Kein Warmup für Startups

Das Bild, das Startups und Gründer in der öffentlichen Meinung abgeben, ist gar nicht mal so schlecht. Nach einer repräsentativen Umfrage des Hightech-Verbands Bitkom halten vier von fünf Bundesbürgern Gründer für leistungsorientiert und zielstrebig; zwei Drittel halten die Jungunternehmer sogar für Vorbilder für die junge Generation.

Aber unverändert verbindet sich damit nicht unbedingt eine Verbesserung der Gründerkultur in Deutschland: Jeder Dritte würde Menschen in  seinem Umfeld von einem Job bei einem Startup oder gar der Gründung eines solchen abraten. Und immerhin jeder Fünfte ist der Meinung, dass Gründer nur gründen, weil sie keinen „vernünftigen“ Job gefunden haben.

Bitkom-Präsident Achim Berg wiederholt deshalb die Mahnung der Industrie an die Bildungspolitik, Wirtschaftswissen und Entrepreneurship stärker in den Curricula der Schulen und Hochschulen zu verankern. Mehr noch: Berg schlägt vor, dass die Gründer selbst in die Schule gehen, um den Geist des Gründens zu wecken. In der Tat gibt es in Deutschland genug Startups mit faszinierendem Lebenslauf, die den Wunsch zur Nachahmung wecken könnten. Die zweite gute Nachricht zur Lage der Startups in Deutschland weist auf die stärkere Vernetzung der jungen Unternehmen mit etablierten Mittelständlern hin. Dass 80 Prozent der  Startups Kooperationen mit Etablierten betreiben, muss zunächst nicht verwundern: denn der Großteil der deutschen Startups ordnet sich selbst im B2B- beziehungsweise im B2B2C-Business ein – also in einem Segment, in dem es ohne Geschäftskunden gar nicht geht. Aber obwohl eine große Mehrheit der Gründer die Zusammenarbeit positiv bewertet, beklagt doch jeder Vierte die Arroganz der Etablierten, die sich der Umsetzung neuer, disruptiver Ideen und Geschäftsmodelle entgegenstellt. Allerdings – und das ist eine wirklich schlechte Nachricht (wenn auch nicht überraschend) – beklagen die Gründer nicht nur ein verschlechtertes gesamtwirtschaftliches Umfeld sowie sich eintrübende Zukunftsperspektiven, sondern vor allem die Wahrnehmung, dass die Politik sich zwar mit Startups schmücke, aber weiterhin kaum in ihrem Sinne handele. So ist unter den Startups inzwischen die Vermutung weit verbreitet, dass die im schwarz-roten Koalitionsvertrag vereinbarten Maßnahmen zur Förderung der Startup-Szene bis zum Ende der Legislaturperiode nicht oder zumindest so gut wie nicht umgesetzt werden. Gerade die Vorgehensweise beim Thema künstliche Intelligenz trifft auf harte Kritik bei den Gründern: Zu viel Klein-Klein, zu viel Detailversessenheit, zu wenig Aktion. Der Bitkom fasst die Quintessenz so zusammen: es fehle nicht an Ideen, sondern an Taten. Also weiterhin kein Warmup für Startups in Sicht. Dabei wäre die Umsetzung der im Koalitionsvertrag vorgeschlagenen Maßnahmen gar nicht so schwierig: das Thema Finanzierung in der Wachstumsphase und zur Unterstützung einer internationalen Expansion von Startups scheitert doch bislang nicht an den Mitteln, sondern am Mut. Einen stattlichen staatlichen Dachfonds zur Absicherung von Startups einzurichten kann ebenfalls nicht so schwer sein. Voraussichtlich aufwändiger wäre da schon die Aufgabe, die Bedingungen für Investoren im ganzen EU-Raum einheitlich positiver zu gestalten. Und nahezu unmöglich erscheint angesichts der geringen Durchschlagskraft der Bundesregierung die Umsetzung einer weiteren Forderung, nämlich der, die Regeln der öffentlichen Auftragsvergabe so umzugestalten, dass Startups nicht von vornherein von ihr ausgeschlossen werden, weil sie zum Beispiel noch keine Bilanzen für mehrere Jahre vorlegen können. Diese Maßnahmen wären aber in der Tat ein warmer Regen für den Gründergeist. Man sollte die insgesamt positive Einstellung der öffentlichen Meinung gegenüber Startups nutzen, um das Klima weiter aufzuwärmen. Startups sind der Mittelstand von morgen. Sie verdienen – wie übrigens auch der Mittelstand von heute – etwas mehr Warmup.

Haushalten oder raushalten?

