AI wartet auf die Killer-Anwendung

Die Diskussion um Artificial Intelligence nimmt mitunter Züge der großen Ausspähangst vor 30 Jahren an, als ein großer Teil der deutschen Bevölkerung die Teilnahme an einer Volkszählung rundweg ablehnte: „Lass dich nicht erfassen“, hieß der Slogan, unter dem die Gegner die Herausgabe ihrer persönlichen Daten verweigerten. Drei Jahrzehnte später geben ihre Kinder praktisch alles Persönliche preis, wenn es dafür Dienste aus der Cloud „für umme“ gibt. Doch umsonst ist nichts – es ist höchstens vergebens…

Jetzt zeigt sich die gleiche paranoide Haltung gegenüber Systemen der künstlichen Intelligenz – allerdings finden sich Widerstand und Unterstützung nun nicht mehr in zwei Generationen, sondern in ein und derselben Personengruppe. Nach einer weltweiten Befragung des Spezialisten für Kundenbindung, Pegasystems, unter 6000 Konsumenten fühlt sich je ein Drittel wohl beziehungsweise unwohl beim Gedanken an künstliche Intelligenz, das letzte Drittel ist unbestimmt. Dabei, das hat die Studie detailliert herausgearbeitet, glauben mehr als zwei Drittel der Befragten genau zu wissen, was es mit der künstlichen Intelligenz auf sich hat.

Das wäre ein erstaunlicher Bildungserfolg angesichts der Tatsache, dass es sich bei der künstlichen Intelligenz um eines der komplexesten Technologiethemen unserer Zeit handelt. Und tatsächlich mussten die Studienbetreiber feststellen, dass die Konsumenten auch einfachste KI-Anwendungen nicht als solche identifizierten: dazu gehören die Kauf- und Lesevorschläge von Amazon und Facebook, die Werbeeinblendungen bei Google oder die Sprachassistenten von Microsoft und Apple. KI ist in der breiten Bevölkerung offensichtlich immer noch mit Großcomputern und Robotern, mit Überwachung und Bevormundung verknüpft. Tatsächlich sind sich zwei Drittel der Konsumenten nicht bewusst, mit KI in Verbindung gekommen zu sein, obwohl vier von fünf Befragten Endgeräte im Einsatz haben, die ohne KI gar nicht auskommen. Ein Viertel fürchtet sogar ganz konkret die Versklavung der Menschheit durch intelligente Maschinen.

Doch umgekehrt können sich 34 Prozent der Konsumenten vorstellen, beim Einkaufen von KI-Systemen unterstützt zu werden – tatsächlich ist dies aber bei 80 Prozent der Fall. Immerhin 27 Prozent können sich KI im Gesundheitswesen vorstellen – hier sind es tatsächlich derzeit noch weniger als zehn Prozent der Anwendungsfälle. Und ein Viertel stellt sich den KI-Einsatz in der Telekommunikation vor – in Wirklichkeit sind es hier wohl eher schon 99 Prozent der Situationen. Finanzberatung würde jeder Fünfte durch KI dulden – das entspricht auch durchaus der heutigen Einsatzdichte.

Tatsächlich handelt es sich hierbei um genau die Handlungsfelder, in denen Unternehmen derzeit am intensivsten in KI-Systeme investieren. Nach einer Befragung des Marktforschungsinstituts Vanson Bourne engagieren sich bereits 80 Prozent der 200 befragten globalen Konzerne bei KI. Und jeder dritte Entscheider ist davon überzeugt, das Investment in den nächsten drei Jahren sogar noch erhöhen zu müssen. Dabei ist es bemerkenswert, dass europäische Unternehmen im Unterschied zum weltweiten Trend den Industriesektor hinter ITK und B2B-Services an dritter Stelle sehen, noch vor Konsumer-Services und Finanzdienstleistungen.

Dabei erwarten die künftigen KI-Anwender höhere Renditen durch Umsatzsteigerungen und Kostenersparnisse. Die Umsätze sollen durch schnellere Produktentwicklung, verbesserten Kundenservice und eine optimierte Lieferkette entstehen. Für jeden heute investierten Euro erwarten die Anwender einen Euro innerhalb der nächsten fünf Jahre zurück. Innerhalb der nächsten zehn Jahre sollen es sogar 1,87 Euro sein.

