Ein Blog über Blogs

Vorwort zur achten Ausgabe der „Bonnblogs – frisch reingekommen“

Das Buch als PDF können Sie hier downloaden.

Wir schreiben das Jahr Eins nach dem Ende der CeBIT. Im November 2018 mussten wir erfahren, dass die Weltmesse der Informationswirtschaft plötzlich und unerwartet im Kreise ihrer Lieben von uns gegangen ist. Nein, von uns gegangen wurde. Ich habe damals einen reichlich emotionalen Blog geschrieben, in dem ich uns allen wünschte, dass die CEBIT eben nicht in Frieden ruhen solle, sondern zumindest eine würdige Erbfolge haben könnte. Dann kam die CES in Las Vegas, die Industriemesse in Hannover ging vorüber, der angekündigte Digitaltag nach Schweizer Vorbild blieb aus, schließlich folgten IAA mit fahrenden Smartphones und die IFA mit denkender Unterhaltungselektronik. In Januar 2020 wird sich zeigen, dass die CES die einzige würdige Nachfolgerin der CEBIT sein wird.

Wieder ein Asset „Made in Germany“, das wir ohne Not ans Ausland verschenken!

In diesem emotionalen Blog vom 26. November 2018 habe ich ein Wort geprägt, das mich das ganze folgende Jahr hindurch begleitet, ja verfolgt hat: Bräsigkeit! Es ist dieser deutschen Gen-Defekt, Technologien nicht bis zum Produkt zu Ende denken zu können, der mich schier in den Wahnsinn treibt. Und bei der Lektüre der Blogs aus den letzten 52 Wochen wird mir klar, wie sehr mein Unmut, meine Ungeduld, mein Unwillen zugenommen haben, diese Bräsigkeit weiter hinzunehmen. Wir schlafwandeln im digitalen Wandel, habe ich dazu einmal geschimpft.

Dabei hatte ich zum Jahreswechsel 2018 / 2019 noch Hoffnung, dass wir zumindest beim Thema künstliche Intelligenz Fahrt aufnehmen würden. Zwar hielt ich die von der Bundesregierung losgetretenen KI-Initiative von Anfang für „nett, aber nicht gut genug“ – aber ich hatte am 31. Dezember 2018 noch die Hoffnung, dass sich nun doch etwas tun würde. Doch über die Wochen und Monate wurde auch diese zerstört: es geht einfach nicht voran in diesem Land. Das können wir auch am schleichenden Verfall unserer Infrastruktur erkennen – ganz zu schweigen vom schleichenden Aufbau einer IT-Infrastruktur auf der Basis von 5G oder wenigstens 4G.

Es ist einfach nicht zu fassen, wie wir unsere Talente vergeuden und unsere Chancen ausschlagen. Doch zum Jahresende hin müssen wir uns die selbstgefällige Zwischenbilanz der Bundesregierung gefallen lassen, bei der der Vizekanzler auf die „schwarze Null“ verweist und die Kanzlerin aufzählt, dass zwei Drittel der Gesetzesvorhaben erledigt oder zumindest auf den Weg gebracht worden seien. Aber WIE, müssen wir fragen. Von der Pkw-Maut über die Industriepolitik und das Klimapaket bis zur KI-Initiative ist doch das meiste zu kurz gesprungen.

Blogs geben immer nur eine Momentaufnahme wieder. Aber übers Jahr genossen, zeichnen sie ein Bild der laufenden Ereignisse. Diese inzwischen achte Sammlung von Bonnblogs erscheint erstmals als eBook – sozusagen mein Beitrag zum digitalen Wandel und zur Verkleinerung meines ganz persönlichen CO2-Abrdrucks.

Wie immer sind die Blogs so angeordnet, dass der aktuellste Beitrag vorne und der älteste Blog hinten im Buch zu finden sind. Beim Durchblättern wird Ihnen auffallen, dass ich im Rückblick 2018 Microsofts CEO Satya Nadella zu meinem persönlichen Mann des Jahres erkoren habe. Jetzt – und damit endet beziehungsweise beginnt dieses Buch – haben die Analysten von Fortune ihn zur Businessperson of the Year 2019 gewählt.

Diese und andere Entdeckungen bietet dieses Buch. Ich wünsche bei der Lektüre viel Vergnügen – und der Bundesregierung endlich einen Haken, an dem sie sich aus ihrer Bräsigkeit ziehen kann.

 

Runter vom Podest!

Microsofts Gründer Bill Gates ist nach zwei Jahren wieder der reichste Mann der Welt! Nach Schätzungen besitzt er derzeit ein Vermögen, das ungefähr eine Milliarde Dollar größer ist als das von Amazon-Gründer Jeff Bezos, dem bislang reichsten Mann der Welt. Eine Milliarde Dollar ist für uns Normalbürger eine enorm große Menge Geld. Aber in realen Zahlen ausgedrückt ist der Abstand zwischen den beiden „Big Spendern“ geradezu marginal: 109 Milliarden Dollar versus 108 Milliarden Dollar.