Mittelstands-Bashing gehört zu den schönsten Beschäftigungen deutscher Publizisten – nur das Groko-Bashing ist noch beliebter. Die Suada folgt in der Regel den drei großen „I“, die streng vernachlässigt würden: Inspiration, Innovation, Investition. Tatsächlich zeigen sowohl die Bundesregierung als auch die (zumeist) in Familienbesitz befindlichen mittelständischen Unternehmen große Zögerlichkeit bei Aktivitäten rund um die Digitalisierung unseres Lebens. Dabei hängt genau davon das Wohl unserer Wirtschaft und damit unseres Wohlstands ab…

Dass jetzt aber der Internationale Währungsfonds (IWF) in seinem jährlichen Deutschland-Bericht dem Mittelstand, namentlich den Familienunternehmen, den Vorwurf macht, an der ungleichen Verteilung des Vermögens hierzulande Mitschuld zu tragen, hat eine allgemeine Welle der Empörung gegenüber den Autoren und der Solidarität mit dem Mittelstand hervorgerufen. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung etwa gewährte Brun-Hagen Hennerkes, dem Vorsitzenden der Stiftung Familienunternehmen, breiten Raum, um seinen Standpunkt klarzulegen und dem IWF – auch das ist eine gern verwendete Sottise – mangelnde wirtschaftliche Kenntnisse zu unterstellen. Andere Verbandsvertreter folgten und betonten vor allem die Wirtschaftsleistung der Familienunternehmen, die mehr Arbeitsplätze schüfen als die „anonymen Dax-Konzerne“.

Weder die IWF-Kritik, noch die Verteidiger des deutschen Mittelstands treffen allerdings den Kern des Problems. Denn unstrittig ist ja dennoch: „Die reichsten zehn Prozent der Haushalte in Deutschland besitzen rund 60 Prozent des aggregierten Netto-Vermögens der Volkswirtschaft und 40 Prozent dieses Vermögens in Form von nicht-börsennotierten Unternehmensanteilen“, wie es im IWF-Bericht heißt. Dies wirft aber weniger ein Licht auf die Unternehmer in Deutschland, als vielmehr auf die Unterlasser.

Zwar schlägt der IWF durchaus richtig vor, dass Börsengänge in Deutschland erleichtert werden mögen, um einem größeren Teil der Bevölkerung den Zugriff auf Unternehmensanteile zu ermöglichen. Doch die Wahrheit ist auch: anders als zum Beispiel im anglo-amerikanischen Raum bevorzugen die Deutschen das Festgeldkonto gegenüber dem Börsenparkett. Und als Ende der neunziger Jahre mit dem Neuen Markt zusätzliche Anreize gegeben wurden, folgte die Dot.Com-Blase. Und diejenigen, die damals nicht vom Spiel mit den Kursen kuriert wurden, wurden spätestens durch die weltweite Finanzkrise seit 2008 eines besseren belehrt.

Schwerer aber wiegt noch die Tatsache, dass die Deutschen die vermeintlich sichere Festanstellung gegenüber dem Risiko des Unternehmertums bevorzugen. Zwar erfreuen wir uns einer ansehnlichen Startup-Szene, die vor allem Berlin zu einer hippen Hauptstadt macht. Doch das zarte Pflänzchen der postmodernen Gründerjahre trocknet schon wieder aus, wie die jüngsten Zahlen der KfW nahelegen: Danach wurden im vergangenen Jahr zwar 547.000 Unternehmensgründungen gezählt – zu denen neben den vergleichsweise wenigen Startups vor allem Handwerksbetriebe, Kanzleien, Agenturen etc. gehören. Aber das sind bereits 11.000 weniger als 2017. Der Anteil der Gründer an der Erwerbsbevölkerung liegt nur noch knapp über einem Prozent. Nach der Jahrtausendwende lag die Quote bei drei Prozent.

Das liegt auch an den Bildungsplänen, die wir an den Schulen verfolgen. Es geht nicht um die Frage: Goethe oder Geld, Wissenschaft oder Wirtschaft. Neben der richtigen Initiative, die sogenannten MINT-Fächer zu fördern – also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik –, muss endlich auch mehr Verständnis für die wirtschaftlichen Zusammenhänge geschaffen werden. Die Erfahrung zeigt, dass Schüler, die während ihrer Schullaufbahn ein Betriebspraktikum absolviert haben oder an einer Firmen-AG beteiligt waren, häufiger gründen als ihre Mitschüler.

Es geht also nicht darum, den erfolgreichen Unternehmern vorzuwerfen, sie würden den Wohlstand auf wenige akkumulieren. Es geht darum, dass die jungen Erwerbstätigen sich lieber aus dem Wirtschaftsleben raushalten, statt unternehmerisch zu haushalten. Die IWF-Kritik sollte nicht die Familienunternehmen treffen, sondern die Bildungs-Politik. Aber auch die ist ein beliebtes Bashing-Target – leider ohne erkennbaren Erfolg.