Interessant ist dabei, dass neben den klassischen Verdächtigen, also Hinderungsgründen wie mangelnder IT-Infrastruktur, zu wenig Personal und Know-how, zu knappen Budgets oder zu komplizierten Strategien oder Richtlinien bereits an fünfter Stelle ein Newcomer unter den Inhibitoren auftaucht: ein zu schwacher oder zu schwammiger Business Case für die Einführung von KI-Technologien.

Da schließt sich der Kreis. Unternehmen und Konsumenten fehlt es derzeit noch an konkreten Vorstellungen, was genau mit KI eigentlich geändert werden soll bzw. kann.

Dass sie nahezu jeden Lebensbereich verändern kann, darüber sind sich alle einig – nur an den konkreten Anwendungsfällen scheint es zu fehlen.

Das haben auch die KI-Anbieter inzwischen erkannt. Microsoft beispielsweise, das wie kaum ein anderer Anbieter seine Cloud-Services durch KI-Funktionen anreichert, steht vor der Riesenaufgabe, seinen 64.000 Cloud-Partnern – und den gut 100.000 weltweit, die es noch werden wollen – die Vision vom KI-Geschäft erst noch einzuimpfen. Denn allzu lange war künstliche Intelligenz etwas ausschließlich für Forschungslabore und Entwicklerbüros. Dass Artificial Intelligence nun für jedermann auf dem Smartphone, Tablet und aus der Cloud als Dienst zur Verfügung stehen kann – beflügelt leider noch nicht die Phantasie. AI – ein Alleskönner wartet auf seine Killer-Anwendung. Dabei ist AI doch schon selbst die Killeranwendung, die alles verändert?

Microsoft und seine Partner müssen diese Frage genauso lösen wie alle anderen großen Anbieter und deren Partner sowie die vielen Startups, die bereits heute rund um diese Technologie versuchen Lösungen aus dem Boden zu stampfen.

 

Föderale Förderszene

Deutschland hat in Europa auch bei Startups die Nase vorn: Das geht aus Zahlen des Analystenhauses Ernst & Young hervor. Danach ist zwar London unverändert das Epizentrum der europäischen Gründerszene – unter den wichtigsten zehn Standorten in Europa befinden sich aber mit Berlin, München und Hamburg gleich drei Startup-Zentren. Zusammen genommen bringen sie es auf knapp zwei Milliarden Euro Investitionssumme allein im ersten Halbjahr.

Dabei ist Berlin trotz der stark föderalen Förderszene in Deutschland mit nur knappem Abstand die Nummer Zwei hinter London. Während Gründer in London in den ersten sechs Monaten 1,646 Milliarden Euro zusammentrommelten, waren es im gleichen Zeitraum in Berlin 1,47 Milliarden Euro. Paris als Drittplatzierter ist mit 683 Millionen da schon weit abgeschlagen. München (Platz 5 mit 183 Millionen Euro) und Hamburg (Sechster mit 178 Millionen Euro) folgen im ehrfürchtigen Abstand.

Dabei hat Berlin im europäischen Vergleich den größten Umsatzsprung getan: im ersten Halbjahr des vergangenen Jahres waren es in der deutschen Hauptstadt „nur“ 531 Millionen Euro, die den Startups auf die Sprünge helfen sollten – ein Plus von 177 Prozent also. London hat im Vergleich dazu lediglich um 139 Prozent zugelegt, allerdings deutlich mehr Finanzierungsrunden absolviert. In Berlin fließt also im Durchschnitt mehr Geld pro Finanzierungsrunde.

Das Bild vom föderalen Förderstaat Deutschland wird auch durch den an diesem Montag erscheinenden fünften Deutschen Startup-Monitor (DSM) gefestigt, der neben den Startup-Hochburgen Berlin, München und Hamburg auch die Metropolregion Rhein/Ruhr sowie die Industriezentren Stuttgart/Karlsruhe und Ingolstadt/Nürnberg hervorhebt. Demnach sind zwar 16,8 Prozent der deutschen Startups in Berlin angesiedelt. In der Rhein/Ruhr-Region sitzt aber schon jedes neunte Startup. Im Ländervergleich liegt NRW mit 14,4 Prozent aller Startups auf Patz zwei hinter Berlin, aber vor Bayern (13,4 Prozent), Baden-Württemberg (12,4 Prozent) und Niedersachsen mit zwölf Prozent.