Den erneuten Sprung an die Spitze hat Bill Gates wahrscheinlich einem anderen zu verdanken: seinem Nach-Nachfolger im Amt als Microsofts CEO, Satya Nadella. In dem gut halben Jahrzehnt seit dessen Ernennung zum Vorstandsvorsitzenden hat sich die Notierung der Microsoft-Aktie verdreifacht – auf einen nahezu All-Time-Höchststand, der dem Unternehmen eine Marktkapitalisierung von mehr als einer Billion Dollar beschert. Selbst der reichste Mann der Welt könnte seine alte Company ohne fremde Finanzierungshilfe nicht zurückkaufen…

Der Sprung an die Spitze für Bill Gates erfolgte wenige Tage, nachdem das Pentagon den mit zehn Milliarden Dollar dotierten Auftrag für das JEDI-Projekt (also die Joint Enterprise Defense Initiative) an Microsoft vergeben hatte und der Aktienkurs sprunghaft stieg. Das Cloud-Projekt wird die Landschaft des Cloud Computings signifikant zugunsten von Microsoft und der Plattform Azure verschieben. Derzeit ist das Cloud-Business von Microsoft noch deutlich kleiner als das von Jeff Bezos´ Amazon Web Services. Kein Wunder, dass Amazon jetzt gegen die Vergabe gerichtlich vorgehen will.

Bemerkenswert aber ist, wie Satya Nadella den Deal mit dem Verteidigungsministerium gegenüber seinen pazifistisch ausgerichteten Mitarbeitern verteidigte: Es könne nicht sein, dass ein Unternehmen die beste Technologie und das beste Knowhow denjenigen verweigere, „die unsere Demokratie schützen“. Das Argument folgt ganz dem Nadella´schen Glaubenssatz, dass Microsoft dafür da ist, Menschen und Organisationen zu befähigen, mehr zu erreichen.

Dafür musste sich der im indischen Hyderabad geborene CEO erst von den Glaubenssätzen seiner beiden Vorgänger lösen und das Primat von „Devices“, die durch Windows angetrieben werden, durch „Services“ auf der Azure Plattform ersetzen. Für 2023 sagen denn auch Analysten voraus, dass Microsoft mit Cloud Computing mehr Umsatz machen wird als mit allen anderen Produktsparten.

Nadella war Ende 2013 einer der wenigen im Management-Board, die sich gegen die von Steve Ballmer eingestielte Übernahme von Nokia ausgesprochen hatten. Seine Begründung: Er sehe nicht ein, dass die Welt der Smartphones neben Apple´s iOS und Google`s Android noch ein drittes Ökosystem benötige. Damals war der Anteil von Windows mobile bei vier Prozent angelangt – ohne Aussicht darauf, zu den beiden Marktführern aufzuschließen.

Stattdessen bestand Nadellas erste Amtshandlung darin, die Cash-Cow Microsoft Office für das iPad von Apple verfügbar zu machen – also für den direkten und erbitterten „Erzfeind“. Aber der vermutlich wichtigste Move bestand darin, dass Satya Nadella diese Ankündigung nicht – wie von seinen Vorgängern gewohnt – von einer erhöhten Bühne aus machte, sondern auf gleichem Level mit seinem Publikum. „Runter vom Podest“ ist seitdem ein stehender Begriff in Microsofts Managementkultur.

Diesen Kulturwandel hat Nadella seinem eigenen Bekunden zufolge einem Buch zu verdanken: „Mindset – The New Psychology of Success“ der heute 73jährigen Stanford Professorin Carol Dweck. Darin macht sie deutlich, wie ein auf Wachstum ausgerichteter Geist mehr Kreativität, mehr Miteinander, mehr Experimentierfreude freisetzt als ein auf das Bewahren bestehender Prinzipien ausgelegter Kopf. Für Microsoft, wo unter Ballmers Ägide Entwicklungsabteilungen absichtlich gegeneinander angesetzt wurden und wo Mitarbeiter-Bewertungssysteme darauf angelegt waren, selbst bei All-Star-Teams relative Low-Performer abzustrafen, war das eine Kulturrevolution.

Sie hält bis heute an und treibt in der Tat Microsoft zu immer neuem Wachstum. Deshalb wählten die Analysten von Fortune Satya Nadella jetzt zur Businessperson of the Year 2019. Er wird diese Auszeichnung mit seinem bekannt breiten Lächeln zur Kenntnis genommen haben. Aber der Versuchung, wieder aufs Podest zu steigen, wird er widerstehen. Wir gratulieren trotzdem. Es ist gut, in einer Zeit des Wertverfalls einen so wertvollen Business Leader zu haben.