Brauchen wir das „Gute–Kuka-Gesetz“?

Die Übernahme des Augsburger Roboterherstellers Kuka durch den chinesischen Investor Midea hatte vor drei Jahren eingeschlagen wie eine Bombe. Roboterbau war plötzlich Schlüsseltechnologie und damit maßgeblich verantwortlich für die Zukunft des Wirtschaftsstandortes Deutschland. „Schon“ 36 Monate später reagierte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier mit der Vorlage einer Industriestrategie, mit der deutsche Hightech–Firmen vor den finanzkräftigen Investoren aus den USA und China geschützt werden sollen und gleichzeitig vorgeschlagen wird, europäische Champions gezielt für den globalen Wettbewerb zu trimmen.

Danach hagelte es Lob und Tadel. Als die negative Resonanz überwog, stufte der Bundeswirtschaftsminister das Strategiepapier zu einem Diskussionsbeitrag herunter. Das änderte freilich nicht viel, denn protektionistische Bestrebungen gehören nicht in das Arsenal freier Marktpolitik – egal, ob sie Bestandteil einer Strategie oder einer Diskussion sind. Das war und ist ein europäischer Trumpf gegenüber den in Washington und Peking angezettelten Handelsstreitigkeiten. Doch ohne eine zukunftsorientierte Innovations- und Investitionsstrategie bleiben europäische Unternehmen gegenüber ihren starken Konkurrenten aus Übersee gefährdet. Die beste Industriestrategie für Deutschland und Europa ist also die, die den Unternehmen auf dem alten Kontinent beste Chancen eröffnet, ihre Produkte und Märkte und im Zuge dessen auch sich selbst neu zu erfinden. Dazu fehlt im Altmaier-Papier jeglicher Ansatz.

Das findet auch der Bundesverband der Deutschen Industrie, der an diesem Montag auf dem „Kongress zur nationalen Industriestrategie 2030“ beim Bundeswirtschaftsministerium ein Gegen- Papier vorlegen wird. Darin fordert der BDI, das Beihilfe- und Wettbewerbsrecht zu modernisieren, um „die marktwirtschaftlichen Errungenschaften Europas zu verteidigen“, statt in Protektionismus zu verfallen. Vor allem soll die Europäische Union einen „stärkeren Fokus auf Investitions- und Innovationsförderung“ legen. Als Beispiel nannte der BDI den Klimaschutz, der „nicht zulasten der Standortbedingungen für Unternehmensinvestitionen gehen“ dürfe. – Also statt dem Altmaierschen „Gute–Kuka–Gesetz“ besser ein „Gutes–Klima–Gesetz“, um die neue Terminologie der Bundesregierung bei der Findung von Gesetzesnamen zu übernehmen.

Schließlich geht der BDI auch auf die viel geäußerte Kritik an Altmaiers Papier ein, die Industriestrategie des Bundeswirtschaftsministers nütze nur global tätigen Unternehmen und nicht den kleinen und mittelständischen Firmen mit hohem Innovationsanspruch. Der Entwurf werde „den Perspektiven des industriellen Mittelstands inklusive der forschenden kleinen und mittelgroßen Unternehmen nicht gerecht“, schreiben die Autoren. Genau dort aber befindet sich seit sieben Jahrzehnten der eigentliche Innovations- und Jobmotor. Das betonte auch BDI-Präsident Dieter Kempf in seiner Rede bei der Präsentation des Gegenentwurfs: „Eine wirkungsvolle Industriestrategie muss die Wettbewerbsfähigkeit der gesamten Industrie im Fokus haben und darf den gerade für Deutschlands Wirtschaftskraft so wichtigen Bereich des Mittelstands nicht aus dem Auge verlieren.“

Und, so möchte man hinzufügen, ebenso wichtig ist die Förderung der Startups. Sie sind der Mittelstand von morgen. Hier Investitionen in Zukunftstechnologien zu erleichtern und Unternehmensplanern die Luft zu lassen, neue Geschäftsmodelle für die anbrechenden Zeiten der Plattform–Ökonomie und Sharing-Society zu erdenken, wäre die wahre Industriepolitik, die breiten Konsens in der Wirtschaft erhielte.

Und ganz nebenbei: diese Unternehmen wären zwar immer noch Objekt der Begierde ausländischer Investoren, sie hätten aber selbst bessere Mittel an der Hand, sich gegen feindliche Übernahmen durch globale Kooperationen zu schützen. Es hat noch nie geklappt, europäische Champions zu züchten: sie entstehen durch die Kraft der Märkte und nicht durch die Macht der Politik. Das musste auch Airbus erst erfahren. Für Kuka freilich kommt jede Hilfe zu spät.