Das ist umso bemerkenswerter, als die deutschen Startups außerhalb Berlins der Industrie folgen. Und tatsächlich heben der Deutsche Startup Verband und KPMG als Autoren des Deutschen Startup Monitor hervor, wie stark die Geschäftsideen hierzulande auf Business-to-Business-Modelle abzielen und Industriekunden als wichtigsten Markt ansehen. Startups wie der Lieferservice Delivery Hero, der im Mai noch einmal fast 390 Millionen Euro einsammeln konnte, sind eher die Ausnahme. Deutschland bleibt also seinen traditionellen industriellen Stärken auch im Gründungsgeschehen treu, wenn mehr als zwei Drittel der Startups auf Business-Kunden abzielen.

Dabei unterscheidet der DSM feinsinnig zwischen Nutzern und Kunden – und kommt damit dem Plattform-Gedanken moderner Web-Angebote nach. So zielt zwar mehr als die Hälfte der Startups auf den privaten Nutzer, erwartet aber, dass Industrieunternehmen daraus den Nutzen ziehen und zahlen. So richten sich beispielsweise Mobilitätsangebote an den privaten Menschen, Nutznießer sind jedoch stets die Betreiber großer Infrastrukturangebote wie Auto-Flotten, Parkhäuser, Navigations- oder Verkehrsleit-Systeme.

Und damit zeigen Startups, dass sie keineswegs eine digitale Spielerei sind, sondern inzwischen ein unverzichtbarer Bestandteil des digitalen Wandels, in dem sich die Gesamtwirtschaft befindet. Im Übrigen haben Startups in Deutschland laut DSM jeweils mehr als 13 Arbeitsplätze geschaffen und planen im Durchschnitt noch einmal je zehn Mitarbeiter einzustellen. Voraussetzung ist freilich, dass sich der eklatante Fachkräftemangel in Deutschland mildern lässt. Allein im ITK-Sektor sind derzeit 50.000 Stellen unbesetzt. Da ist es kein Wunder, dass sich Startups mehrheitlich dafür einsetzen, ausländische Fachkräfte ins Land zu holen. Ohnehin kommt jeder zehnte Gründer in Deutschland aus dem EU-Ausland.

Sowieso hat es den Anschein, dass die Startup-Szene in Deutschland eher trotz der aktuellen politischen Lage so sehr aufblüht. Denn es sind zusätzlich zum Fachkräftemangel die drei Klassiker der Wirtschaftsklagen, die auch die Gründer mehrheitlich umtreiben: zu viel Bürokratie, zu hohe Steuern und ein komplizierter Zugang zu Wachstumskapital. In allen vier Punkten wird die neue Bundesregierung – voraussichtlich in den Farben von Jamaika – deutliche Zeichen setzen müssen.

Übrigens, wenn am 24. September nur die Startups gewählt hätten, müsste sich FDP-Parteivorsitzender Christian Lindner heute fragen, ob er mit der Union oder mit den Grünen als Mehrheitsbeschaffer unter seiner Führung koalieren sollte. Auch diese Erkenntnis verdanken wir dem Deutschen Startup-Monitor.

Startups sind doch irgendwie anders. Aber auch das gehört zu unserem föderalen Fördersystem.

 

Vor dem HAIpe

In regelmäßigen Abständen liefert uns die Gartner Group Megatrends und Zukunftstechnologien frei Haus, die uns ein anregendes Kribbeln im Rückgrat verursachen, weil sie so unfassbar sind, dass wir nicht glauben können, noch zu Lebzeiten mit ihnen konfrontiert zu werden. Und in der Tat bedeutet dieser Blick in die Kristallkugel der Informationstechnologie auch nach Gartners eigener Definition, dass wir uns nach kurzem Schaudern auch gut wieder den eigentlichen Herausforderungen des digitalen Wandels zuwenden können.

Denn der Hype Cycle, der den Technologieprognosen zugrunde liegt, ist von Gartner im Jahr 2000 in fünf Phasen unterteilt worden: Nach dem Auftauchen der Innovation (I) folgt der Gipfel der überzogenen Erwartungen (II), die schließlich ins Tal der Desillusion (III) führen, worauf sich der sanfte Anstieg der Erleuchtung und realistischen Einschätzung (IV) anschließt, der schließlich auf der Hochebene des produktiven Einsatzes (V) ankommt. Demnach sind die Megatrends und Zukunftstechnologien stets in der Phase der überzogenen Erwartungen.

