch: community collaboration) oder Ziel-Orientierung (collaborative quest) werden so gefördert.

Und ebenso führt ein direkter Spielzug vom Gameboy zur Virtual oder Augmented Reality, in der wir in komplexen Anwendungsfällen nicht nur hochauflösende 3D-Grafiken zur Unterstützung unserer Arbeit, sondern auch Daten als ergänzende Information erhalten. Es ist schon ein Treppenwitz, dass die Hochleistungs-Grafikkarten, die für diese kommerziellen Anwendungen benötigt werden, aus dem Wunsch der Gamer entstand, möglichst realitätsnahe Spiele mit ruckelfreien Bewegtbildern spielen zu können.

Doch Notre Dame ist kein Spiel. Es ist Realität, die uns fassungslos vor der Vergänglichkeit des unvergänglich Geglaubten stehen lässt. Ob man zur geplanten Wiedereröffnung von Notre Dame im Jahr 2024 – dieser Seitenhieb sei gestattet – dann tatsächlich vom Berliner Hauptstadt-Flughafen nach Charles de Gaulle oder Orly fliegen kann, ist eine andere spannende Frage rund um moderne Großprojekte.

Die Antwort ist kein Witz, sondern eine überlebensnotwendige Systemfrage. „Wir schaffen das“, hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei der Ankündigung des Wiederaufbaus gesagt und damit eine Spendenaktion losgetreten, die bis heute eine knappe Milliarde Euro zusammengetragen hat. Seit dem „Wir schaffen das“ im Jahre 2015 schaffen wir in Deutschland gar nichts mehr, hat es den Anschein. Wenn sich das nicht ändert, ist hier auch bald „Game over“.

 

Die Illustration ist dem Ubisoft-Game „Assassin´s Creed“ entnommen.

 

Auf der Suche nach dem „CEBIT-Home“

 

Es wirkt ein wenig so, als wäre der deutschen Informationswirtschaft seit dem Wegfall der CEBIT der Fokuspunkt entzogen worden: Nach der Industriemesse in Hannover ist klar, dass er dort nicht ist. Zu stark ist auf der HMI die Konzentration auf die smarte Fabrik und das Industrial Internet of Things. Letzte Woche präsentierte sich ein zweiter Kandidat für die Erbfolge: die vom Innovationsverband Bitkom ausgetragene hub.berlin.

Der ehemalige Trendkongress ist im „Jahr 1 nach der CEBIT“ deutlich gewachsen: doppelt so lang (nämlich zwei Tage) mit doppelt so vielen Besuchern (nämlich 8000), rund 1000 Startups und 100 Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen, die Lösungen aus den Bereichen Robotics und Smart Health vorstellten. Sie lockte der inzwischen unvermeidliche Innovator´s Pitch – die zu jeder innovationsorientierten Veranstaltung gehörende Gelegenheit, mit den eigenen Ideen Investoren zu interessieren. Interessant auch, dass mit zwölf Präsentationen im Digital Art Lab die Grenze zwischen Kunst und Technologie gesucht wurde.

Die vielleicht größte Kommunikationsleistung, die die hub.berlin vollbracht hat, dürfte aber gar nicht in hippen Technologien, der nächsten ganz großen Idee oder dem neuesten Geschäftsmodell gelegen haben, sondern vielmehr darin, dass es an den zwei Tagen gelungen ist, den Dialog zwischen Startups und Mittelstand zu etablieren. Denn daran krankt Deutschland vielleicht am allermeisten: an der mangelnden Durchlässigkeit der digitalen Denkansätze zwischen Digitalwirtschaft und industriellem Mittelstand. Was wir brauchen, ist eine Plattform für den Dialog zwischen denen, die über innovative Ideen verfügen, aber keine Kunden haben, und jenen, die Kunden haben, aber unter einem deutlichen Mangel an innovative Ideen leiden.

Das hat die CEBIT in der vordigitalen Zeit hervorragend geschafft. Jetzt, in Zeiten der Digitalwirtschaft, brauchen wir dringend wieder eine solche Dialogplattform. Und die hub.berlin hat durchaus das Zeug dazu. „Wir brauchen in Deutschland Digitalisierung zum Anfassen“, brachte es Bitkom-Präsident Achim Berg auf den Punkt. „Um Deutschland fit zu machen für die Digitalisierung, müssen wir Startups, Mittelständler und große Unternehmen viel enger zusammenbringen.“

Das könnte, ja sollte auch der nächste Kandidat für die CEBIT-Nachfolge schaffen: der deutsche Digitaltag am 24. Juni, der vom Bundesverband Deutsche Startups und der Initiative digitalgermany ausgerufen wurde und Unternehmen aller Generationen, Startups wie Konzerne aber auch Akteure aus der Politik und der Zivilgesellschaft zu einer dezentralen aber dennoch konzertierten Aktion auffordert, „Digitalisierung zum Anfassen“ zu zeigen. Schauplatz sind keine Messehallen oder Event Locations wie die Station Berlin. Der deutsche Digitaltag wird Präsentationen an praktisch jedem Hauptbahnhof in Deutschland haben oder – um es mit der Bundesforschungsministerin zu sagen: praktisch „an jeder Milchkanne“.