 

KI-Klein-Klein

Es gilt, ein trauriges Jubiläum zu begehen: Vor ziemlich genau einem Jahr hat die Bundesregierung ihre KI-Initiative verabschiedet, deren Grundprinzipien im Sommer 2018 festgelegt wurden. Ziel sollte es sein, bis zum Jahr 2025 rund drei Milliarden Euro in die Entwicklung von Grundlagen, Lösungen und Produkten der KI-Technologien zu stecken und dafür sowohl Wissenschaft als auch Wirtschaft zu mehr Anstrengungen zu ermuntern.

Geschehen ist seitdem – nichts. Oder wenn wir sehr fair sein wollen: so gut wie nichts!

Die ersten rechnerisch verteilten 500 Millionen Euro sind ohne nennenswerte Wirkung geblieben. Von den 100 KI-Professuren, die laut Initiativ-Papier installiert werden sollten, sind bislang lediglich 30 ausgeschrieben – also noch nicht einmal besetzt. Und Bundesbildungsministerin Anja Karliczek reklamiert bereits die deutsche Daten-Cloud als Erfolg der KI-Initiative. Dabei ist „Gaia-X“ selbst derzeit kaum mehr als ein Papiertiger. „Weichenstellungen“ nennt das Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier im selbstgefälligen Ton in seiner Würdigung der ersten zwölf Monate KI-Förderung. Unbegründetes Selbstlob dieser Art sind wir schon aus der Halbzeitbilanz der Bundesregierung sattsam gewohnt.

Tatsächlich beschränken wir uns bei der künstlichen Intelligenz schon seit mehr als 30 Jahren auf „Weichenstellungen“. Das Deutsche Forschungszentrum für künstliche Intelligenz gehört zu den größten Einrichtungen seiner Art weltweit. Aus ihm sind Grundlagen-Ergebnisse, Spin-offs und Produktideen hervorgegangen, die jedoch größtenteils ein Nischendasein fristen. Der ganz große Schub kommt – obwohl dort ursprünglich lange Zeit keine vergleichbare Einrichtung bestand – inzwischen aus den USA.

Das soll jetzt noch besser koordiniert werden. Nach dem deutschen Vorbild planen auch die Vereinigten Staaten eine zentrale KI-Behörde, die die KI-Forschung bündeln und gezielt fördern soll. Geplant ist ein Investitionsvolumen von 100 Milliarden Dollar – naturgemäß über einen längeren Zeitraum. Aber selbst wenn die Bundesregierung – wie jetzt angekündigt – ihre Anstrengungen verdoppeln will und selbst wenn die Bundesförderung durch die Anteile der Wirtschaft gehebelt wird, bleibt es beim deutschen KI-Klein-Klein. Lediglich ein gutes Zehntel der in den USA geplanten Ausgaben wäre dann erreicht.

Hinzu kommen die zahlreichen Venture Capitalists in den Vereinigten Staaten, die vor allem vielversprechende KI-Startups mit Millioneninvestitionen pushen. In Deutschland fehlt es unverändert an Kapital für die zweite Wachstumsphase. Zwar säen wir hierzulande vielversprechende Neugründungen und fördern sie durch Acceleratoren. Aber wenn es um die Skalierung der Produkte und Marktpräsenz geht, brauchen die sogenannten Scaleups erheblich größere Finanzspritzen.

Und während am Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz mit rund 1000 Mitarbeitern – überwiegend wissenschaftliche Hilfskräfte – mit Fleiß und Verstand geforscht wird, warten die KI-Eliteunis auf ihre Lehrstühle und Professorenstellen. Dabei wird es angesichts der weltweiten Knappheit an KI-Personal gar nicht so leicht werden, die anvisierten Stellen auch wirklich zu besetzen. Das soll sich ändern, verspricht Peter Altmaier. Das muss sich ändern, sagen Wirtschaft und Wissenschaft.

Ungewöhnlich vehement wehrt sich der Hightech-Verband Bitkom gegen das Schulterklopfen in der Bundesregierung. „Wenn wir so weitermachen, sehen wir von den schnellen Vorreiterländern der KI bald nicht mal mehr die Rücklichter“, warnt Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder und fordert im Namen der Wirtschaft deutlich stärkere Anstrengungen. Doch solange Papiertiger und Weichenstellungen bereits als Erfolge verkauft werden, bleibt es wohl beim deutschen KI-Klein-Klein.

Strukturwandel meistern!