Aber auch im Hype erkennt man die Richtung, in die sich die Informationstechnologie in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren bewegen wird. Und der Hype der Stunde schreibt sich mit AI: „Artificial Intelligence Everywhere“ nennen die Gartner-Analysten das, was uns aus neuronalen Netzen und regelbasierten Systemen blüht. Denn während die künstliche Intelligenz auf Servern irgendwo in der Cloud residiert, nutzen alle möglichen mobilen und stationären Anwendungen die AI-Services über APIs – nahtlos und unmerklich.

Und gleich dürfen wir auch wieder neue Hype-Vokabeln lernen:

  • Artificial General Intelligence ist die Allgemeinverfügbarkeit dieser Dienste, die der menschlichen Intelligenz noch recht nahe kommen soll.
  • Deep Learning oder Machine Learning beschreibt die Fähigkeit, mit Hilfe neuronaler Netze aus den Aktivitäten für die Zukunft zu lernen. Einsatzgebiete sind Bild-, Sprach- und Gesichtserkennung.
  • Deep Reinforcement Learning wiederum erweitert die Lernmechanismen um Methoden zur Verstärkung (Belohnung) und Schwächung (Bestrafung) von Impulsen. So wird ein System animiert, sich so weiterzuentwickeln, dass der Anteil an Belohnung möglichst 100 Prozent ist.
  • Cognitive Computing schließlich beschreibt die Simulation menschlicher Denkprozesse, wie sie heute pionierhaft durch IBM Watson erreicht wird. Dabei wird eine Kombination bereits bewährter Technologien angewendet: Data Mining, Mustererkennung, die Verarbeitung natürlicher Sprache und die Nachahmung menschlicher Fähigkeiten wie Lernen, Erinnern, Argumentation und Problemlösung.

Da AI-basierte Systeme nicht nur menschliches Verhalten simulieren, sondern auch menschliches Verhalten zu deuten verstehen, wird die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine immer komfortabler – jedenfalls für den Menschen. Gartner hat auch dafür einen neuen Hype-Text erfunden: Transparently Immersive Experience. Gemeint ist, dass Maschinen immer mehr in die Ausdruckwelt des Menschen eindringen, ihn verstehen und sich verständlich machen. Dazu tragen nicht nur AI-Funktionen wie Sprach- und Gestensteuerung bei, sondern auch neue Darstellungsformen wie Virtual beziehungsweise Augmented Reality oder die Möglichkeit, von praktisch jedem physischen Gegenstand einen digitalen Zwilling zu erzeugen, der Simulationen, Modifikationen, Wartung, Erweiterungen und Weiterentwicklungen erlaubt, ohne dass das Original dafür auseinandergenommen oder auch nur vom Netz oder aus dem Arbeitsprozess genommen werden muss.

Und schließlich glaubt Gartner, dass sich digitale Plattformen für Alles und Jedes in der Cloud etablieren werden. So wird es beispielsweise unter der Wortschöpfung Edge Computing zu Vorschalt-Systemen kommen, die das massive Datenvolumen aus dem Internet der Dinge bündeln, ehe AI-Systeme mit den Daten konfrontiert werden. So ist bereits heute klar, dass ERP-Systeme ein Manufacturing Execution System benötigen, um mit dem gigantischen Datenvolumen aus dem Internet der Dinge fertig zu werden. Ähnliche Plattformen wird es auch in anderen Bereichen geben – beim autonomen Fahren, beim Smart Farming, bei der Telemedizin oder bei Sicherheitssystemen.

Ach ja: 5G, der um das Zehnfache gegenüber der heutigen LTE-Technologie schnellere Mobilfunkstandard, gehört laut Gartner ebenfalls zu den wichtigsten Zukunftstechnologien, auch wenn nach Einschätzung der Gartner-Analysten im Jahr 2020 erst drei Prozent der Anbieter diese zehn Gigabit pro Sekunde schnelle Bandbreite im Programm haben werden. Aber bei allem HAIpe um künstliche Intelligenz – da lassen wir natürlich die neue Bundesregierung nicht vom Haken.

Die Schlafwandler

Das altbekannte Lied vom orientierungslosen Mittelstand, der wie ein Schlafwandler durch die Nacht des digitalen Wandels irrt, hat jetzt eine unüberhörbare Zweitstimme erhalten: Auch die börsennotierten Großkonzerne werden von Unternehmenslenkern geführt, die kaum nennenswerte digitale Kompetenz aufweisen. Schlimmer noch: den Vorständen wird sogar überhaupt unternehmerische Kompetenz abgesprochen. Gründergeist, die Fähigkeit zur Transformation und Entrepreneurship sind in den Chefetagen der deutschen Aktiengesellschaften seltene Tugenden.

