Angst vorm Fliegen

Es gibt sie immer wieder zu besichtigen, die Flugzeugpassagiere, die mit leicht verschwitzten Händen die Armlehnen umkrampfen. Die physischen Leiden, die Angstgefühle beim Fliegen auslösen, sind realer als die tatsächlichen Gefahren – und die, die sie erdulden, sind wahrlich zu bedauern. Angeblich haben rund 20 Prozent der Deutschen Angst vorm oder beim Fliegen. Und besonders verwirrend ist diese Zahl: Jeder vierte Flugbegleiter verspürt Flugangst.

Warum? Weil sie besser wissen, was alles schief laufen könnte? Weil sie unter Kontrollverlust leiden und sich auch sonst im Leben einer Technik oder dem Geschick eines anderen Menschen nicht leicht anvertrauen können? Weil sie schon mal negative Erfahrungen gemacht haben?

Es ist faszinierend, dass die jüngste Untersuchung der Security-Company Symantec nahezu die gleichen Zahlen und Motive zum Thema Sicherheit in der Cloud ermittelt hat. Während nahezu alle befragten IT-Verantwortlichen (87 Prozent) Sicherheitsthemen als eine ihrer wichtigsten Herausforderungen ansehen, geben etwa ein Viertel der rund 5300 Interviewpartner weltweit zu Protokoll, dass sie den Schritt in die Cloud (deswegen) noch nicht einmal in Betracht ziehen.

Denn in der Wolke herrscht Kontrollverlust, muss man sich auf die Technologie und das Geschick Dritter verlassen, ist man der Gefahr hilflos ausgesetzt. Und: Nahezu jeder hat schon mal von negativen Erlebnissen wie Datenverlust, Hackerangriff oder Ausfall von Leitung und Leistung gehört.

Dennoch wird geflogen. Dennoch gehen die Unternehmen in die Wolke. Jeder fünfte Anwender hat Software as a Service in irgendeiner Form implementiert – ob komplette ERP-Systeme, dedizierte Funktionen wie CRM oder einfach nur Apps für die Reiseplanung. Und jeder Neunte hat sich erfolgreich an einer Hybrid-Cloud versucht, in der OnPremise- und OnDemand-Anwendungen gemischt und integriert genutzt werden.

Einen Hinweis auf einen der größten Inhibitoren für eine zügige Nutzung des Cloud-Geschäftsmodells gaben die 5300 Befragten – darunter übrigens knapp ein Viertel aus Europa (200 aus Deutschland) – ebenfalls: Nahezu die Hälfte der Anwender gab an, dass die eigene IT-Abteilung nicht ausreichend über die Cloud informiert seien. Angst aus Ahnungslosigkeit – also? Nun: die Sorge um Sicherheitsprobleme treibt alle um – also auch die, die sich bestens in der Wolke orientieren können.

Was sie dabei konkret fürchten, sind Virenangriffe aus dem Internet. An zweiter Stelle folgt bereits die Sorge um Hackerangriffe. Beides sind Bedrohungen, die von außen über das Internet kommen. Die Erfahrung zeigt, dass die Cloud-Rechenzentren eher besser gegen diese Gefahren gefeit sind als die internen Data Shops der Unternehmen. Oder um im Bild zu bleiben: Die Angst, mit dem eigenen Auto zu verunglücken, ist weniger verbreitet als die Flugangst, obwohl die Gefährdung im Straßenverkehr größer ist als im Luftverkehr.

Interessant ist, dass bereits an dritter Stelle der Sicherheitsbedenken das Misstrauen gegenüber den eigenen Mitarbeitern rangiert, die möglicherweise Unternehmensgeheimnisse ausplaudern, kopieren oder durch Unachtsamkeit zugänglich machen. 57 Prozent der befragten IT-Chefs fürchten das interne Wikileak. 56 Prozent trauen das Leaking auch der Cloud und ihren Dienstleistern zu.

Flugzeuge gehören zu den sichersten Verkehrsmitteln der Welt. Doch wenn sie scheitern, scheitern sie spektakulär. Die Cloud muss sich den Ruf der sichersten Infrastruktur noch erarbeiten. Aber eigentlich ist sie – wie das Flugzeug – alternativlos.