Es wäre gar nicht schlecht, wenn die „neue CEBIT“ eine Mischung aus hub.berlin und dem deutschen Digitaltag sein könnte – ein hub.germany beispielsweise, wo über einen Zeitraum von sagen wir einer Woche an vielen hundert Standorten das Land der digitalen Ideen aufblühen könnte. Nötig hätten wir´s, denn – wie eine zur hub.berlin vom Bitkom veröffentlichte Studie zeigt – es sehen zwar immer mehr mittelständische Unternehmen die Bedeutung der Digitalisierung, zögern aber nach wie vor mit den notwendigen Investitions- und Innovationsschritten.

Doch abwarten: es gibt vielleicht noch eine Kandidatur für die CEBIT-Nachfolge, aus der Digitalisierung zum Anfassen mit Sicherheit zu sehen sein wird, die IFA in Berlin, die vom 6. bis zum 11. September stattfinden wird. Dann fände die CEBIT home…

 

 

Industriemesse auf der Kante

Die vielleicht unwichtigste aller Fragen wurde auf der Hannover Messe Industrie in der vergangenen Woche Tag für Tag von Messestand zu Messestand getragen: Wieviel CeBIT ist in der HMI? Denn nicht nur zeigte ein Messerundgang, dass die Industriemesse sich vor allem an der Industrie misst (und deshalb auch so heißt). Auch die Präsentationen der großen Softwarehäuser hatten vor allem einen industriellen Touch. Informationstechnik ohne direkten Bezug zum industriellen Umfeld war praktisch nicht vertreten – mit der negativen Folge, dass man den ganzheitlichen Anspruch der Allrounder wie SAP, Microsoft, Oracle oder IBM nicht mehr wahrnehmen kann. Dazu muss man wohl künftig auf die Hausmessen wie Saphire oder Inspire gehen…
Die vielleicht wichtigste aller Fragen wurde vor allem unter Politikern und Verbandsvertretern diskutiert – und ihre Antwort trug nicht gerade zur Besserung der Stimmung in Hannover bei. Ist die deutsche Industrie angesichts des rasanten Tempos, das die Digitalisierung und in ihrem Fahrwasser die Ausstattung mit künstlicher Intelligenz vorlegt, noch konkurrenzfähig? Nach einer Messeumfrage schätzen nur zehn Prozent der Unternehmenslenker, dass sie bei KI-Systemen mit dem Tempo, das in den USA oder in China vorgelegt wird, mithalten können.
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel machte aus ihren Zweifeln zur Wettbewerbsfähigkeit keinen Hehl. Sie sei sich nicht sicher, dass Deutschland hier die Voraussetzungen habe, um weltweit mitspielen zu können. „Eine KI-Strategie von gestern kann morgen schon nicht mehr ausreichend sein“, warnte die Kanzlerin vor allzu entspannter Innovationshaltung. Allerdings brachte es Sabine Bendiek, Vorsitzende der Geschäftsführung bei Microsoft Deutschland, ebenfalls auf den Punkt, als sie die Halbherzigkeit beklagte, mit der derzeit in Deutschland Industrie- und Innovationspolitik betrieben werde.
Am besten konnte sich diese Halbherzigkeit rund um den Telekommunikationsstandard 5G beobachten lassen. Denn zwar wurden praktisch in allen Hallen Szenarien für den neuen Breitbandstandard vorgeführt, doch funktionieren diese Hochgeschwindigkeitsnetze derzeit nur, wenn sich Unternehmen ihr eigenes Netzwerk aufs Betriebsgelände legen. Bis zum Jahresende wird die Ausbreitung des 5G-Netzes in den fortschrittlicheren Bundesländern gerade mal sechs Prozent der Fläche erreicht haben. Das reicht für den einen oder anderen Innovationscampus, ist aber nichts für die drei Millionen mittelständischer Unternehmen, die ihren regionalen Standorten treu bleiben.
Dass sich Digitalisierung und künstliche Intelligenz mit steigender Geschwindigkeit auf dem Shop Floor ausbreiten – das war die eigentliche Kernbotschaft der Industriemesse. Zehn Prozent ihrer IT-Ausgaben wollen Unternehmen im Schnitt in das Industrial Internet of Things stecken. Dabei zeigt sich, dass angesichts unzureichender Bandbreiten die Cloud für viele Anwendungen zu weit entfernt ist. Um aber unnötige oder sogar gefährliche Latenzzeiten zu vermeiden, wandern die Cloud-Services wieder zurück an den Ort des Geschehens – an die Kante beziehungsweise Edge.
Edge Computing ist sozusagen die Re-De-Rezentralisierung der Rechenleistung, die aus dem betriebseigenen Data Center erst in die Cloud und jetzt wieder „close to the edge“ wandert. Spannend ist dabei, dass auch die KI-Services, die bislang nahezu ausschließlich über die Cloud bereitgestellt werden, näher ans Geschehen rücken. Das funktioniert sogar mit selbstoptimierenden Machine Learning Systemen, die jetzt unmittelbar auf das Fertigungsgeschehen reagieren. Edge Computing ist auch mehr und mehr die Voraussetzung für Cobotics, also die Kooperation zwischen Mensch und Maschine am Arbeitsplatz.
Vielleicht ist das sogar die deutlichste Veränderung, die die Industriemesse präsentierte: Wo früher Roboter in abgeschirmten Käfigen ihre Arbeit taten, stehen sie jetzt Seite an Seite mit ihren menschlichen Kollegen. Das verlangt massive Rechenleistung und KI-Fähigkeiten – denn der Roboter soll dem Menschen ausweichen, nicht umgekehrt. Und auch diese Rechenleistung kommt von der Kante.