Haben wir diese Woche einen konjunkturpolitischen „Tipping-Point“, einen Wendepunkt erreicht? Man könnte das Gefühl haben, wenn man erstens die Halbzeitbilanz der Großen Koalition, zweitens das Gutachten der Wirtschaftsweisen, drittens den Automobilgipfel zur Elektromobilität und viertens die Einigung über die Grundrente zusammenfasst. Im Herbst blühen plötzlich Blütenträume über eine sich doch stärker für Innovatives und Digitales engagierende Bundesregierung.

Um nicht herzlos zu erscheinen, sei vorweggeschickt: Dieser Blog war nie auf sozialpolitische Themen ausgerichtet. Und er wird sich auch nicht angesichts der soeben beschlossenen Grundrente mit Bedürftigkeitsprüfung in diesem Sinne äußern. Aber es ist bemerkenswert, dass die Koalitionäre in ihrer Einigung neben das Thema „Gerechtigkeit“ auch das Thema „Leistung“ gestellt haben. Denn im jetzt beschlossenen Paket ist auch ein Investitionsfonds enthalten, der unter der Führung der KfW aufgestellt wird und für Startups, Digitalisierungsprojekte, Entbürokratisierung und eine auf Innovationen ausgelegte Industrie- und Mittelstandspolitik verwendet werden soll. Das Volumen des Fonds – immerhin zehn Milliarden Euro – stellt beispielsweise den Fördertopf für künstliche Intelligenz mit seinen drei Milliarden Euro deutlich in den Schatten.

Man hat den Eindruck oder zumindest die Hoffnung, dass die Bundesregierung endlich aufgewacht ist. In ihrer ansonsten vor Selbstlob nur so triefenden Halbzeitbilanz steht zum Thema Digitalisierung ein erstaunlich selbstkritisch klingender Satz: „Wir wollen die Chancen der Digitalisierung für Wirtschaft und Gesellschaft nutzen, unseren Staat modernisieren und die digitale Souveränität der Bürger stärken.“ Das klingt nicht unbedingt so, als sei man auf das bisher Erreichte besonders stolz. Dazu gäbe es allerdings auch keinen Anlass. Bisher.

Doch mit den zehn Milliarden aus dem KfW-Fonds für Digitales kann man schon wuchern. Die Einigung kommt nur zwei Tage, nachdem die fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung ins Stammbuch geschrieben hatten, dass in puncto Erneuerung und Ausbau der Infrastruktur, beim digitalen Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft sowie bei Investitionen im privaten und öffentlichen Sektor deutlich mehr Aktivität gezeigt werden solle. Es gehe vor allem darum, so heißt es bereits im Titel der rund 400 Seiten starken Studie, „den Strukturwandel meistern“ zu können. Nun hat es den Anschein, als habe die Bundesregierung mit dem jetzt aufgelegten KfW-Fonds unmittelbar auf die Kritik reagiert. Das wäre in der Tat ungewöhnlich, denn üblicherweise verschwindet die Studie der Wirtschaftsweisen sang- und klanglos in den Schubladen der Ministerien.

Dabei haben die Ökonomen im Sachverständigenrat durchaus heftig darüber gestritten, ob die Schuldenbremse eine geeignete Maßnahme in Zeiten nachlassender Konjunktur ist. Eine knappe Mehrheit von drei der Fünf hält sie auch weiterhin für gerechtfertigt. Einhellige Kritik gab es hingegen für ein weiteres Festhalten an der sogenannten „schwarzen Null“, für die sich die Große Koalition in ihrer Zwischenbilanz noch durchaus gelobt hatte. Doch der selbstauferlegte Zwang, immer und überall einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, sei „blind gegenüber der Konjunktur“. Will sagen: Wenn Investitionsprogramme notwendig sind, dann ist auch das Schuldenmachen kein Staatsvergehen.

Hier befinden wir uns in der Tat an einem Tipping-Point, hinter dem ein Umdenken einsetzen könnte. Denn keynesianische Grundprinzipien, nach denen der Staat durchaus dirigistisch und investierend in die Wirtschaft eingreifen können soll, sind seit Jahrzehnten verpönt. Stattdessen soll´s der Markt richten. Doch der Markt richtet es nicht, wie sich am Beispiel der Sanierung von Straße, Schiene und Schule zeigt. Und auch der Netz-Ausbau braucht mehr staatlichen Lenkungswillen. Das gilt ebenso für das Klimapaket oder die Maßnahmen zu mehr Elektromobilität, die ebenfalls zu den Hausaufgaben gehören, wenn wir „den Strukturwandel meistern“ wollen. Die geplante Prämie für ein E-Mobil gibt es übrigens – anders als bei der Grundrente – ohne Bedürftigkeitsprüfung…

Jetzt kann man nur hoffen, dass die drei Parteitage dieses Umdenken mit vollziehen.