Du kommst aus den Wolken

Als Kinder schon hatten wir einen Anfangsverdacht: Auch unter Ausnutzung aller Zeitzonen wäre mindestens Lichtgeschwindigkeit notwendig, wenn Saint Nick in der Weihnachtsnacht alle zwei Milliarden Christen auch nur für Sekundenbruchteile besuchen wollte. Zwar ließen  sich die 300.000 Kilometer, die für den Besuch bei rund 500 Millionen christlichen Haushalten (bei angenommenen durchschnittlich vier Personen pro Haushalt) zu absolvieren sein dürften, in einer Sekunde zurücklegen. Aber dann blieben lediglich knapp zwei Zehntausendstel Sekunden für‘s Buch nachschlagen, Gedichte anhören, Ermahnung aussprechen, Geschenke verteilen, Rentiere auf Lichtgeschwindigkeit bringen. Glaubt doch kein Mensch sowas!

Doch schon 1869 hat eine gewisse Hedwig Haberkern aus Breslau einen ersten sachdienlichen Hinweis gegeben, als sie – wohl in göttlicher Eingebung und Ausübung ihres Berufs als Kindergärtnerin – die
„Geschichte von der Schneewolke“ erfand und darin einige Reime zusammendrechselte, die in der Einsicht kulminierten: „Du warst in der Wolke, dein Weg ist gar weit“. Die stürmische Rezeptionsgeschichte des Lieds vom „Schneeflöckchen, Weißröckchen“ bescherte bis 1945 nicht nur wechselnde Melodien, sondern auch den manipulierten Text: „Du kommst aus den Wolken, dein Weg ist so weit“.

Natürlich! fällt es einem da wie Flocken aus den Haaren: Saint Nick on Demand, Xmas as a Service. Wenn in 500 Millionen Haushalten die Geschenke ganz einfach downgeloadet werden – wo ist dann noch das Problem. Dann wäre auch geklärt, warum sich Saint Nick der Legende nach dieser eigentlich unpraktischen Zugtiere bedient. Im OnDemand-Geschäftsmodell geht es doch im Wesentlichen darum, dass sich das Deployment von Software auch in großen Verbreitungsgebieten RENTIERt!

Womit wir bei einem anderen himmlischen Vergnügen wären: der Beeinflussung von Analysten. Früher war ja Influenza ein unangenehmer Nebeneffekt der kalten Witterung. Heute haben Influenzer eher Auswirkungen auf verschnupfte Märkte. Sie können das Fieber ansteigen lassen oder eine tödliche Marktunterkühlung herbei schweigen.

Deshalb hat sich SAP in diesen Tagen noch einmal bemüht, die Analysten zu einem Gipfeltreffen zusammenzurufen und ihre weltweite Enterprise-Strategie offengelegt. Das Instrumentarium ist bekannt: HANA soll Oracles Datenbank ablösen. Business One soll noch stärker gegen Sage positioniert werden – und für die 42 Millionen mttelständischen Unternehmen in China soll Business by Design aus den Wolken geschneit kommen.

Er habe lernen müssen, dass eine Million Kunden in China eine konservative Schätzung sei, konstatiert Co-CEO Jim Hagemann-Snabe vor den Analysten – aber das sei die Zahl, auf die man sich jetzt erst einmal konzentrieren werde Business One Million! Diese Zahl lässt sich wahrscheinlich bereits mit der Abdeckung der nach weltweiten Maßstäben wirklich großen Zentren in China erreichen. Dort ist SAPs Auftritt bereits sichtbar und durch etablierte Supportstrukturen gefestigt.

Aber was geschieht in den „unendlichen Weiten“ des Landes? Hier gilt, was in den vergleichsweise kleinen fünf neuen Bundesländern bereits die Filialbanken Anfang der neunziger Jahre bitter erkennen mussten. Man kann an seinem dichtmaschigen Supportnetz auch zugrunde gehen. Die Banken erfanden seinerzeit das Online-Banking. SAP wird jetzt in den Flächenländern China, Indien, Russland, Brasilien und Südafrika ihr wolkengestütztes Mobilgeschäft ausbauen – mit Business One und Business by Design – aber künftig vielleicht als Business by One Design. – Schöne Bescherung.