Zu diesem starken Urteil kommen jedenfalls Prof. Dr. Julian Kawohl, Inhaber der Professor für Strategisches Management an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (htw) in Berlin, und Dr. Jochen Becker vom Investment Lab Heilbronn nach der Lektüre von gut 400 Lebensläufen der DAX- und MDAX-Vorstände. Süffisant urteilt der Management-Professor Kawohl in seiner Studie, dass die wichtigsten börsennotierten Unternehmen bei der Besetzung der Vorstandteams großen Nachholbedarf hätten, wenn es um die Kompetenzfelder Entrepreneurship, Gründergeist und Digitalerfahrung gehe. Offensichtlich werde der unternehmerische Ansatz bei der Auswahl von Vorständen nicht hoch genug bewertet.

Damit befindet sich der so oft gescholtene deutsche Mittelstand in bester Gesellschaft – was die Orientierungslosigkeit in Bezug auf die Digitalisierung angeht. Dagegen werden aber gerade den Familienunternehmen Bestnoten bei der unternehmerischen Kompetenz verliehen. Dabei ist es eher Augenmaß als Risikofreude, was die mittelständischen Lenker antreibt, die deshalb auch angesichts der digitalen Herausforderung ebenso zögerlich sind wie die Konzern-Vorstände.

Hinzu kommt, dass mittelständische Geschäftsführungen und DAX-Vorstände deutlich überaltern. Ein Durchschnittsalter von 52,6 Jahren hat die Studie demnach ergeben. Nur ein Prozent aller Vorstände kommt aus der sogenannten Generation Y – also der nach 1980 Geborenen. Und dieses eine Prozent befindet sich praktisch komplett in der Chefetage von Zalando, wo das Durchschnittsalter bei 33,7 Jahren liegt. Dabei, so zeigen andere Studien, nimmt die Bereitschaft zur Innovation und Investition ohnehin im Alter ab. Darunter leidet vor allem der deutsche Mittelstand mit seinem hohen Anteil an Unternehmern im Rentenalter.

Nur jedes zwölfte Vorstandsmitglied bringt nach der Kawohl-Analyse überhaupt so etwas wie Digitalkompetenz aus dem vorherigen Job mit. Da ist es geradezu folgerichtig, dass die deutschen Konzerne bislang vor allem Abwehrmaßnahmen gegenüber der digitalen Transformation eingeleitet haben. Erst allmählich bricht sich dabei auch ein Verjüngungsprozess Bahn. Es gehört inzwischen zum guten Unternehmerton, einen Chief Digital Officer einzukaufen, der typischerweise von einem der Internet-Giganten wie Apple, Amazon oder Google abgeworben wurde. Sie sollen nach und nach die Schlafwandler in den Chefetagen aufwecken.

Nur wenige Unternehmen finden Gnade vor dem vernichtenden Urteil des Management-Professors. Allen voran und nicht wirklich überraschend gilt SAP als das digitalste unter den DAX-Unternehmen. Dahinter folgen Adidas, Airbus, Beiersdorf, Deutsche Bank und Deutsche Telekom. Und SAP-CEO Bill McDermott ist in den Augen der Analysten geradezu ein Vorzeige-Unternehmer. Dass der US-Amerikaner zugleich auch der mit Abstand am besten verdienende DAX-Chef ist, bekommt somit im Nachhinein noch ein professorales Placet.

Man mag die Studie als überzogen ablehnen und den Daimler-Chef Dieter Zetsche als lebendes Gegenbeispiel hervorheben, dass auch unter angejahrten Unternehmern so etwas wie der Wille zur Erneuerung zu finden ist. Tatsächlich aber lassen sich die Fakten nicht von der Hand weisen: die deutschen Unternehmer ergrauen, die Vorstandsetagen vergreisen.

Darin liegt eine ungeheure Chance. Wer heute durch die digitale Hintertür in die Chefetagen vordringt, hat gute Chancen, die Transformation der deutschen Wirtschaft aktiv zu gestalten. Es liegt an den Aufsichtsräten und Firmeninhabern diesen Verjüngungsprozess voranzutreiben und die Schlafwandler zu wecken. Das ist nicht ganz einfach, sagen Schlafforscher, aber ungefährlich.