Es hat noch nie so viel Spaß gemacht auf dem World Economic Forum in Davos. Die Stimmung ist so euphorisch, als hätte es nie eine Krise gegeben. Oder besser noch: als wäre die Krise längst Vergangenheit und eine neue nicht in Sicht.
Die Helden werden gefeiert – allen voran die beiden „Super-Marios“, Mario Draghi und Mario Monti, die – so will es fast scheinen – nahezu im Alleingang die Schulden- und Eurokrise niedergerungen haben. Andere feiern sich selbst – wie zum Beispiel Philip Rösler, der mit der „Power of Ten Percent“ Hof hält. Oder wie Bill McDermott, der Co-CEO der SAP, der der deutschen Ausgabe des Wall Street Journals die magische Zahl von 22 Milliarden Euro Umsatz nennt. So viel sollen 2015 in die Kassen des Walldorfer Softwareriesen fließen. Dank Hana und der rejustierten Cloud-Strategie wachse SAP derzeit doppelt so schnell wie Erzrivale Oracle. Und viermal so schnell wie die ganze IT-Branche in Europa.
Das aber soll sich ändern. Zu diesem Zweck hat die für „digitale Fragen“ zuständige EU-Kommissarin Neelie Kroes das Davoser Gipfeltreffen zur Ankündigung einer europäischen Initiative zur Stärkung der IT-Industrie in Europa genutzt. Mehr digitale Arbeitsplätze, mehr IT-Kompetenz und nicht zuletzt mehr Gründer-Geist soll die Informationswirtschaft auf dem Alten Kontinent schneller voranbringen. Im Idealfall soll Europas IT-Sektor wieder im Gleichschritt wachsen mit SAP – aber das sagt Neelie Kroes natürlich so nicht.
Dabei können sich auch die jetzigen Zuwachsraten durchaus sehen lassen: Um jährlich drei Prozent nahm die Zahl der digitalen Arbeitsplätze in Europa zu – auch während der Krise. Aber deutlich schneller wachsen als bisher dürfte die „EU-IT“ schon allein, wenn das brachliegende Potential genutzt würde. Nach Angaben der EU-Kommissarin bleiben derzeit bis zu 700.000 Arbeitsplätze in der Informationswirtschaft und Telekommunikation unbesetzt. Berücksichtigt man allein durchschnittliche Umsatzerlöse pro Arbeitsplatz, würde dies einer Wertschöpfung von 100 Milliarden Euro entsprechen.
Allerdings besteht weder kurz- noch mittelfristig eine Aussicht darauf, diese Arbeitsplatzlücken auszufüllen. Im Gegenteil: Die Zahl der Jugendlichen, die eine Ausbildung in digitalen Berufen anstreben, ist sogar rückläufig. Wenn nichts geschieht, bewegt sich Europa von seinen Chancen weg.
Deshalb will Neelie Kroes auf allen Ebenen zusammen mit Industrie und Bildungseinrichtungen aktiv werden: mehr Ausbildungsplätze, mehr Praktika, mehr Informatikkurse, mehr berufsbegleitende Weiterbildung, mehr Online-Hochschulkurse, mehr Mobilität und nicht zuletzt mehr Unterstützung für Firmengründer. Als Währung für mehr Bildung und Initiative sieht die EU-Kommissarin Bildungschecks wie sie in Deutschland und vor allem in Spanien schon erfolgreich eingeführt wurden. Rund 20000 Teilnehmer hatten sich mit Hilfe solcher Bildungsgutscheine weiter qualifiziert – und für zwei Drittel von Ihnen sprang am Ende sogar ein Arbeitsplatz heraus.
Dieser Coupon-Coup soll jetzt europaweit lanciert werden. Weitere Ideen und vor allem konkrete Handlungsvorschläge sind willkommen. Darüber soll parallel zur CeBIT in Hannover am 4. und 5. März diskutiert werden. Mitmachen kann jeder. Und angesichts eines kurzfristigen Bedarfs von 700.000 Arbeitsplätzen muss auch jeder mitmachen.
Es gibt was zu tun – nicht nur in Davos, sondern da wo´s klemmt.