Die Wolke im Kopf

Irgendwie klingt es schon wie eine Nachricht aus einer längst vergangenen Zeit, dabei sind es gerade drei müde Jahre her, dass IBM zusammen mit dem Wirtschaftsblatt Impulse zum letzten Mal den Stand der eDinge im Mittelstand untersuchte. 99 Prozent aller mittelständischen Unternehmen in Deutschland – und das sind dann so um die 3,2 Millionen Firmenadressen – sind online. Mit diesem Durchdringungsgrad hatte die Studie sozusagen ihre weitere Daseinsberechtigung verloren. Oder auch nicht. Eine der letzten Erkenntnisse der zehnten Studie besagte nämlich: der Mittelstand hat von Web 2.0 keine Ahnung.

Deshalb gibt es ja inzwischen die Neuauflage der Studie – allerdings zum Thema Cloud Computing. Diesmal ist HP der Hauptsponsor – aber die Marktbefrager von techconsult sind weiterhin der Analysepartner. Und hier zeigt sich nun noch deutliches Potenzial für künftige Studien. Denn immerhin 60 Prozent der befragten Mittelständler können im Cloud Computing keinen Nutzen identifizieren. Schlimmer noch. Von den 40 Prozent der Befragten, die einen Benefit aus der Wolke erwarten, hat etwa die Hälfte noch gar kein Cloud-Projekt durchgeführt.

Der Mittelstand bleibt sich treu. Er bleibt technisch lieber zwei bis drei Innovationsschritte zurück, steht damit aber auf sicherem Boden und innoviert stattdessen seine internen Prozesse. Das ist nicht unbedingt schlagzeilenverdächtig, sorgt aber am Geschäftsjahresende für eine solide Bilanz.

Trotz aller Fanfarenrufe rund um die Cloud, gilt für den Mittelstand unverändert: Erst wenn die Kostenvorteile als gesichert gelten, wird im breiten Stil investiert. Und tatsächlich haben die jüngsten Analystenmeinungen zur richtigen Einführungsstrategie im Business mit Anything as a Service auch nicht gerade dazu beigetragen, das Zutrauen des mittelständischen Unternehmers in die Wolkenburgen zu stärken.

Die Gartner Group empfiehlt ihren Small and Medium Clients, über standardisierte Lösungen in der öffentlichen Cloud zu beginnen. Individuallösungen in einer privaten Wolke seien nur dann angemessen, wenn es auf dem globalen Markt tatsächlich keine standardisierte Hochverfügbarkeitslösung gäbe. Aber der Mittelstand hört offensichtlich nicht hin.

Denn dem HP Cloud Index haben jetzt die Mittelständler zu Protokoll gegeben, dass sie keinen Nutzen im Cloud Computing erkennen können, gerade weil es die standardisierten Angebote aus den public Clouds an einem Wettbewerbsvorteil für den Anwender vermissen lassen. Umgekehrt sei die Implementierung in privaten Wolken, die das größte Nutzenpotenzial bergen, zu teuer, um einen handfesten Return on Investment zu gewährleisten. Was die Unternehmer den Analysten in die Fragebögen diktiert haben, ist die klassische – und durchaus bewährte – Minimax-Politik des Mittelstands. So viel Individualisierung wie möglich, so viel Standard wie nötig – einerseits. Andererseits gilt aber auch: So wenig Kosten wie nötig bei so vielen Extras wie möglich.

Seit Jahrzehnten treibt dieses Mittelstandsprinzip die globalen Anbieter in den Irrsinn. Aus ihrer Sicht ist Cloud Computing ein neuerlicher Ansatz, den weltweiten SMB-Markt mit einem einheitlichen, kostengünstig zu vertreibenden Komplettangebot zu versorgen. Und was macht der Mittelstand? Er pocht auf seine Individualität. Was in Deutschland ausgeprägt ist, zeigt inzwischen auch in den USA oder in China seine Wirkung. Die aufstrebenden Familienunternehmen sind hemmungslose Individualisten mit hohem Sparzwang – im Mittelwesten ebenso wie im Reich der Mitte. Der Mittelstand wartet global auf Cloud 2.0.

Deutschland verhandelt, Amerika handelt

Vom Gipfelkreuz aus gesehen, ist die Perspektive klar. Aber jeder nächste Schritt führt zunächst einmal bergab. Das ist die post-ko-IT-ale Depression eines IT-Gipfelstürmers.