 

Digitale Notlage

 „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not!“ – Nach diesem Motto aus dem keynesianischen Werkzeugkasten funktioniert antizyklische Wirtschaftspolitik. Wirtschaftsliberale ergänzen hingegen: „Spare in der Not, da hast du Zeit!“ Der Mittelstand, so hat es den Anschein, verfolgt beide Prinzipien: er spart in der Zeit und in der Not.

Dieser Eindruck drängt sich bei der Lektüre des „Finanzierungsmonitors 2019“ auf, den der Finanzdienstleister creditshelf zusammen mit der TU Darmstadt jetzt herausgegeben hat. Danach befürchten zwei von drei Unternehmen in Deutschland, dass die digitale Transformation sie finanziell überfordern könnte. Oder anders ausgedrückt: In den zurückliegenden Quartalen der Hochkonjunktur fehlte ihnen die Zeit, jetzt – bei sinkenden Wachstumsraten – fehlt ihnen das Geld für den digitalen Wandel.

Dabei räumen drei von vier Unternehmern der Digitalisierung hohe oder höchste Priorität ein. Das Problem ist jedoch, dass sich Banken und Kreditinstitute bei der Finanzierung von immateriellen Digitalprojekten nach wie vor schwer tun. Seit der Bankenkrise 2008/2009 herrscht das Prinzip der zugeknöpften Taschen. Wenn Unternehmen während der Hochkonjunktur Kredite aufgenommen haben, um die Aufträge und Projekte vorzufinanzieren, dann fehlen ihnen jetzt die Mittel, die digitale Erneuerung voranzutreiben. Allerdings haben laut Deutschem Sparkassen- und Giro-Verband die Firmen die guten Zeiten auch genutzt, um die Eigenkapitalquote von durchschnittlich 30 Prozent um zehn Prozentpunkte anzuheben.

Dass sich in der Kreditpolitik auf absehbare Zeit etwas ändern könnte, ist nicht zu erwarten: Denn Digitalisierungsprojekte sind von ihrer Natur her risikogeneigt. Es geht nicht um die Weiterentwicklung bestehender Prozesse, bei denen sich Unternehmen auf die eigene Erfahrung und Innovationskraft stützen können, sondern um die disruptive Umwälzung ganzer Geschäftsmodelle und Branchenmechanismen durch die Plattform-Ökonomie und die Sharing Society. Aus Angst vor dem Scheitern schrecken erst die Kreditgeber und dann die Unternehmer zurück.

Das ist gefährlich für einen Standort wie Deutschland, in dem 95 Prozent der Unternehmen klein oder mittelständisch strukturiert sind. Sie sehen sich selbst als „Digital Follower“ und vernetzen ihre Fertigungssysteme im Internet der Dinge. Dabei verfolgen sie aber die gewohnten Bahnen der bisherigen Geschäftsausrichtung und setzen auf mehr Effizienz, Kostensenkung und Prozessoptimierung. Neue Märkte, veränderte Produktstrategien oder intensivierte Kundenbeziehungen mit Hilfe von Big Data, Cloud Computing und künstlicher Intelligenz zu erobern – dieser Ansatz ist hierzulande noch kaum verbreitet. Und genau da liegt das tatsächliche Risiko.

Der Mittelstand automatisiert seine Prozesse vor allem deshalb, weil er sich auf den demografischen Wandel einstellen muss, in dem sich der Fachkräftemangel weiter verschärfen wird. Wo Menschen fehlen, müssen Maschinen aushelfen. Es reicht aber auf lange Sicht nicht mehr aus, höhere Margen anzustreben, schneller zu produzieren und weiter zu exportieren. Die digitale Transformation führt zu völlig neuen Marktmechanismen, in denen die Beziehungen zum Kunden und die Reaktionsfähigkeit, auf seine Sonder-Wünsche einzugehen, über das Geschäft entscheiden.

Der „Prosument“ akzeptiert es nicht mehr, wenn eine Ware heute zwar in rot verfügbar ist, im gewünschten Blau aber erst nächste Woche. Die Abo-Gesellschaft bewertet die Verfügbarkeit eines Produkts höher als ihren Besitz: Warum ein Auto finanzieren, wenn man eins leihen kann? Warum Lebensmittel bevorraten, wenn sie innerhalb von zwei Stunden geliefert werden? Warum Bücher kaufen, wenn man ihren Inhalt downloaden kann?

Wir befinden uns in einer digitalen Notlage, weil den Unternehmen die Visionen für das Marktgeschehen von morgen fehlen. Und wir befinden uns in einer digitalen Notlage, weil die Kreditwirtschaft die tatsächlichen Visionäre nicht finanziert. Das gilt für den Mittelstand von heute ebenso wie für Startups – dem Mittelstand von morgen.