In den Wochen vor dem Spitzentreffen aus Politik und Wirtschaft hat es eine Vielzahl von äußerst intensiven Planungssitzungen gegeben. Alles scheint machbar, wenn sich der politische Wille auf den Aufstieg zum Gipfel fokussiert. 130 Milliarden Investitionsvolumen – das ist doch was, auch wenn gegenwärtig alle Investitionen in der Realwirtschaft geradezu minuscule wirken im Vergleich zu den Aufwendungen, die zur Rettung de. Euros und zur Begleichung unserer aufgelaufenen Schulden anfallen.

Tatsächlich ist der Zusammenhang enger als der bloße Vergleich zweier Zahlen: Die Investitionen in die Digitalisierung der nationalen Infrastrukturen, die auf dem 6. IT-Gipfel beschlossen wurden – an der Schnittstelle zwischen Realwirtschaft und  Internet-Ökonomie, wie es die Kanzlerin formulierte –,  sind Maßnahmen zur Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit im globalen Maßstab. Denn überall dort, wo wir in die Verbesserung unserer Netzwerke investieren – in intelligentere Stromnetze zum Beispiel (SmartGrids) oder in ein System aus informationellen Gesundheitsdienstleistungen rund um die Patientenakte -, verbessern wir auch die Wertschöpfungskraft. Die jetzt auf dem IT-Gipfel definierten Schwerpunktinvestitionen helfen der Gemeinschaft, nicht nur neue Werte zu schöpfen, sondern auch alte Schulden zurückzuzahlen.

Aber es sind zugleich auch (wieder einmal) die alten Ladenhüter der Informationsgesellschaft, die auf diesem Gipfel ihre Epiphanie erlebten: Gesundheitskarte, Elektromobilität, SmartGrids, Bildung, Verkehrsleitsysteme – fehlt noch Galileo. An diesen Großprojekten bosselt Deutschland, werkelt Europa seit der Jahrtausendwende. Sie sind immer noch entscheidend für unsere Prosperität, sie sind immer noch innovativ. Aber – Schande genug – sie sind auch immer noch in ihren Anfangsstadien.

Deutschland muss vom Verhandeln zum Handeln schreiten. Der IT-Gipfel hat wichtige Impulse gesetzt. Aber Impulse müssen aufgenommen, umgesetzt, verstärkt und perpetuiert werden. Auf die Actio muss eine Reactio der Wirtschaft und der Politik folgen. Sonst droht, was peinlich oft vor Gipfeltreffen geschieht: Aktionismus vor Toresschluss.

Deshalb ist es wichtig, dass der IT-Gipfel ein IT-Fundament erhält. Eine konzertierte Aktion à la Silicon Valley, die weniger von Abstimmungsrunden als vielmehr von gesundem Wettbewerb getragen ist, von dem Willen, der erste, der Beste zu sein. Was wir von Steve Jobs, Bill Gates, Marc Zuckerberg oder Jeff Bezos lernen können, ist die Fähigkeit, aus Egomanie Ökonomie zu machen. Wenn wir jetzt vom Gipfel steigen, sollten wir diese schöpferische Kraft aus dem Silicon Valley suchen.

Der 6. IT-Gipfel hat Projekte von nationaler Bedeutung identifiziert – jetzt geht es darum, die Kräfte dahinter zu bündeln und – ein inzwischen aus dem (ebenfalls seit langem notleidenden) Verkehrswesen entliehenes Sprachbild – „auf die Straße zu bringen“. Vielleicht wäre im BDI dieses Fundament zu legen, dort, wo spartenübergreifend Unternehmertum mit Erfindergeist gepaart ist. Die großen Infrastrukturen haben immer des politischen Anstoßes bedurft – aber ohne die Entrepreneure und Ingenieure gäbe es weder ein Eisenbahnnetz, noch die Automobilität, weder ein Breitbandnetz, noch die Elektrizität.

Ein BDI als ein Bündnis Digitaler Infrastrukturen wäre ein Fundament für die Herkulesarbeit zwischen den Gipfeln. So ein kleines Wirtschaftswunder wäre die richtige Reaktion auf die aktuellen Weltkrisen.